Jung ist, wer mehr Träume als Erinnerungen hat. – Unbekannter Autor
Anna saß auf der Fensterbank von Charlies Krankenzimmer und beobachtete den Straßenverkehr. Klingt nicht spannend, war es auch nicht. Aber sie hatte gerade nichts Besseres zu tun, da Charlie zu irgendwelchen Tests musste. Und eine andere Beschäftigung als dumm durch die Gegend zu gucken blieb ihr leider nicht mehr übrig.
Es waren mehrere Tage vergangen, seitdem sie sich mit Charlie angefreundet hatte. Seitdem sie angefangen hatte, sie zu verstehen.
Und diese Tage waren unvergleichlich gewesen. Anna war es nicht gewohnt, anderen Menschen ihre tiefsten Wünsche oder Ängste anzuvertrauen. Mit ihren Cheerleaderinnen hatte Anna nie so offen geredet. Nicht einmal mit James konnte sie so reden wie mit Charlie.
James war jemand, der versuchte sofort eine Lösung für deine Probleme zu finden, was an sich nichts Schlimmes war, eher das Gegenteil, aber manchmal wollte man gar keine Lösung finden, sondern einfach mal Frust ablassen. Und das war bei Anna oft der Fall gewesen.
Sie hatte oft versucht, mit ihm über ihre Mutter zu reden und ihre Beziehung zu ihr. Oder besser die nicht vorhandene Beziehung. James versuchte dann immer, ihr Vorschläge zu machen, wie sie sich ihrer Mutter wieder nähern konnte. Aber das war nicht das was sie in dem Moment wollte.
Anna wollte, dass er ihr einfach nur zuhörte. Für sie da war. Und dazu musste er nicht einmal etwas sagen. Denn sie wusste selbst, dass die Probleme mit ihrer Mum nicht so einfach zu lösen waren. Vielleicht niemals hätten gelöst werden können.
James war einfach durch und durch ein Optimist. Das Wort ‚Nein‘ existierte für ihn im Grunde genommen nicht. Für ihn gab es immer einen Weg um ans Ziel zu gelangen. Und das liebte Anna an ihm.
Charlie war da ganz anders. Sie hatte ohne ein Wort zu sagen Anna einfach nur zugehört. Selbst als Anna lauter wurde und das ein oder andere nicht also nette Wort gesagt hatte, ist Charlie ruhig geblieben. James hätte ihre eine Predigt gehalten, dass man nicht schlecht über seine Mutter reden darf.
Erst ganz am Schluss hatte sie ihre Meinung dazu gesagt. Und ihre Aussage hatte Anna wirklich überrascht. Sie schwirrt ihr sogar immer noch im Kopf rum.
‚Vielleicht bist du ohne sie auch besser dran. Manche Menschen halten einem im Leben davon ab, über sich hinaus zu wachsen oder einfach nur glücklich zu werden. Solche Menschen sollte man hinter sich lassen‘
Irgendwo hatte Charlie Recht. Sie hatte wirklich das Gefühl, dass sie wegen ihrer Mum oft unglücklich war. Oder wegen ihr an sich selbst zweifelte. Aber ganz ohne sie konnte sich Anna einfach nicht vorstellen. Immerhin war sie erst 17 und brauchte ihre Mutter.
Anna schüttelte den Kopf. Charlie soll bloß bald wieder kommen. Sie hat nichts zu tun und denkt über Dinge nach, die eindeutig zu kompliziert sind und ihr den letzten Nerv rauben. Und das war nicht gut.
Wie aufs Stichwort kam Charlie in Begleitung einer Krankenschwester ins Zimmer.
Charlie lächelte ihr kurz zu. Unauffällig hob sie ihren Daumen nach oben. Na endlich. Sie durfte das Krankenhaus verlassen und nach Hause gehen.
Die Krankenschwester half Charlie sich wieder aufs Bett zu legen und es sich bequem zu machen. Danach verließ sie das Zimmer.
„Gab es noch irgendwelche Probleme?“
„Nein, alles ist in Ordnung. Die Narben verheilen gut und mein Körper hat dein Herz problemlos angenommen.“
„Freut mich zu hören.“ Es fiel ihr immer noch nicht leicht, die ganze Situation zu akzeptieren, aber sie versuchte es. Sie versuchte es wirklich. Und immer hin konnte sie mit ihrem Tod jemand anderem etwas Gutes tun.
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Wenn Träume fliegen lernen
Teen FictionEine Geschichte über zwei völlig verschiedene Mädchen, deren Schicksal sie auf ungewollte Weise miteinander verbindet. Anna ist das beliebteste Mädchen der Schule, Cheerleader-Kapitänin und mit dem Jungen zusammen, den sie über alles liebt. Ihr Leb...