#2.7 Kim und ich

333 45 5
                                    

Marc und ich haben in den letzten Wochen so viel Sex wie in unseren ganzen beiden letzten Beziehungsjahren nicht. Irgendetwas scheine ich ihm zu geben. Er ist zärtlich und liebevoll, manchmal auch etwas ungestüm, aber das macht nichts, weil ich den Eindruck habe, dass er mich wirklich begehrt, und weil ich es süß finde, wenn er zu früh kommt und sich dann entschuldigt und ich ihn im Arm halten und ihm verzeihen kann.

Und natürlich kennt er meine erogenen Zonen und weiß, was ich mag und was nicht. Es fühlt sich vertraut an, wenn er mich berührt, und wir experimentieren jetzt sogar wieder ein wenig und entdecken eine neue Stellung, die sehr intim ist, und die wir beide mögen.

Als wir uns an einem Samstagmorgen einmal im Halbschlaf lieben, vergessen wir, dass er kein Kondom trägt. Es ist noch früh am Morgen und wir sind beide verschlafen und unsere Körper sind weich und warm von unseren Träumen. Erst denke ich mir nichts dabei, aber dann wird mir wieder meine Lage klar, und ich stehe panisch auf und renne ins Bad und wasch mich.

Marc ist da viel entspannter. Es tue ihm leid, sagt er schuldbewusst als ich zurückkehre und küsst mich, fragt mich, ob ich meine fruchtbaren Tage habe und ich sehe in meinem Handy nach. Aber ich mach ihm keinen Vorwurf, es war genauso meine Schuld. Zum Glück passiert nichts. Ein paar Tage später gebe ich Entwarnung.

Aber seit diesem morgen denke ich zum ersten Mal seit langem wieder ans Kinderkriegen. Ich bin jetzt in einem Alter, in dem das wahrscheinlich normal ist. Ich hab noch Zeit aber ich weiß, dass die Uhr tickt. Wenn ich eine Familie möchte, muss ich mir bald einen Mann angeln, der dafür in Frage kommt. Das dauert. Und natürlich kommt mir auch der Gedanke, dass Marc und ich vielleicht doch noch eine Chance haben. Ich meine ohne Kim. Ich traue mich nicht, ihn das zu fragen, weil ich ihn kenne, bestimmt würde er böse werden, wenn er das Gefühl hat, dass ich ihn unter Druck setze, nachdem er so gut zu mir gewesen ist. Und natürlich habe ich Angst, dass er die Sache mit mir beendet und ich dann wieder in ein Loch falle, aus dem ich vielleicht nicht mehr herauskomme.

Es ist alles so schwierig geworden. Früher schien alles so einfach. Inzwischen bin ich mir nicht mal mehr sicher, ob ich Marc noch liebe. Ich bin gerne bei ihm, ich schätze die Sicherheit, die er mir trotz allem gibt. Aber Liebe fühlt sich anders an. In meiner Erinnerung ist Liebe etwas Unschuldiges, etwas Schönes und Gegenseitiges und kein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis, das von ständigen Verlustängsten geprägt ist.

Trotzdem denke ich darüber nach, wie ich es anstellen könnte. Vielleicht sollte ich auch einfach warten und darauf hoffen, dass Marc selbst irgendwann auf die Idee kommt, etwas in der Richtung zu unternehmen. Vielleicht war ja seine sehr ruhige Reaktion auf dieses Malheur ein Zeichen, dass er durchaus bereit wäre, sich das alles noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Dass er selbst wieder daran denkt, eine Familie zu gründen. Den Wunsch kann ihm Kim nicht erfüllen.

Als ich an einem Freitag bei Marc zu Hause anrufe, weil ich meine Sonnenbrille vermisse und wissen will, ob ich sie in seinem Auto vergessen habe, geht Kim ans Telefon. Normalerweise rufe ich die Nummer auf seinem Handy an, aber diesmal denke ich, dass es vielleicht besser ist auf der Festnetznummer anzurufen. Wahrscheinlich will ich nur demonstrieren, wie cool ich geworden bin, dass ich aus unserer Affäre kein Geheimnis mehr mache. Oder ich möchte wirklich, dass sich das Verhältnis zwischen Kim und mir normalisiert. Womöglich kann ich Kim dadurch entzaubern.

Es ist das erste Mal, dass ich diese Nummer wähle und ich kann förmlich hören, wie der Klingelton durch das Haus schwirrt, einen Raum nach dem anderen durchkreuzt, und ich sehe vor meinem inneren Auge wie diese Räume eingerichtet sind, ohne je dort gewesen zu sein. Weiße verputzte Wände mit schlichten opaken Gemälden oder Kunstdrucken sehe ich. Helle Möbel in Holz, Beton oder Kunststoff, die auf weiß gefliesten Böden stehen. Bücher und Vasen und kleinere Utensilien.

Als Kim abnimmt, zögere ich erst. Ich stammle etwas, entschuldige mich für die Störung. Aber sie ist wieder entwaffnend freundlich, und auch ein bisschen redselig, wenn man bei ihr davon sprechen kann, vielleicht kennt sie ja keine Eifersucht, aber Langeweile, denke ich. Sie sagt, dass Marc erst auf einer Fortbildung gewesen und danach noch zu seinen Eltern gefahren sei. Er komme aber Sonntagabend oder Montagmorgen zurück, und bestimmt würde er an sein Handy gehen. „Danke, Kim", sage ich. Es ist das erste Mal, dass ich ihren Namen ausspreche und sie antwortet mit, „gerne, Lena." Ich zögere einen Moment und verabschiede mich dann und sie wünscht mir einen schönen Abend.

Nachdem ich aufgelegt habe, behalte ich das Telefon in der Hand. Mir kommt nämlich der Gedanke, mich mit Kim zu verabreden. Wenn ich mit ihm nicht reden kann, vielleicht kann ich mit ihr reden, denke ich, um herauszufinden, mit was ich es eigentlich zu tun habe, was für eine Art Beziehung sie führen, ob sie nur eine Haushaltshilfe mit Sex-Funktion ist oder ob sie wirklich fähig ist, Liebe oder etwas ähnliches zu empfinden.

Ich weiß nicht, wie Marc darauf reagieren wird, das stimmt schon, aber ich kann ja nicht nur passiv bleiben in dieser Beziehung und mir alles bieten lassen. Und wenn er fragt, warum ich mich mit ihr verabreden will, sage ich, dass ich unsere Beziehung normalisieren möchte, es sei ja ein offenes Geheimnis, dass er mit uns beiden schlafe.

Also drücke ich die Wahlwiederholung. Diesmal hebt Kim schon nach dem ersten Klingelton ab, so als habe sie schon geahnt, dass ich noch einmal anrufen würde. „Hallo Lena", sagt sie sehr freundlich, „entschuldige Kim", sage ich, und dann frage ich sie, ob sie sich vorstellen könne, sich mit mir zu treffen. Ich wisse, dass das ein seltsames Anliegen sei, füge ich gleich hinzu, noch bevor sie antworten kann, aber da die Situation nun eben sei wie sie sei, sage ich, könnten wir ja auch darüber reden. Sie müsse sich auch keine Sorgen machen, sage ich, ich habe nicht vor, ihr Vorwürfe zu machen oder sie in die Enge zu treiben. Sie zögert keine Sekunde. „Natürlich nicht", sagt Kim, „warum kommst Du nicht einfach vorbei? Oder ist es Dir lieber, wenn ich zu Dir komme?" Ich lache, weil ich erstaunt bin über das Angebot und sie wirkt leicht verunsichert, so als habe sie etwas Ungehöriges gesagt. Ich frage, ob es ihr etwas ausmache, wenn wir uns stattdessen irgendwo draußen treffen würden, „morgen soll schönes Wetter sein",sage ich, vielleicht könnten wir für den Anfang einfach im Park einen Spaziergang machen. „Sehr gerne", sagt Kim und wir verabreden uns für halbdrei.

Die AndroidinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt