#1.8 Rückkehr

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Am Dienstagabend, als ich von der Arbeit zurück und geduscht bin, und mir einen Tee gekocht habe, klingelt es an der Tür. Es ist Marc.

Es ist das erste Mal, dass ich ihn wiedersehe seit er mich verlassen hat. Seit ich nach Hause gekommen war und den Brief auf dem Küchentisch vorgefunden habe.

Ich wusste zwar, dass er irgendwann zurückkehren würde, um seine Sachen zu holen, und ich habe mich innerlich darauf vorbereitet. Aber ich wusste nicht, wann das sein würde. Vielleicht dachte ich auch, er würde kommen, solange ich auf der Arbeit sei.

Und so bin ich doch überrascht, als er auf einmal vor mir steht. Für einen Moment kommt es mir so vor, als sei das ganz normal. Am liebsten würde ich ihm um den Hals fallen und hätte ihn an mich gedrückt. Aber dann fällt mir wieder ein, dass das nicht geht. Er ist schließlich nicht von einer Geschäftsreise zurückgekehrt oder aus dem Krankenhaus oder aus dem Krieg, was ich vielleicht instinktiv hoffe, als ich ihn sehe, sondern er hat mich verlassen und will aller Wahrscheinlichkeit nach nur ein paar Sachen mitnehmen und die eine oder andere Angelegenheiten klären.

Also halte ich mich zurück. Ich verschränke die Arme vor meiner Brust, wie um zu verhindern, dass sich meine Hände selbständig in seine Richtung bewegen, um ihn zu umarmen, und versuchte so zu tun, als sei ich beschäftigt gewesen und er mir egal. Ich lasse ihn erst vor der Tür stehen, frage was er will und trete dann scheinbar widerwillig zur Seite.

Er steht vor mir und fragt wie es mir gehe und ich hebe die Schultern. Er nickt, sagt, er müsse ein paar Sachen holen und wir müssten noch Dinge klären - wann er die Möbel mitnehmen könne zum Beispiel, und wie wir wegen der Wohnung weiter verfahren sollten, davon abgesehen, die ja noch auf uns beide laufe.

Er hat bis jetzt pünktlich die Miete auf das Konto des Vermieters überwiesen, jedenfalls habe ich nichts Gegenteiliges gehört und das, obwohl ich die Zahlung meines Anteils auf Marcs Konto eingestellt habe. Davon sagt er nichts. Er fühlt sich schuldig. Er sagt, dass er in sein Arbeitszimmer müsse und ich nicke. Während er Schubladen und Schränke öffnet und Gegenstände in eine Sporttasche packt, die in einer Ecke gelegen hat, stehe ich an die Tür gelehnt und beobachtete ihn.

Als er fertig ist und wieder gehen will, spüre ich wie ich panisch werde. Ich kann es nicht ertragen, gleich wieder allein zu sein. Ich frage nach den Wohnungsschlüsseln, er solle sie auf den Tisch legen, und wenn er das nächste Mal die Wohnung betreten wolle, solle er vorher anrufen und mit mir einen Termin vereinbaren. Ich stehe nicht zu jeder beliebigen Zeit zu seiner Verfügung, sage ich. Und was er sich überhaupt herausnehme, mich einfach so abzuservieren. Ich versuche ihm ein schlechtes Gewissen zu machen, zähle ihm die Dinge auf, die ich wegen ihm aufgegeben habe, dass ich nur seinetwegen in dieser scheiß Stadt geblieben sei, sage ich, und diese verfickte Arbeit angenommen habe. Weil er und ich das so verabredet haben. Ob er sich daran noch erinnere, frage ich. An all die Versprechen, die wir uns gegeben haben, und die mich hier gehalten haben. Es sei nicht so lange her, da haben wir noch Kinder zeugen wollen.

Er sieht mich betreten an. Er sagt, es tue ihm unendlich leid, er habe mir das nicht versauen wollen, aber er glaube, dass es für uns womöglich besser so sei.

„Was ist besser?", fahre ich ihm ins Wort und sehe ihn an, „glaubst Du wirklich, dass das besser für mich ist, Marc?"
Ich werde jetzt laut und hab mich nicht mehr unter Kontrolle. Hilflos trete ich mit dem Fuß auf den Boden wie ein Trommler, dann hebe ich mein T-Shirt und zeige ihm meinen ausgemergelten Körper, meinen Bauch, der nur noch eine Mulde oberhalb des Beckens ist und die Rippen, die durch die Haut spitzen als wollten sie sie durchbohren. „Das hast du aus mir gemacht!", rufe ich, und er senkt betreten die Augen.

„Das tut mir leid, Lena."

„Scheißkerl", sage ich, sehe ihn an und dreh mich dann zum Fenster, weil ich anfange zu weinen. Er habe nicht gewusst, dass mich das so treffe, sagt er. Ich auch nicht, flüstere ich wie zu mir selbst, während ich mir die Tränen mit den Händen wegwische. Wie fertig ich bin, denke ich. Ich brauche dringend Hilfe.

„Du brauchst Hilfe, Lena", sagt er. Er stellt die Tasche wieder auf den Boden und kommt zu mir, und nimmt mich in den Arm. Ich hasse mich dafür, aber ich brauche das jetzt. Danach stehen wir eine Weile rum und schließlich frage ich, ob er noch etwas bleiben wolle, etwas mit mir trinke, ich könne ihm auch etwas zu essen machen, falls er hungrig sei.

Er bleibt und ich koche und wir reden. Es ist mir völlig egal, worüber wir reden, ich will ihm jetzt keinen Kummer mehr bereiten. Wir sitzen zusammen am Tisch wie früher, und ich verspüre zum ersten Mal seit Wochen wieder ein wenig Appetit. Ich nehme mir etwas von dem warmem Reis und der Gemüsesoße, und esse ein paar wenige Gabeln davon unter seinen besorgten Augen. Am liebsten würde ich mich von ihm füttern lassen. Mein Bauch hebt sich jetzt wieder etwas und gluckst zufrieden und wir lachen.

Später biete ich ihm an, auf dem Sofa zu übernachten, weil er Wein getrunken hat und nicht mehr fahren sollte. Und in der Nacht, auf dem Rückweg von der Toilette, leg ich mich dann zu ihm. Ich drängle meinen abgemagerten Körper in seine Arme und als er anfängt, mich zu liebkosen, reibe ich meinen Hintern an ihm, führe seine Hände unter mein T-Shirt und dann lieben wir uns. Er ist jetzt wieder so zart und vorsichtig wie früher.

Die AndroidinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt