#1.9 Silberstreifen

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Am nächsten Tag bin ich müde weil ich kaum geschlafen habe. Aber im Vergleich zu den Tagen zuvor, geht es mir besser.

Es kommt mir vor, als sei ich wieder etwas zu Kräften gekommen und könne neue Zuversicht schöpfen. Ich kann wieder klar denken und zum ersten Mal wird mir bewusst, dass Marc und ich jetzt getrennt sind, und dass das etwas endgültiges ist. Vielleicht hab ich ja nur dieses Abschiedsritual gebraucht, und kann jetzt mein Leben wieder in den Griff bekommen.

Ich werde mir eine neue Wohnung suchen, denke ich, etwas kleineres, in einem anderen Stadtviertel, außerdem werde ich in den sauren Apfel beißen und mich bei einer Partnerbörse anmelden, und sei es nur um mich nicht so einsam zu fühlen, ein bisschen zu flirten und mein Selbst aufzumöbeln. Wenn ich wieder zu Kräften komme, zum Friseur gehe, wieder zum Yoga gehe, ein Kleid anziehe und mich hübsch mache, fühl ich mich bestimmt gleich ganz anders. Außerdem steht das Frühjahr vor der Tür. Ich bin gerade dreißig geworden, ich bin immer noch eine attraktive Frau, der alle Türen offen stehen. Womöglich macht mich dieser Rückschlag am Ende sogar stärker. Ganz bestimmt sogar.

Soweit die Theorie. Jetzt geht es um die Praxis.

Noch am Abend schreib ich die Kündigung für die Wohnung, um Nägel mit Köpfen zu machen, und stecke sie in den Umschlag, den ich morgen früh bei der Hausverwaltung einwerfen werde. Dann recherchiere ich nach Wohnungen und verschicke Nachrichten mit der Bitte um einen Besichtigungstermin. Ich zieh auf die andere Seite des Rheins, soviel steht fest. Nicht nur, weil dort der Wohnraum günstiger ist, sondern weil immer mehr Kreative und Künstler dort hinziehen, neue Cafés, Bars und Boutiquen wie Pilze aus dem Boden schießen. Ganz gewiss ist das ein perfektes Umfeld, um etwas Neues zu beginnen. Vielleicht werde ich dort hineinwachsen, denke ich, einen neuen Partner und Freunde finden. Vielleicht werde ich auch erst Mal ein paar lose Affären haben, um mich neu zu orientieren.

Jetzt, wo ich so vor dem Rechner sitze und mir die Sommerkollektionen meiner Lieblingsmarken ansehe, erscheint mir die Welt auf einmal wieder viel freundlicher. Auch wenn ich jetzt noch etwas niedergeschlagen bin. Vielleicht erlebe ich dadurch meine Rückkehr ins Leben umso intensiver. Phönix aus der Asche.

Ich stelle mir vor, wie ich mit meiner neuen Tasche und in diesem weißlich schimmernden Sommerkleid, das auf den Fotos von einem dürren Model getragen wird, das fast meine Maße hat, zu meinem ersten Date gehe, mich verführen lasse und am nächsten Morgen in der hübschen Wohnung dieses Mannes aufwache, den ich jetzt noch gar nicht kenne. Ich löse mich aus seinen Armen, streife mein Kleid über, mache mir notdürftig die Haare und schlüpfte in meine Sandalen, und gehe dann hinaus auf die Straße, kaufe mir einen Kaffee, den ich auf dem Weg zur Arbeit in der U-Bahn trinke. Mit rosa Wangen und lachenden Augen. Jeder auf der Straße wird mir ansehen, dass ich eine glückliche, unabhängige Frau bin, die die Freuden des Lebens genießt, aber auch die Schattenseiten kennt.

So oder so ähnlich. Es klingt etwas kitschig, wie in einem schlechten Liebesroman. Aber warum auch nicht? Warum sollte mein Leben nicht wie in einem kitschigen Liebesroman verlaufen. Wenigstens für eine Weile. Und eines Tages wird aus dieser Phase meines Lebens ganz natürlich, wie aus der Blüte eine Frucht, etwas Festes und Stabiles. Ich werde mir sehr viel Zeit lassen dieses Mal. Denn offensichtlich hab ich bei Marc irgendetwas übersehen, und ich nehme mir vor, beim nächsten Mal nichts zu übersehen. Aber irgendwann werde ich vielleicht aufwachen und wissen, dass ich mich verliebt habe, dass dieser Mann, der mich im Arm hält, der Richtige für ist und ich werde womöglich verstehen, warum Marc das nicht gewesen ist.

Ich sehe viel klarer jetzt und ich bin mir auf einmal sehr sicher, dass zwischen Marc und mir irgendetwas nicht gestimmt hat, und dass diese Unstimmigkeit, diese Unwucht im Getriebe, unsere Beziehung langfristig zerstört hat, dass sie der Grund war, warum er überhaupt auf diese seltsame Idee gekommen ist, mit einer Androidin durchzubrennen.

Je länger ich darüber nachdenke, umso sicherer bin ich mir, dass nicht ich ein Problem habe, sondern er hat ein Problem. Und ich kann mir gut vorstellen, wie Marc eines morgens aufwachen und sich fragen wird, welchen Irrsinn ihn eigentlich geritten hat, als er mich gegen diesen pseudo-intelligenten Toaster mit Sex-Funktion eingetauscht hat. Womöglich bemitleide ich Marc in diesem Moment sogar ein bisschen. Ich frage mich, ob es etwas mit seiner psychischen Verfassung zu tun haben könnte, dass er so handelt. Nicht, dass er krank wäre. Er war eigentlich ein lieber Kerl. Aber natürlich hat er seine Leichen im Keller, so wie wir alle, und er neigt dazu, Probleme unter den Teppich zu kehren, Dinge, die er tut nicht zu reflektieren, den Ursachen nicht auf den Grund zu gehen, auch wenn sie Konsequenzen haben. Wenn es um ihn selbst geht, ist er ziemlich lernresistent.

Die AndroidinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt