7. Kapitel - Charlie

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Der Traum ist unser Versucher und Richter. - Moritz Heimann

Charlies Augen fingen an zu flattern und sie schlug sie auf. Wo war sie?

Vor ihren Augen tanzten Punkte und sie musste sich erst an das Licht gewöhnen, was ihren Augen schmerzte. Also schloss Charlie sie wieder. Sie nahm den Geruch von Desinfektionsmitteln war, das Piepen elektronischer Geräte und ein Tropfen. Alles klar, sie war im Krankenhaus.

Charlie erinnerte sich nicht mehr genau was alles passiert war, sie wusste nur noch, dass es war Abend war und sie mit ihrer Familie vor dem Fernseher saß. Jeder hatte eine Box vom Chinesen vor sich stehen und vertilgte sein Essen. Sie schauten sich 'Ziemlich beste Freunde' an und alles schien ziemlich perfekt. Ein netter Familienabend. So etwas kam bei Charlies Familie nicht besonders oft vor, da sie so oft wegen ihrer Krankheit nicht zu Hause war. Das war auch der Grund, warum sie den Abend so genoss. Nichts hätte ihn perfekter machen können.

Doch dann hatte  Charlies Pieper reagiert. Zuerst wusste niemand war er sagen oder machen sollte. Alle starrten wie gebannt auf das vibrierende Gerät. Dann kam noch das Klingeln des Telefons dazu. Endlich reagierte jemand auf die Geräusche. Charlies Dad ging zum Telefon und nahm den Hörer ab. Was er genau gesagt hat, weiß Charlie nicht genau, aber an der anderen Leitung war das Krankenhaus. Sie hatten einen passenden Spender für sie gefunden und wollten so schnell wie möglich mit der OP beginnen.

Und nun war sie hier. Im Krankenhaus. Und hoffentlich endlich gesund.

Charlie hatte immer noch die Augen geschlossen und stellte sich vor, was sie nun alles machen konnte. Wenn sie anfangen würde zu trainieren, könnte sie vielleicht endlich Cheerleaderin werden. Sie könnte auch Leichtathletik oder Handball spielen. Sie konnte machen was sie wollte. Sie musste nicht mehr aufpassen, dass sie sich verausgaben konnte oder das ihr Herz versagte. Charlie war nun stark. Stark und lebendig.

Okay zugegeben. Von dem Stark und lebendig fühlte sie bis jetzt noch nicht wirklich viel, da sie von der OP noch ziemlich ausgelaugt war. Und das Nachthemd des Krankenhauses mit den ganzen Geräuschen im Hintergrund machte dieses Gefühl nicht unbedingt besser.

Endlich schlug sie die Augen auf und versuchte mühsam sich aufzurichten. Ihr Blick wanderte durch das Zimmer. Sie hatte ein Zimmer ganz für sich alleine, so wie immer. Schade eigentlich, Charlie hätte gerne Gesellschaft gehabt während ihrer Aufenthalte hier. Als sie zum Fenster blickte, erkannte sie eine Person, die ihr den Rücken zugewendet hatte und aus dem Fenster schaute.

"Ehm, entschuldigen sie, könnten sie mir sagen, ob meine Familie schon hier gewesen ist?" Charlie schaute die Frau in dem weißen Kleid an. "Nein, bis jetzt nicht." Und mit diesen Worten drehte sie sich um. Charlie traute ihren Augen nicht. Vor ihr stand Anna Montgomery. "Was machst du in meinem Krankenzimmer?" Immer noch deutlich verwirrt. "Ja, das habe ich mich am Anfang auch gefragt... " Anna musterte Charlie und blickte anschließend auf die Geräte. "Das war aber keine Antwort auf meine Frage." Charlie runzelte die Stirn. Was sollte die Bemerkung von Anna. Klang ja so als sei sie unfreiwillig hier. "Ich kann dir aber keine bessere Antwort geben. vielleicht bekommst du ja eine von den Ärzten." Wie aufs Stichwort kam eine Krankenschwester in das Zimmer.

"Charlotte, sie sind wach. Wie geht es ihnen?" Die junge Schwester lächelte Charlie freundlich an. "Danke, es geht mir eigentlich ganz gut. War meine Familie schon hier oder kommt sie bald?" "Tut mir Leid, Schätzchen, bei so einer anstrengenden OP wie deiner, darfst du erst einmal keinen Besuch empfangen, das gilt auch für deine Eltern. Ein paar Stunden musst du dich wohl noch gedulden." Charlie blickte verwirrt zu Anna. Diese stand mit ausdrucksloser Miene immer noch an ihrem Platz am Fenster und schaute sich im Zimmer um. "Aber was macht sie dann hier, wenn ich keinen Besuch empfangen darf?" Charlie nickte in Annas Richtung. Jetzt wurde auch Anna hellhörig und schaute die Schwester an.

"Wen meinst du, Schätzchen?" War das ein schlechter Witz? Was sollte das denn jetzt? "Na, ich rede von dem Mädchen am Fenster." Diesmal zeigte sie mit ihrem Finger zu Anna. Die Schwester folgte Charlies Bewegung und schaute zu Anna. Schüttelte jedoch danach den Kopf. "Das sind noch die Nachwirkungen der Narkose. Die Halluzinationen müssten bald aufhören. Gleich wird auch noch ein Arzt zu dir kommen." Und mit diesen Worten verschwand sie durch die Tür. Halluzinationen?

Es erklang ein wütendes Lachen und Charlie schaute zu Anna. "Halluzination? So hat mich ja noch nie jemand genannt!" Das hübsche Mädchen schüttelte den Kopf. Charlie war verwirrt. Sie schloss die Augen und klatschte sich ein paar mal mit der flachen Hand auf ihre Wangen.

Als sie ihre Augen wieder öffnete, stand Anna weiterhin an Ort und Stelle und schaute sie irritiert an. "Was soll denn das werden, wenns fertig ist?" Charlie klappte der Mund auf. "Ehm, ich hatte die Hoffnung, dass du danach verschwunden bist." Auf Annas Gesicht zeichnete sich ein trauriges Lächeln ab. "Vergiss es, so schnell wirst du mich wahrscheinlich nicht mehr los."

Die Tür ging erneut auf. Ein Mann in einem weißen Kittel trat herein. "Hallo Charlotte, schön, dass du wach bist." Er schrieb etwas auf ein sein Klemmbrett und begutachtete die Werte auf den Monitoren. "Sieht alles sehr gut aus. Also die OP ist sehr gut verlaufen und wir können hoffen, dass es deine letzte war." Er lächelte Charlie an, doch ihr war irgendwie nicht zum Lächeln zumute.

Sie schaute wieder zu Anna, die sich weggedreht hatte und wieder aus dem Fenster blickte. Der Arzt folgte ihrem Blick. "Aja, die Schwester sagte, dass du noch unter den Nachwirkungen der Narkose leidest und halluzinierst. Keine Sorge, dass müsste bald aufhören." Er lächelte wieder.

Das Anna wirkliche eine Halluzination ist und bald verschwinden würde, bezweifelte Charlie sehr. Dafür war sie viel zu real. Okay, sie sah gerade zu unheimlich perfekt aus mit ihren blonden Haaren und dem weißen Kleid. Aber sonst wirkte sie vollkommen normal.

"Hast du noch irgendwelche Fragen, Charlotte?" Charlie wendete sich ruckartig wieder dem Arzt zu. "Ehm, darf ich eigentlich erfahren, von wem ich das Spenderherz habe?" Der Arzt schaute zerknirscht. "Tut mir Leid, aber ich bin nicht befugt ihnen solche Informationen zu geben. Ich kann ihnen nur sagen, dass es wirklich der perfekte Spender war, es hat alles übereingestimmt und sie haben das neue Herz sofort angenommen." Er versuchte ein Lächeln. "Ruhen sie sich noch etwas aus. Wir haben ihre Familie verständigt, sie kommen in einigen Stunden. Bis dahin sollten sie noch etwas schlafen." Und schon war er wieder weg.

Anna hatte sich ihr wieder zugewandt und starrte sie an. Oder bessergesagt ihre Brust. Charlie war das unangenehm und sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Sofort blickte Anna auf und schaute ihr in die Augen.  Die Mädchen starrten sich gegenseitig an und keine sagte ein Wort.

Charlie räusperte sich. "Also wenn du keine Halluzination bist, sondern sie wirkliche Anna Montgomery, was tust du dann hier und warum kann dich außer mir niemand sehen?" Charlie war deutlich verwirrt. Aber es scheint so als ging es Anna nicht anders.

"Ich weiß es nicht, ich hatte einen Autounfall und bin danach wie du im Krankenhaus aufgewacht. Aber schon da konnte mich niemand sehen." Sie stockte kurz und drehte sich leicht weg. Es sah so aus, als müsse sie sich die Tränen verkneifen. "Ich.. ich .. ich glaube ich bin bei meinem Unfall gestorben.. "

Der Satz wurde gegen Ende immer leiser und Charlie war ich nicht sicher ob sie es wirklich verstanden hatte. Sie schaute Anna mit weit aufgerissenen Augen an. "Aber.. aber.. " Charlie brach ab und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Anna stand am Fenster und umklammerte ihren Oberkörper mit ihren Armen, so als brauchte sie den Halt. Sie sah richtig mitgenommen aus.

Sagte sie die Wahrheit? War sie tot und stand nun als Geist vor Charlie?

"Aber warum kann nur ich dich sehen?" Anna drehte sich um und plötzlich war eine rote Narbe auf ihrer Brust zu erkennen. Genau da wo ihr Herz liegt. Im nächsten Moment war die Narbe wieder verschwunden. Anna schaute sie inzwischen ruhig an und blickte wieder auf Charlies Brust.

Und da wusste Charlie von wem sie das Herz bekommen hat...

Wenn Träume fliegen lernenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt