#2.2 Unzertrennlich

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Während des Studiums waren Charlotte und ich praktisch immer zusammen gewesen. Immerhin diese zwei, drei Sommer haben wir gehabt. Ich muss lachen, wenn ich jetzt daran denke. Wenn ich jetzt daran zurück denke, kommt es mir so vor, als sei ich einmal eine begehrte Frau gewesen. Ich erinnere mich, dass sich einmal auf einer Party zwei Männer um mich gestritten haben, und dass ich dann später mit einem dritten ins Bett ging, nur um mitten in der Nacht aus dessen schrecklich schmutzigem WG-Zimmer abzuhauen. Ich klingelte Charlotte aus dem Bett, die mir ohne Murren morgens um vier die Tür öffnet, mich umarmt und streichelt und „mein armer Schatz" zu mir sagt. Sie bietet mir einen Joint an, den ich an ihre Brust gelehnt auf ihrem kleinen Balkon sitzend mit ihr rauche, während hinter dem Leuchtturm in Ehrenfeld die rosa Sonne aufgeht.

Manche hielten Charlotte und mich für ein Paar, und wenn ich ehrlich bin, gab es Momente, in denen ich mir nicht sicher war, ob wir uns nicht doch mehr liebten, als sich gute Freundinnen für gewöhnlich lieben. Wie gerne sah ich ihr zu, wenn sie in Gedanken war, wenn sie sich unbeobachtet wähnte und verträumt an irgendetwas dachte.

Aber wir haben uns nie angefasst, in Unterwäsche unter einer Decke nebeneinander geschlafen, das schon, ziemlich häufig sogar, und auf einer Party haben wir uns einmal einen Zungenkuss gegeben, um einen zudringlichen Mann loszuwerden. Womöglich auch nur, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Tatsächlich hat uns jemand dabei fotografiert, und wenig später tauchte ein Foto auf Facebook auf, das schnell die Runde machte.

Inzwischen ist Charlotte in einer ganz schön konservativen Beziehung gelandet. Wie abstrakt. Ausgerechnet Charlotte. Ist nach Berlin, nach Friedrichshain gezogen und dort mit einem Mann zusammengekommen, der sich als Hüter traditioneller Werte aufspielt. Anfangs hab ich das für einen Witz gehalten. Aber damit hab ich mir keine Freunde gemacht. Und sie selbst scheint sich das alles inzwischen schönzureden.

Es ist wirklich alles weg. Außer der reinen Materie des Fotos vielleicht, das noch irgendwo auf einer alten Festplatte liegt. Zwei geschminkte, sich küssende junge Frauen in hübschen Markenklamotten, von denen der einen (mir) lasziv der Spaghetti-Träger über die linke Schulter gerutscht ist. Zwei junge Frauen, die sich wohl ziemlich interessant und wichtig nehmen, und die inzwischen ihre Rollen eingenommen und gehofft haben, dass schon alles gut gehen wird. Ich vor allem hab das getan, als ich Charlotte allein gelassen habe, und sie ist dann in meine Fußstapfen getreten.

Die AndroidinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt