#3.1 Die Magd

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Was zwischen diesem Tag, an dem ich das Büro meines Chefs verlassen habe, und heute, dem 13. März geschehen ist, ist schwer zu sagen. Selbst für mich ist es schwer zu sagen. Es sind 13 Monate vergangen. Wahrscheinlich kann ich nur Mutmaßungen darüber anstellen, was geschehen ist. Nicht, dass ich mich nicht erinnern könnte. Ich war bei vollem Bewusstsein. Die meiste Zeit jedenfalls.

Wenn mich jetzt jemand sehen würde, wie ich hier auf dem Balkon mit Ausblick auf diesen grünen Garten mit Sträuchern und Blumen und Bäumen stehe, der noch dazu in voller farbiger Frühlingsblüte steht, dann müsste er denken, dass ich eine glückliche Frau sei. Das hier muss eine glückliche Frau sein, würde er denken, deren Wünsche in Erfüllung gegangen sind.

Nicht nur, dass ich hier in diesem Haus mit dem Mann lebe, in den ich mich irgendwann vor Jahren während des Studiums, als ich noch jeden Cent zweimal umdrehen musste, verliebt habe. Nicht nur, dass dieser Mann zu Geld gekommen ist und wir ein materiell unbeschwertes Leben führen können. Dass ich mir all die Kleider kaufen kann, die ich mir kaufen möchte, dass ich mir einen der Wagen, der in der Garage steht, nehmen kann, und damit einen Ausflug machen kann, wenn ich das möchte. Es ist nicht nur das.

Ich habe auch ein gesundes Kind zur Welt gebracht. Vor drei Monaten. Ein kleines Mädchen. Rebecca. Ein Kind, das jetzt gerade in einem hellblau gestrichenen Kinderzimmer in einer Wiege liegt über der eine virtuelle Galaxie aus farbigen Planeten und Sternen und Milchstraßen kreist.

All das habe ich. All das.

Aber wie sehr manchmal der äußere Anschein täuschen kann. Wie sehr man glaubt, man könne von ein paar äußeren Indikatoren auf das Innenleben eines Menschen schließen. Zumindest dann, wenn man die Aszendenten, die die Konstellation stören, nicht einsieht.

Vielleicht ist es auch vermessen, das zu sagen. Aber das Unglück ist eine sehr subjektive Angelegenheit. Und ich glaube, man muss sich für sein eigenes, sehr subjektives Unglück nicht schämen. Man muss sich nicht ständig sagen, dass das Unglück der anderen schlimmer sei als das eigene, wenn man dieses eigene Unglück als schlimm empfindet. Selbst wenn dieses Unglück vielleicht nur aus falschen Erwartungen entstanden ist. Auch wenn es nur ein Unglück ist, das aus dem Glauben entstanden ist, dass man eine bestimmte Art von Leben führen kann, die man dann nicht führen kann.

Irgendjemand hat diese Erwartung an dieses Leben geschaffen. Es ist nicht nur meine eigene Erfindung, sondern die von anderen Menschen, die zeitgleich mit mir oder vor mir gelebt haben und die versucht haben, diese Erwartungen mit der Realität in Einklang zu bringen und die viel dafür geopfert haben.

Wenn ich auf diesem Balkon stehend die Augen nur ein paar Meter nach rechts wende, dann sehe ich dieses Unglück. Die ungünstige Konstellation. Ich sehe dieses Unglück in Form von Kim, der Androidin, die mir meinen Mann gestohlen hat, die durch den Garten streift, der mein Garten sein sollte. Kim, die Unkraut jätet oder eine der Pflanzen gießt, die von der seit Tagen anhaltenden Dürre schon ein paar Blüten verloren hat.

Nicht, dass Kim selbst ein Unglück wäre. Sie ist ein liebes Kind. Sie ist die Unschuldigste von uns allen. Aber sie ist Ausdruck dieser unhaltbaren Zustände so wie ein Versuchskaninchen Ausdruck von unahltbaren Zuständen ist. Sie ist Ausdruck von dieser Alptraumsituation, in der ich mich seit ein paar Monaten befinde, und in der sich auch Kim selbst befindet.

Tagsüber macht Kim den Haushalt und kümmert sich um den Garten und nachts beschäftigt sie sich meist im Haus, sie muss ja nicht schlafen, und dann schleicht sie durch die Räume und Zimmer des Hauses wie ein Gespenst, das auf der Suche nach seiner Seele ist, oder schreibt oder liest oder malt. Manchmal kümmert sie sich auch um das Baby wenn es schreit. Es ist herzzereißend ihr dabei zuzusehen, und manchmal liegt sie in meinem großen Bett neben mir und manchmal hör ich ihr gespieltes Stöhnen aus Marcs Zimmer wenn sie Sex haben.

Marc und ich haben keinen Sex mehr. Zum Glück. Ich könnte das nicht mehr ertragen. Marc ist mir unerträglich geworden, unerträglich wie mir ein Mensch nur werden kann. Inzwischen habe ich keine Ahnung mehr, wie ich mich jemals in ihn verlieben konnte. Wie ich all das nicht in ihm gesehehn habe. Ich kann es mir heute nur noch so erklären, dass entweder ich oder er damals ein anderer Mensch gewesen ist. Inzwischen sind wir wahrscheinlich beide zu anderen Menschen geworden.

Und Kim tut mir leid. Marc benutzt sie nur für seine Zwecke, so wie er mich für seine Zwecke benutzt. Sie ist das Haus-, Garten- und Sexmädchen und ich bin die Magd, die die Kinder zur Welt bringt.

Die AndroidinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt