„Meinst du das ernst?" Die Schwarzhaarige stemmte die Hände in die Seiten und musterte den muskulösen Mann, der hinter der Theke thronte. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Seine schweißnassen, braunen Haare klebten ihm an der Stirn. Der Mann kaute auf einem Grashalm herum und starrte auf die 14-jährige hinab. „Hast du eigentlich irgendeine Ahnung wie gefährlich das war? Die hätten mich umbringen können!" Vivien stellte sich auf die Zehenspitzen und lehnte ihre Unterarme auf der Theke ab. Sie starrte ihm in die schwarzen Augen und schwang das Medaillon vor seiner Nase herum. „Das da..." - Sie deutete mit dem Finger auf die Kette. -, „...ist pures Gold. Der zukünftige König hat das für seine Frau anfertigen lassen. Hm? Verschwundene Prinzessin? Klingelt da gar nichts?" Nun lehnte sich der Mann zu ihr hinunter. „Hör zu!", zischte er, „Ich habe schon genug von dir angenommen. Ich habe dafür gesorgt, dass dich die Wachen nicht kriegen und das mehr als einmal. Überstrapazier meine Freundlichkeit nicht!" Damit wandte er sich ab und begann ein paar Gläser zu polieren. „Versuch dein Glück beim Juwelier!"
„Sehr lustig...", schnauzte Vivien, „Die wissen doch, dass das der Prinzessin gehört." Seufzend sah der Mann über seine Schulter zu ihr hinüber. „Ich hab's dir gerade gesagt: Überstrapazier meine Freundlichkeit nicht. Jetzt nimm' dir deine übliche Ration und zieh Leine. Ich hab' Kundschaft." Stöhnend ergriff Vivien den kleinen Lederbeutel, der auf der Theke thronte, und inspizierte den Inhalt. Drei Wasserbehälter, gefüllt bis oben hin; zwei Äpfel, drei Brote und ein wenig Käse. Sie ließ das Medaillon im Beutel verschwinden und ging hinüber zur Tür, nur um von einem jungen Mann zurückgehalten zu werden. Seine blauen Augen musterten sie fragend und er deutete auf den Beutel. „Das Medaillon. Wieviel willst du dafür?" Die Schwarzhaarige zog die Augenbrauen hoch und holte das Medaillon hervor. Sie beäugte es eine Weile und blickte dann den Mann wieder an. „Wer bist du?" Der Rothaarige erhob sich und verbeugte sich vor ihr. Dabei bemerkte sie, dass er ein wenig humpelte. „Raúl Abano Guerra. Reisender Händler, freut mich sehr!"
Vivien verdrehte die Augen und pustete sich eine schwarze Strähne aus der Stirn. „Das ist Diebesgut. Nichts für einen ehrlichen Händler." Raúl lachte auf. „Ehrlich? Bitte...", machte er und streckte die Hand aus, „Darf ich sehen?" Die Augen verdrehend, reichte sie ihm das goldene Medaillon, das der Händler gleich darauf prüfend in Augenschein nahm. „Wie wär's mit 3.000?"
„Gib's mir wieder!", spuckte Vivien und riss ihm die Goldkette aus der Hand.
„3.000 Silbermünzen? Wirklich? Zu wenig?", Raúl seufzte, „Du bist anstrengend. Also gut, 5.000?"
„Schönen Tag noch!" Sie stopfte das Medaillon in den Lederbeutel.
„6.000?"
Vivien ging zur Tür hinüber und riss sie auf.
„Also gut! 10.000, zufrieden?"
Die Schwarzhaarige grinste zufrieden und wirbelte zu Raúl herum. „Ich wusste doch, dass wir ins Geschäft kommen würden!"„Schau mal!" Zufrieden hüpfte Vivien auf ihren Rappen zu. Das Pferd hob den Kopf, hörte jedoch nicht auf zu kauen. Es nickte einmal und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder dem Gras unter sich zu. „Deswegen seh' ich in dir nichts mehr als ein primitives Pferd...", murmelte Vivien und schlang sich die Ledertasche über die Schultern, „Also gut, hast du hier irgendwelche Wachen gesehen?" Sie schwang sich auf den Rücken des Kaltblutes und strich ihm über die Mähne. Das Pferd schüttelte den Kopf und begann los zu trotten. „Okay, keine Wachen...", wiederholte Vivien, „Das ist ziemlich gut."
Sie zog den lila Schal über ihren Kopf und verschleierte so auch ihr Gesicht. Die Steckbriefe an den Bäumen hatten sich in den letzten drei Monaten mindestens verdoppelt, wenn nicht sogar vervierfacht. Und dabei hatte sie nicht viel mehr als ein mickriges Diadem von einer Adligen, die auf dem Geburtstag der Königin anwesend war, gestohlen. Vivien verstand den Aufstand nicht. Diese Adligen hatten doch eigentlich genug von den Dingern. Was musste man sich dann so aufregen, wenn mal eines verloren ging?
„Ab zum Schloss, Shadow!", flüsterte sie ihrem Pferd zu, „Ich muss einen alten Freund besuchen."
Shadow hielt an einem Hintereingang, der eigentlich nur von Dienern und Dienerinnen benutzt wurde. Vivien hatte ihn einst durch Zufall entdeckt. Sie zog den lila Schal noch etwas enger und presste den Lederbeutel gegen sich, ehe sie durch die angelehnte Holztür huschte. Die Gänge des Schlosses waren ihr so vertraut, dass sie eigentlich hier hätte leben können. Tat sie aber nicht.
Sie huschte eine kleine Nebentreppe hinauf, um in den zweiten Stock zu gelangen. Von dort waren es noch genau fünf Schritte bis zu einer weißen Tür, die eigentlich genauso aussah, wie alle anderen auch.
Während sie durch die Gänge lief, achtete sie genau darauf, keinem Diener über den Weg zu laufen. Aber das war nicht einmal nötig, denn das Schloss wirkte wie ausgestorben.
Vivien suchte in ihrem Kopf nach dem Datum der Krönung, war sich aber ziemlich sicher, dass diese auf ein paar Tage später verschoben worden war. Also wo steckten dann alle?
Sie zuckte mit den Schultern und holte eine Kette aus ihrem Ausschnitt hervor. Es war eigentlich nur ein braunes Lederband, an dem ein kleiner Schlüssel baumelte. Sie steckte den Schlüssel ins Schlüsselloch und war erleichtert, als sie das Klicken hörte.
„Raymond?" Sie öffnete die Tür ein Stück und sah sich im Raum um. Am Fenster entdeckte sie die Gestalt, nach der sie gesucht hatte.
Der Schwarzhaarige stand hinterm Vorhang und hatte die Arme hinterm Rücken verschränkt. Vivien ließ die Tür leise ins Schloss fallen und huschte dann zum Vorhang hinüber. „Das war viel zu einfach...", brummte sie, „Wo sind die denn alle? Ich meine... Ohne scheiß, da kann ja jeder einbrechen, sogar du!"
„Hast du es?"
Vivien nickte hastig und holte ein Fläschen unter ihrem Schal hervor. „Ja, hier! Du schuldest mir 'was. Das war viel zu teuer." Raymond drehte sich um und nahm ihr das Fläschen ab. Dann hielt er es ins Sonnenlicht und lächelte. „Die Dosis reicht für einen erwachsenen Mann...", murmelte er vor sich her und schien mehr mit sich selbst, als mit der Schwarzhaarigen, zu reden. Wieder nickte Vivien. „Nun, also...", murmelte sie, „Wo sind die denn alle?" Raymond steckte sich das Fläschen in die Hosentasche und holte dann einen Beutel mit Münzen hervor. „Keine Ahnung!", sagte er, während er den Beutel in Viviens Hand drückte, „Ich hoffe, du weißt den Plan noch?" „Ja, ja...", machte Vivien nur, „Aber ich hab' doch noch Zeit. Apropos Zeit, ich muss los! Will nicht entdeckt werden. Hast du den Schlüssel?" Der Berater drückte ihr einen silbernen Schlüssel in die Hand und lehnte sich vor. „Geh' heute Nacht! Tagsüber sind da überall Wachen." Verwundert hob sie die Augenbrauen. „Ach, und Nachts nicht?" Raymond zuckte mit den Schultern. „Corona halt."
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Frozen & Tangled II: Unforeseen Obstacles
Fanfiction[Zweiter Teil zum Crossover um die Eiskönigin und Rapunzel; von @Unheey & mir] Nach der Hochzeit von Prinzessin Anna von Arendelle und dem Eismann Kristoff waren nun ein paar Tage vergangen, doch die Stimmung in Corona blieb noch immer etwas angespa...