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Mein Spiegelbild verriet mir mehr über meinen Energiezustand als mein Körper. Vielleicht war es die dauerhaft anhaltende Aufregung oder das Adrenalin von vorhin, aber an Ruhe war für mich momentan nicht zu denken. Wenn ich jedoch mein Gesicht und meine Körperhaltung so betrachtete, dann war klar dass meine Batterie bald zu Ende gehen würde. Vorsichtig zog ich die Klebewimpern ab und zog mir anschließend ein Abschminktuch aus der Packung. Das Entfernen von Make up ist wohl für jede Frau das gleiche Gefühl: Befreiung. Sobald mein komplettes Gesicht frei davon war, griff ich nach der teuren Gesichtscreme die mir ebenfalls zur Verfügung gestellt wurde und tupfte die durchsichtige Konsistenz auf meine Wangen und Stirn. Die Schuhe und meinen Body hab ich schon lange gegen mein Shirt und meine Jeans ausgetauscht und das Letzte was mich von mir und meinem Feierabend trennte, waren meine Haare. Sie flogen mir weiter wie vorhin, wild über meine Schultern und würden kaum zu bändigen sein, doch ich versuchte mein Glück. Während ich die ganzen Strähnen versuchte in ein Haargummi zu stecken, schweiften meine Gedanken zurück zu Matthew Keller. Zu gerne wäre ich noch in der Lounge geblieben, doch leider befahl mir Del Santo den Plan für morgen durch zu gehen und bis zum Schichtende zu tanzen. Irgendwie musste ich diesen Mann zu meinem Stammkunden machen, denn obwohl ich nicht viel mitbekommen habe stand eine Sache felsenfest: er wird ein wichtiger Teil im Fall Del Santo. Mein Blick fiel auf die Uhr an der Wand und erschrocken stellte ich fest dass wir mittlerweile nach Mitternacht hatten. Spätestens morgen früh werde ich den Tag und diese Nacht tief in den Knochen spüren, da bin ich mir sicher.
"Gute Nacht."
Die letzte Tänzerin, die sich noch mit mir im Umkleideraum befand hob ihre Hand zum Abschied und verschwand auf der Wendeltreppe. Ich griff nach meiner Tasche und schaute noch ein letztes mal in den Spiegel, bevor ich ebenfalls die Wendeltreppe zusteuerte. Von unten nahm ich zwei Frauenstimmen war, die vermutlich zum Schichtwechsel gehörten. Höflich wie es sich nun mal gehörte, ließ ich sie als erste durch und schenkte ihnen ein freundliches Lächeln welches beide erwiderten. Gesprächig sind die Mädels nicht besonders und ein persönliches Team bildeten sie genauso wenig, aber wenigstens behandelten sie sich mit Respekt und Anstand. Effizient und simpel muss wohl Del Santos Motto sein.
Ich kam am unteren Teil der Wendeltreppe an und wollte gerade hinter der großen Bühne hervortreten als jemand als erster zum Vorschein kam. Mein Blick wanderte zu den Augen des Mannes und sofort weiteten sich diese erschrocken. Neal schaute ebenfalls völlig überrascht zu mir und wollte schon seinen Mund öffnen als ich ihm meine Hand darüber hielt und mit einem Finger auf meinen Lippen signalisierte, er solle sich ruhig verhalten. Seine Augenbrauen zogen sich völlig perplex zusammen und man konnte ihm ansehen, welch Überraschung das für ihn war. Vorsichtig zog ich meine Hand wieder runter und schaute ihn einfach nur an. Ich suchte nach den passenden Worten, öffnete meinen Mund um was zu sagen, hielt jedoch inne und schloss ihn wieder.
"Was zum Teufel Blake?"
"Ich kann das erklären!"
Die Worte sprudelten gleichzeitig in einem schreienden Flüsterton aus unseren Mündern. Neal schaute zum Vorhang um sicher zu gehen, dass uns niemand beobachtete. Dann drehte er sich wieder zu mir und hob seinen Finger, doch gleichzeitig tat ich es auch.
"Das ist doch völlig verrückt.."
"Es ist anders als es scheint.."
"..ist ihnen bewusst wie gefährlich das ist..."
"..es ist einfach so gekommen.."
"..Peter wird außer sich sein.."
"..eigentlich wurde ich eher reingezogen.."
"..und er wird mich dafür verantworten!.."
"..sagen Sie Peter nichts!.."
Wir sprachen völlig durcheinander, sodass wir nicht mehr als den letzten Satz des jeweils anderen verstanden und uns nun erneut schweigend anstarrten. Nach kurzer Zeit schweifte Neal's Blick zur Seite und er schloss seine Augen.
"Wir dürfen nicht auffallen, Sie sollten jetzt gehen."
Er richtete seine Augen wieder auf mich und sah dabei äußerst ernst aus. So sehr ich auch gern widersprechen würde, hatte er recht. Meine Schicht war um und ich hatte hier nichts mehr zu suchen, schon gar nicht mit einem von Del Santos Kunden. Schweigend senkte ich meinen Kopf und schlängelte mich an ihm vorbei.
"Wir sehen uns."
Es war nur ein kaum hörbares Murmeln, doch laut genug um Neal's Ohren zu erreichen. Obwohl ich noch gern so viele andere Sachen sagen würde, steuerte ich den Ausgang zu ohne mich ein weiteres Mal umzudrehen. Wir sehen uns. Von allem was ich hätte sagen können, wählte ich genau die Worte die am überflüssigsten waren.
"Grace!"
Mein Gedanken wurden von einer tiefen Männerstimme unterbrochen und ich nahm immer näher kommende Schritte hinter mir wahr. Mit einer zum Ausgang gerichteten Haltung, drehte ich meinen Kopf leicht nach hinten nur um Carlos zu entdecken. Fragend schoss meine Augenbraue in die Höhe.
"Eines der Mädchen fällt morgen aus und du könntest sie in einer der Gruppen ersetzen. Dann würdest du direkt einen kleinen Probeeinstieg bekommen."
Ich zögerte einen Moment, da ich eigentlich für morgen andere Pläne hatte. Carlos bemerkte mein Zögern und runzelte seine Stirn.
"Das war kein Angebot Kleines. Das war ein Befehl."
Erneut stellte sich mir die Frage, wie ich mich um Himmels Willen auf all das hier einlassen konnte, doch nickte schließlich stumm. Carlos schaute mich noch einen Augenblick skeptisch an, kehrte jedoch anschließend um und tauchte im Club unter während meine Augen ihn verloren. Stattdessen fanden sie ein blaues Augenpaar, welches auf mich gerichtet war. Neal war die Verwirrung und Neugierde ins Gesicht geschrieben und er blickte mich fragend an, was ich nur mit einem neutralen Gesichtsausdruck quittierte. Für heute reichte mir die ganze Aufregung und ich verließ kurzerhand den Club.
Draußen wehte mir ein angenehmer Wind entgegen und automatisch strich ich mir mit der Hand durch mein Gesicht, als würde es mir helfen die Müdigkeit abzuschütteln. Doch dies war nicht der Fall. Stattdessen ließen meine Schultern nach und hingen antriebslos nach unten. Um diese Uhrzeit war die Straße nicht mehr ganz so befahren und ein Taxi zu bekommen glich einer Wahrscheinlichkeit von Null, da in dieser Gegend eher Limousinen angefahren kamen. Dadurch dass ich meine Rolle behalten wollte kam ich mit der U-Bahn, doch jetzt gerade glaubte ich nicht daran es mit dieser auch wieder zurück zu schaffen. Also beschloss ich mein Handy zu nehmen und eine Straße weiter ein Taxi zu rufen, doch noch ehe ich das Handy aus der Tasche gezückt hatte, nahm ich eine Stimme hinter mir wahr.
"Sie sind also die neue Tänzerin."
Schwungvoll wirbelte ich herum und starrte in das Gesicht von Matthew Keller. Meine Atmung beschleunigte sich leicht, doch ich versuchte die Ruhe zu bewahren. Es standen mir zwei Optionen zur Verfügung: erstens, ich könnte ihn abschütteln da er mir nicht ganz vertrauenswürdig erschien oder zweitens, meinen Plan durchsetzen um ihn zu meinem Kunden zu machen, wobei ich nicht sicher war ob ich dass denn auch wirklich wollte.
"Und Sie sind Del Santos neuer Geschäftspartner."
Vor dem Club zu plaudern erschien mir eine äußert undurchdachte Idee zu sein, weshalb ich meinen Weg zur nächsten Straße ansetzte. Matthew folgte mir, was wohl bedeuten musste dass er ebenfalls an eine Gespräch interessiert war.
"So würde ich das nicht nennen, es ist viel mehr ein Beraterposten."
Meine Mundwinkel zuckten einen Moment nach oben als mir der Gedanke kam dass er das Kriminelle Exemplar von Neal war.
"Grace, richtig?"
Sein Tempo erhöhte sich und schon bald lief er direkt neben mir.
"Exakt."
Ohne ihn eines Blickes zu würdigen ging ich stur weiter. Mir war nicht ganz bewusst welche Option ich von den beiden gerade durchführte, aber so wie es ausschaute tendierte ich zu Nummer eins. Keller ließ sich jedoch nicht abschütteln und hielt Schritt mit mir.
"Wie kamen sie auf den Club?"
Für meinen Geschmack schien er mir ein wenig zu neugierig, weshalb ich in meine Tasche griff um schon einmal die Nummer für ein Taxi in mein Handy einzutippen.
"Wie unhöflich von mir! Lassen Sie es mich anders formulieren: wie kamen sie auf den Club mit einem doch so guten Job eigentlich."
Nun erlangte er meine volle Aufmerksamkeit und ich kam abrupt zum Halt, wodurch Keller ein paar Meter vor mir stehen blieb und sich umdrehte. Im ersten Moment blieb meine Reaktion aus, da ich meine aufkommenden Gefühle sammeln musste, doch schon bald ballten sich meine Hände zu Fäusten und Wut stieg in mir auf.
"Was zum Teufel wird das?"
Meine Stimme glich nicht mehr als einem Zischen, doch das reichte vollkommen. Leider hatte es nicht den gewünschten Effekt, denn Kellers Augen funkelten erfreut auf. Er musterte mich mit einem schelmischen Lächeln und kam einen Schritt auf mich zu. Automatischen wanderte meine Hand, die noch in meiner Tasche steckte, zu meinem Klappmesser und umfasste es mit jedem meiner Finger.
"Sie haben mich da drinnen fast aus meiner Rolle fallen lassen. Ich war äußerst überrascht Sie an einem gemeinsamen Tisch mit Del Santo sitzen zu sehen. Damit hab ich nun wirklich nicht gerechnet."
Mein Brustkorb bewegte sich nun schneller auf und ab und mich überkam für einen kurzen Augenblick ein Schwindelgefühl aus Panik. Keller hingegen stand ganz entspannt mit seinen Händen in den Hosentaschen und schaute mich weiterhin an. Nach einem Moment des Schweigens fand ich meine Stimme, die mir zum Nachteil ziemlich heißer und trocken klang.
"Wer sind Sie?"
Ich versuchte diese Überrumplung durch den Überraschungseffekt so gut es ging zu überspielen, doch zum ersten Mal in meinem Leben war ich anscheinend zu überfordert damit. Keller trat noch einen Schritt auf mich zu und stand nun nur noch ein paar Zentimeter entfernt. Seine Nähe löste sofort ein Unbehagen in mir aus, welches nicht abzustellen war.
"Ich bin der, der ihr Leben verbessern oder vernichten wird. Es liegt bei Ihnen."
Seine Augen strahlten Kälte und Skrupellosigkeit aus, die mir einen Schauer über den Rücken laufen ließen. Doch ich beschloss dass seine kleine Show genug für mich gewesen ist. Ich zückte das Messer doch noch bevor ich ihn auch nur ansatzweise bedrohen konnte, packte er meine angehobene Hand, drückte sie nach hinten gegen meinen Rücken und stieß mich gegen die Wand. Aus Schreck und Schmerz ließ ich automatisch das Messer fallen und atmete als würde auf der Erde der Sauerstoff ausgehen. Die kalte Fläche der Backsteine schmiegte sich an meine Wange während ich panisch einen Ausweg aus dieser Situation suchte.
"Was bist du doch für ein zähes Miststück."
Sein Hauch traf mein Ohr und ich spürte förmlich die Bedrohung welche von ihm ausging. Sowie die Situation entstanden ist, war sie auch plötzlich wieder vorbei und Keller entfernte sich von mir. Ohne noch einmal zu mir zu schauen ging er über die Straße und hob seine Hand als Abschied.
"Wir werden uns jetzt öfters sehen, Schätzchen."
Völlig paralysiert stand ich an der kahlen Wand und bewegte mich keinen Zentimeter. Mein Blick war starr in die Dunkelheit gerichtet in der Keller langsam verschwand. In meinem Kopf flog alles quer umher, unzählige Fragen, Panik, Überforderung, Müdigkeit. Alles schien ein einziges Gefühlschaos zu bilden welches ich nicht sortieren konnte und plötzlich merkte ich wie mein Kopf pochte. Die Schmerzen sind mir vorher nicht aufgefallen oder einfach nicht aufgetreten, doch nun waren sie das einzige was ich wahrnahm. Meine Hand wanderte wieder in meine Tasche zu meinem Handy und ich löste mich langsam aus meiner Paralyse. Während meine rechte Hand nach dem Handy griff, massierte die Linke meine Schläfen. Was ich mehr als alles andere momentan brauchte war Schlaf und den würde ich mir jetzt auch holen. Innerhalb von 5 Minuten hatte ich die Nummer eingetippt und ein Taxi gerufen, jetzt hieß es nur noch warten. Während ich mich an die Wand lehnte ging ich noch mal den ganzen Tag durch. Er schien mir so unendlich lang, dass der Gedanke vor nicht einmal 24 Stunden aufgestanden zu sein so absurd schien wie mein ganzer Plan.
Noch immer wusste Peter nichts von meinem allein Gang, doch das würde sich vermutlich schleunigst ändern wenn Neal morgen im Büro auftaucht.
Es sein denn.. meine Augen weiteten sich und ich stieß mich von der Wand ab.
Peter musste nicht zwingend etwas von meiner neuen Anstellung wissen, alles was ich dafür tun musste war Neal zu überreden es für sich zu behalten und mir fielen da auch schon die passenden Argumente ein.
Morgen musste ich ihn dann nur noch vor der Arbeit abfangen und auf einen lieblichen Morgenkaffe einladen und die Sache wäre vom Tisch. Ach warum bis morgen warten, wenn der Club doch nur eine Straße weiter war und wir das direkt klären könnten. Doch noch bevor ich umkehren konnte, fuhr ein gelbes Taxi ran und das Fenster wurde runter gekurbelt.
"Williams?"
Der Fahrer sah ziemlich übermüdet aus und scheinbar fühlte er sich in der Gegend nicht all zu wohl. Natürlich würde ihn kaum einer hier ausrauben da es nicht wirklich an Geld mangelte in so einer Gegend, doch ein Raub wäre nur die kleinste Sorge. Ich nickte stumm und begab mich auf die Rückbank des Wagens.
"1st Avenue, East Village bitte."
Zunächst musterte er mich nur im Rückspiegel, doch schließlich fuhr er schweigend los. Ich machte es mir auf der Rückbank gemütlich und verschmolz schon beinahe mit dem weichen Leder. Meine Knochen wurden so schwer dass ich Angst hatte sie gleich nicht mehr heben zu können. Es fiel mir immer schwerer meine Augenlider oben zu halten und beinahe klappten sie endgültig zu als ich die Nachrichten des Radios wahrnahm.
"..trotz der mehreren Verbrechen die ihm vorgeworfen wurden, konnte nur eins davon bewiesen werden und durch das Durchsetzungsvermögen seines Anwalts.."
Sofort war die Müdigkeit wie weggeblasen und ich schoss in die Höhe, sodass sogar der Fahrer leicht zusammen zuckte.
"Machen Sie das lauter!"
Ein völlig entgeistertes Gesicht schaute mir entgegen, doch ich ließ mich nicht von meinem Gedanken abbringen.
"Na los, worauf warten sie verdammt."
Als sich der Fahrer immer noch nicht bewegte, vermutlich weil er geschockt von meinem plötzlichen Verhalten war, beugte ich mich nach vorne und schaltete den Sender selbst lauter.
"Was soll denn-"
"Seien Sie kurz still!"
Endlich wurde der Fahrer ruhiger und schaute genervt auf die Straße, indessen verharrte ich in meiner Position.
"...herrschen gespaltene Meinungen: während die einen ihn für einen begabten Arzt halten, sind andere der Meinung er sei ein Betrüger der von Privilegien profitiert. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass sein Versicherungsbetrug zu einer Kompromittierung seines selbst führte und der erneute Einstieg nach seiner heutigen Entlassung kein einfacher für Dr. Thomas Martin sein wird. Ob es eine willkürliche-"
Ich schaltete das Radio aus, da mir das bereits Gesagte genügte. Montgomery hat also sein Gutachten bekommen und es ist positiv ausgefallen. Langsam lehnte ich mich wieder zurück auf meinen Platz und schaute gedankenverloren aus dem Fenster. Zehn Minuten später kamen wir zum Halt und ein genervtes '40,60 Dollar' kam von vorne. Augenblicklich breitete sich Peinlichkeit für mein Benehmen von vorhin aus und ich holte einen Fünfziger raus dem ich dem Mann in die Hand drückte.
"Entschuldigend Sie und noch einen schönen Abend."
Ohne eine Antwort abzuwarten stieg ich aus und ging in mein Wohnhaus.

Con (Neal Caffrey)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt