UNRUHIG RUTSCHTE MI auf ihrem Barhocker hin und her. Sie saß bereits länger in der Bar, auch wenn sie nicht ungeduldig war. Ihr Rücken war verspannt und begann allmählich zu schmerzen. Aber Emilia war eine verlässliche Person, die mit einer Entschuldigung für ihre Verspätung kommen würde. Bis dahin musste sie es aushalten.
" ... mittlerweile wurden alle Metropolen von den Extremisten, die gewöhnlich in einer kleinen Gruppe zuschlagen, mindestens einmal heimgesucht. Experten sind sich sicher, dass in Zukunft kleinere Städte betroffen sein werden, da sie nicht optimal vorbereitet sind ... ", teilte ein winziger, alter Fernseher den Besuchern der Bar mit.
Geduldig schaltete Mi ihr Handy an, das neben ihrem Getränk auf der Tischplatte ruhte. Der verdunkelte Bildschirm blinkte sanft auf und die digitalen Ziffern verrieten ihr die Uhrzeit.
22:41.
" ... wird die Gruppe möglicherweise auch noch gefährlicher. Ähnlich wie sämtliche Terrormilizen wurde sie in ihrer Anfangsphase noch stark verharmlost ... ."
Der Barkeeper, der wie hypnotisiert in den kleinen surrenden Kasten starrte, ließ ein Glas fallen. Er hatte es irrtümlich, statt auf den Tisch, in der Luft abstellen wollen. Klirrend ging es zu Boden.
" ... erst nach zwei Monaten erkannte man Zusammenhänge zwischen Entführungen in London und in Tokyo. Keine Woche später ergaben weitere Untersuchungen, dass die Verbrechen in New York, Berlin und Bangkok von derselben Gruppe begangen wurden ... ."
Die Dokumentation hatte jeden Besucher der Bar in seinen Bann gezogen. Mi stützte ihren Kopf auf den linken Handrücken, absichtlich nicht zum Fernseher blickend. Angestrengt atmete sie die abgestandene Luft aus.
Noch immer die Aufmerksamkeit auf den Monitor gerichtet, kehrte der Barkeeper die Scherben mit einem Besen zusammen.
Mi rührte gedankenverloren in ihrem Getränk. Sie überlegte, was Emilia aufgehalten haben könnte. Eigentlich sollte sie keine Sorgen mehr haben, seitdem sie die Ergebnisse der letzten, besonders anspruchsvollen Prüfung kannte. Das war auch der Grund, warum sich die Geschwister in ihrer winzigen Stammbar trafen, in der sie auch zuvor viele ausgelassene Abende erlebt hatten.
Laut Emilia hatte sie dieses Semester so gut wie geschafft. Wochenlang hatte sie sich bei ihr nicht gemeldet. Sie sahen sich nur, wenn Mi vorbeikam, um ihr Dosen voller Naschereien ihrer Mutter zu bringen. Ihrer Meinung nach war sie nämlich viel zu mager. Zwar war die Mutter der beiden eine liebenswerte Person, doch übertrieb sie es mit der Fürsorglichkeit gelegentlich. Emilia war genauso groß wie Mi, aber auch schlank und hatte lange Beine. Ihre hellbraunen, glatten Haare gingen ihr bis zu ihren Schultern und sie hatte leuchtend blaue Augen. Sie hatte Emilia schon immer wegen ihrer Augen beneidet, da sie sich mit einer gräulichen Kopie zufrieden geben musste. Das fehlende Blau versuchte sie stets mit ihrer Kleidung auszugleichen.
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Alles Blau || ehem. Everything is Blue
Paranormal❝Geheimnisse, die danach zu streben scheinen, gelüftet zu werden. Erinnerungen, die danach schreien, wiedergefunden zu werden. Schicksale, die ganze Weltanschauungen in die Leere drängen.❞ ·•· Monate sind bereits vergangen, seitdem die »Extremisten«...