#3.2 Der Anfang vom Ende

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Wie konnte es nur soweit kommen? Wie konnte es geschehen, dass ich hier gelandet bin? Dass ich hier ende?
Ich habe doch wirklich alles versucht, alles getan.
Ich hab die Wohnung gewechselt, mich bemüht, meinen Job zu behalten, mich wegbeworben, als mir klar wurde, dass ich keine Zukunft in Köln habe. Mich sogar bei dieser schrecklichen Partnerbörse angemeldet, ich hab Fotos aufgenommen und hochgeladen und mich anstieren lassen. Es ist als wolle mich dieser verkorkste Lebenswurf partout nicht mehr loslassen, als sei diese Sackgasse mein grausames Schicksal.

Natürlich ist dieses Kind kein Wunschkind. Natürlich hab ich nie die Absicht gehabt, mit Kim und Marc in einer für Marc offenen Beziehung unter einem Dach zu leben. Ich wollte mein eigenes Leben führen. Ich wollte mein eigener Herr, ich wollte nicht eine Gefangene, die zweite Frau eines Mannes sein, den ich schon lange nicht mehr ausstehen kann, geschweige denn liebe.

Aber seit dieser Schwangerschaft, seit mir klar geworden ist, dass ich schwanger bin, ist mir die Situation vollends entglitten.

Es war wie ein Schock als damals meine Tage ausgeblieben sind und mir morgens regelmäßig schwindlig und übel war, ich mich im Bad übergeben und ich schließlich einsehen musste, dass die drei Schwangerschaftstests, die ich gemacht habe, nicht lügen.

Ich habe keine Ahnung wie das passieren konnte. Ich weiß noch nicht einmal, ob es von Marc oder von meinem Ex-Chef ist. Es ist eigentlich unmöglich, dass das passiert. Marc und ich hatten damals, als wir noch verlobt und zusammen waren, mindestens ein halbes Jahr lang versucht, ein Baby zu machen. Nicht mit allen Mitteln, aber wir haben doch darauf geachtet, dass wir es tun, wenn ich meine fruchtbaren Tage hatte... Und jetzt bin ich von diesem einen Mal schwanger? Von diesem einen Mal, obwohl weder Marc noch mein Ex-Chef, soweit ich mich erinnere, richtig in mir gekommen sind? Und das, obwohl ich körperlich so angefressen bin.

Deshalb hab ich das auch so lange nicht glauben können, weil ich körperlich und psychisch in so einer desolaten Verfassung war, dass ich glaubte, dass das der Grund sei, weshalb meine Tage ausgeblieben sind. Vielleicht dachte ich sogar, ich sei verfrüht in die Wechseljahre gekommen. Selbst das erschien mir damals noch realistischer als anzunehmen, dass ich wirklich schwanger bin. Selbst jetzt kommt es mir noch immer wie die jungfräuliche Empfängnis vor.

Aber als ich es dann akzeptiert habe, als ich keine andere Wahl mehr hatte, um genau zu sein, war mir sofort klar, dass ich es abtreiben muss. Das war der erste Gedanke, den ich fasste, nachdem der andere Gedanke, der Gedanke, dass das einfach alles nicht wahr sein kann, dass kein Mensch auf der Erde so viel Pech im Leben haben kann, nicht mehr haltbar war. Und das war auch der einzig richtige Gedanke.

Aber ich hab zu lange gewartet. Ich hab die Wochen verstreichen lassen. Erst hab ich den Termin bei der Schwangerschaftsberatung wegen eines Vorstellungsgesprächs abgesagt. Dann hat mir die Frau von der Schwangerschaftsberatung ins Gewissen geredet. Und dann hatte ich auch noch immer häufiger diese seltsamen Glücksmomente. Es waren die einzigen Momente des Glücks, die ich seit Wochen verspürt habe. Die einzigen Momente, in denen ich mich halbwegs gut gefühlt habe und an die ich mich selbst jetzt noch gerne zurückerinnere.

Wie hätte ich mich unter diesen Umständen dazu entschliessen sollen, abzutreiben? Das einzige Wesen, dass mich noch glücklich macht, auslöschen. Mein eigen Fleisch und Blut. Wie hätte ich so herzlos, so selbstzerstörerisch sein können?

Aber als ich dann bei Marc vor der Tür stand, fühlte es sich trotzdem wie eine schlimne Niederlage an. Es fühlte sich so an, als stoße mir irgendein fieser Matador den Dolch in den Bauch, nachdem er mir zuvor schon zahllose kleinere schmerzhafte Wunden mit allerhand farbigen Spießen zugefügt hat, die mich in die Knie gezwungen haben.

Marc hatte mir angeboten, bei ihm wohnen zu können. Der Vorschlag kam von ihm. Er ging davon aus, dass es sein Kind sei, und ich hab ihn in diesem Glauben gelassen, bis jetzt, obwohl ich noch immer nicht weiß, ob es wirklich sein Kind ist. Gut möglich, aber vielleicht auch nicht. Vielleicht ist es auch von meinem Ex-Chef. Es ist auch so typisch für Marc, für diesen neuen Marc, der mir wie ein Fremder vorkommt, dass er gar nicht erst auf die Idee kommt, dass ich noch mit einem anderen ins Bett gehen könnte. So selbstbesoffen wie er ist, glaubt er, er sei der einzige Mann, für den sich eine Frau interessieren könne.

Ich habe es ihm an einem Freitagabend beim Essen in einem Restaurant bei Kerzenschein erzählt. Eigentlich war das ein sehr schöner, sehr intimer Abend und ich habe vielleicht die vage Hoffnung gehabt, dass dieses Kind unsere Beziehung rettet. Zumal Marc sehr gerührt war, er hat mir keinen Vorwurf gemacht, ganz im Gegenteil, ich dachte wirklich für einen Moment, dass er sich das alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen würde. Er hat mich nach Hause gefahren und wir haben geredet wie früher und dann miteinander geschlafen wie früher. Er konnte gar nicht genug kriegen. In der Nacht hat er mich sogar geweckt, um es noch einmal zu tun.

Aber als er dann drei Tage später angerufen hat, war er wie verändert. Auf einmal schien alles anders. Er hat mir nicht angeboten, mich zu heiraten. Er hat mir nicht angeboten, mit Kim Schluss zu machen. Nichts von alledem. Ich habe ihm am Telefon gesagt, dass ich das Kind unter diesen Umständen nicht kriegen würde. "Das musst du verstehen, Marc", habe ich gesagt, und dass er mich  nicht mit dieser Schwangerschaft allein lassen und gleichzeitig erwarten könne, dass ich schon irgendwie damit klarkomme. Ohne Job, ohne Perspektive, ohne gar nichts.

Bestimmt hat er mich dafür gehasst, dass ich das gesagt habe. Ganz bestimmt. Aber das hat seine Meinung nicht geändert. Wahrscheinlich hat ihn das nur bestätigt, dass ich es einfach nicht Wert bin, seine Frau zu sein. Das einzige was er mir dann ein paar Tage später angeboten hat, war, dass ich für eine unbestimmte Zeit, während der Schwangerschaft und solange das Kind noch klein ist, bei ihm und Kim wohnen könne. Natürlich unter der Bedingung, dass ich mich mit Kim arrangiere.

Ich hab ihn für diesen Vorschlag am Telefon ausgelacht. Ich erinnere mich genau daran, dass ich schallend gelacht habe, als er mir diesen Vorschlag allen ernstes unterbreitet hat. Vielleicht bin ich im ersten Moment wirklich davon ausgegangen, dass das nur ein schlechter Scherz sein kann. Aber er hat das nicht als Scherz gemeint. Und als mir das klar wurde, dass er das ernst meint, hab ich einfach aufgelegt.

Aber als es dann nicht mehr anders ging, als ich den allerletzten möglichen Termin für eine Abtreibung verpasst habe, ich in der 23. Woche war und selbst diese Klinik in Amsterdam den Eingriff nicht mehr durchführen wollte, und als meine körperlichen Beschwerden und meine Ängste immer größer wurden, hab ich die Reißleine gezogen und bin zu ihm gegangen.

Ich hab mich erst umbringen wollen, um ehrlich zu sein... Ich erinnere mich noch genau an diese letzten Tage, die ich allein verbracht habe und an diesen schrecklichen vermeintlich letzten Abend. Ich hab zu Hause ein paar Sachen in Ordnung gebracht, hab den Schlüssel außen stecken lassen und einen kurzen Brief für die Polizei verfasst und auf den Küchentisch gelegt. Dann bin ich mitten in der Nacht mit der U-Bahn nach Köln-Riehl gefahren, um mich von einem der neuen Hochhäuser zu stürzen, die dort gebaut wurden und die noch nicht ganz fertig waren und die man deshalb damals noch ziemlich leicht besteigen konnte.

Das war so in etwa die schlimmste U-Bahnfahrt, an die ich mich erinnern kann. Schlimmer war nur die Rückfahrt. Und als ich dann auf dem Dach dieses Hochhauses vor diesem Geländer direkt vor dem Abgrund gestanden habe und auf die kalten Lichter der Stadt in der Entfernung und auf den von Straßenlaternen weißlich schimmernden Parkplatz in 70 oder 80 Meter Tiefe geblickt habe, auf dem ich nach dem Sprung aufkommen würde, hatte ich einfach nicht die Courage. Ich hab es einfach nicht gekonnt. Ich hab mehrfach die Hände vom Geländer genommen aber mich dann immer wieder daran festgeklammert. Ich hab mir diesen Sprung immer wieder vorgestellt und versucht mir klarzumachen, dass danach mein Leid vorbei sein würde . Aber ich hab es nicht gekonnt. Und als ich dann nach Hause gefahren bin, hab ich mich wie eine noch größere Versagerin gefühlt.

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