DAS ACHTECKIGE SCHMUCKSTÜCK war wunderschön. Man hätte Rae damit Stunden lang alleine lassen können und sie wäre dauerhaft beschäftigt gewesen. Mit Daumen und Zeigefinger hielt sie den Ring vorsichtig an der äußeren, mattschwarzen Seite. Sie drehte ihn, während sie über die scharfen Ecken strich, bis sie schließlich acht davon gezählt hatte. Es war zweifellos ein Achteck. Geniales Design, geniale Idee.
Angel, die ihr gegenüber saß, war in Gedanken versunken. Sie merkte nicht, dass sie einen Gegenstand in der Hand hielt. Auch, dass er aus der Geheimkammer war, wusste sie nicht. Möglicherweise war sie sich unsicher, wie sie das Gespräch beginnen sollte, da die beiden in letzter Zeit miserabel miteinander ausgekommen waren. Gerade deswegen war es Rae nun auch wichtig, mit ihr gemeinsam Mittag zu essen, auch wenn das hieß, dass sie heute nicht bei ihren Freunden sitzen konnte. Zumindest verstanden sie, dass sie die Beziehung zwischen sich und ihrer Zimmernachbarin einigermaßen aufrechterhalten wollte. Immerhin musste sie mit Angel zusammenleben.
Gedankenverloren hob Rae den Ring in die Luft und sah durch ihn hindurch. Es war eine seltsame Angewohnheit, die sie schon immer gehabt hatte. Immer, wenn sie kurz davor war, einen Ring zu kaufen, sah sie zuerst mittendurch. Sie wollte diesen kleinen Ausschnitt, den er umrahmte, näher beobachten. Heute richtete sie das Achteck auf Angel. Ihre Augen strahlten Traurigkeit aus und sie fuhr sich mit ihrer Hand andauernd durch ihre blonden Haare. Man sah ihr an, dass sie aufgewühlt war.
Ganz plötzlich fiel Rae etwas auf. Sie beugte ihren Kopf näher zu diesem kreisförmigen Gegenstand, sodass sie präziser hindurchsehen konnte. Doch sie bildete sich das nicht ein. Das Flimmern und dieses verzerrte Ruckeln, wenn Angel ihre Arme bewegte. Wenn sie durch den Ring blickte, sah sie eine veränderte Umgebung. Blasser. Ohne Kontrast. Das Flirren in diesem runden Ausschnitt, erinnerte sie an einen alten Fernseher.
Schockiert legte Rae ihr neu erworbenes Schmuckstück auf den Tisch ab. Als wäre es plötzlich zu einer heißen Kartoffel mutiert, ließen ihre Finger sofort davon ab. Angel hatte von all dem nichts bemerkt, da sie noch immer gedanklich wo anders war. Unbedingt musste sie endlich diesen Ring erwähnen. An ihm war letztendlich doch etwas ungewöhnlich und das durfte Rae keinesfalls unerwähnt lassen.
Doch bevor sie es wagte, Angel anzusprechen, wurde ihr klar, was für ein Fehler es wäre, ihr das genau heute zu zeigen. Die Stimmung zwischen den beiden war noch immer angespannt, auch wenn Rae sich bemühte, wie man daran sah, dass sie Angel heute zu Mittag eingeladen hatte. Wäre die Sache zwischen ihnen eine gespannte Saite, wäre sie kurz vor dem Zerreißen. Ob es dazu kam, hing auch damit zusammen, worüber sie nun mit ihr reden würde. Lieber sprach sie mit ihr nicht über ihre Entdeckung. Sie setzte in gewisser Weise voraus, dass sie einander vertrauten, was zurzeit allerdings eine kritische Angelegenheit zwischen ihnen war. Besser sie plauderte mit Angel über ausgelassenere Themen.
"Wie geht es denn Shell so? Hab' ihn irgendwie lange nicht mehr gesehen", überlegte Rae. Vorsichtig sah sie in ihre Augen und versuchte zu erkennen, wie sie nun reagieren würde. Schmerz blitzte in ihnen auf. War es ein Fehler, sie auf ihren besten Freund anzusprechen? Hatte sie etwas verpasst?
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Alles Blau || ehem. Everything is Blue
Paranormal❝Geheimnisse, die danach zu streben scheinen, gelüftet zu werden. Erinnerungen, die danach schreien, wiedergefunden zu werden. Schicksale, die ganze Weltanschauungen in die Leere drängen.❞ ·•· Monate sind bereits vergangen, seitdem die »Extremisten«...