Runter kommen - oder auch nicht

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Kapitel 4 Alex:

Am Abend schoss ich mit quietschenden Reifen um die Ecke in meine Einfahrt, wobei der Kies hochgewirbelt wurde und ich somit einen von Staubwolken begleiteten Auftritt hinlegte. Nicht, dass das hier irgendjemand sehen würde oder dass es jemand interessierte, denn obwohl ich wahrscheinlich nur die nächsten Monaten hier aushalten müsste, hatte ich mich trotz allem um eine ordentliche Untrekunft gekümmert.

Der erste Eindruck vermittelte schon einmal das, was ich gesucht hatte. Allein den Weg von der Stadt hierher würde rein zufällig niemand finden. Die Abzweigung von dem an sich schon unscheinbaren Feldweg hätte selbst ich fast übersehen, da diese nur aus einem Stückchen Weg zwischen zwei Weizenfeldern bestand, der nach circa 200 Metern in den Wald führte. Von da musste man sich den Weg eher denken, was nur dadurch gelang, dass auf ihm keine Bäume wuchsen. Auffällig waren die vielen verschiedenen Baumarten, die ich allein auf der kleinen Fahrt gesehen hatte. Die längst gefurchten Rinden von imposanten Eichen reihten sich an die horizontal gefurchten von Kirchen und auch fünf-zackige Ahornblätter hatte ich durch den Wind auf meine Windschutzscheibe geweht bekommen. Nachdem ich also weitere 10 Minuten durch den Wald gekurvt war - okay, ich gestehe, dass es eher ein langsames Hopsen war als ein wirklich elegantes Kurven wie ich es sonst gewohnt war- , fuhr ich um eine weitere Ecke und meine Reifen griffen wieder. Vor mir erstreckte sich eine fast schon heruntergekommene Hütte, die so wirkte als wäre sie direkt in den Wald integriert. Das dunkel angelaufene Zedernholz verschwamm fast schon mit den Schatten der umstehenden Bäume und das Dach war schon so mit Moos und Flechten bewachsen, dass ein fließender Übergang zu Baumrinde und -krone hergestellt worden war. Das Einzige, was diese -meine- Idylle störte, war der künstlich aufgeschüttete, beinahe grellweiße Kies, weshalb ich mich unwillkürlich fragte, warum jemand überhaupt so einen Aufwand betrieb, wenn das Ergebnnis schon von vornherein zum Scheitern verurteilt war. 

Ich parkte meine Lieblingscorvette direkt vor der Haustür, obwohl man eher von "einfach den Motor ausstellen und stehen lassen" als von "parken" sprechen musste, und verschaffte mir nun in der Hütte Überblick. In der geschalteten Anzeige war lediglich kurz von von 2 Zimmern und einer qualitativ hochwertigen Küche die Rede gewesen. Aber was mich erwartete ließ mein Herz einen Schlag aussetzen - ob vor Freude oder Entsetzen, weiß ich bis heute nicht. Ich hatte meinen Wohnsitz nunmal nach unüblicheren Kriterien ausgewählt, eigentlich sogar nur nach einem: Abgeschiedenheit.

Mich empfing abgestandene Luft, die die hohe Staubschicht überall noch betonte. Die beschriebene "Küche" hätte ihren Namen nicht mal im Dschungelcamp verdient. Sie bestand aus einem blauen Porzellanwaschbecken, von dem ich lediglich hoffte, dass der Wasseranschluss noch funktionierte, und 2 Kochplatten, welche jedoch so aussahen als hätte man sie geradezu nötigen müssen sich in der Holzfassung als Dekoration aufhalten zu müssen. So würde ich nämlich denken, wenn ich eine fast neuue Induktionsherdplatte neben einem BLAUEN - ich meine wirklich babyblauen -  Waschbecken in einer verstaubten Holzhütte irgendwo im nirgendwo wäre. Ansonsten waren keine Möbel vorhanden, sodass man nur den abgestumpften Holzboden und ebenso abgestumpfte Holzwände mit weniger abgenutzten, helleren Stellen sah. Dort mussten vorher mal Bilder gehangen haben. Das Gesicht der Hütte änderte sich auch im Schlafzimmer nicht. Eine kleiner Raum, der so wirkte als hätte man einfach 2 Meter an den eigentlichen  Raum angebaut, weil mittendrin der Gedanke gekommen war, dass man doch seperat schlafen wollte - typisch Mensch halt. 

Für viele mag das nun wie ein Albtraum klingen, aber ich fand diesen Wohnort mit allem Drum und Dran perfekt und fühlte mich sofort - naja ... irgendwie ...  zuhause. Er war ruhig, behaglich, abgeschieden und wirkte so als ob er schon seit Jahrhunderten solide auf seinem Platz stand und wahrscheinlich auch nie weichen würde. Er war ein Teil des ihm umgebenden Waldes.

Nachdem ich mich also auf einer Decke auf den dreckigen Boden breitgemacht hatte, dachte ich über die nächsten Schritte nach. Ich würde morgen mein Zuhause auf- und einräumen und ab übermorgen die Devlin High besuchen, wo ich dann die nächsten Monate als Späher arbeiten werde. Klingt doch nach einem tollen Plan, dachte ich mir und schlief seltsamerweise auch gleich darauf ein.

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