Kapitel 6: „Ein neues Zuhause"

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In Corona brach der Morgen an. Auch in Lumen, wo Eugene und Rapunzel in der gestrigen Nacht noch angekommen waren, stach die kräftige, helle Sonne aus den Wolken heraus und tauchte das Land in eine unerschöpfliche Wärme. Sie hüllte alles und jeden ein und schenkte ein angenehmes Gefühl, das einen die Sorgen vergessen ließ, zumindest solange, bis sie einen einholten.
Kämpfe für diejenigen, die du liebst, schoss die Stimme seiner Mutter dem Braunhaarigen durch den Kopf. Daraufhin erwachte er und schwang schwerfällig die Beine aus dem Bett, um die Arme gähnend in die Luft zu strecken. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich aus- oder gar umzuziehen, daher trug er noch dieselbe schlichte Kleidung wie am gestrigen Tag. Nun ging er zum Fenster hinüber und schob die geblümten Spitzenvorhänge an die Seite, damit er hinausblicken konnte, wobei sein Blick über die wenigen Häuserdächer glitt, die sein Heimatdorf zu bieten hatte. „Ma', warum schickst du mir gerade jetzt diesen Gedanken?", murmelte er gedankenversunken, während Sonnenstrahlen seine Nase kitzelten. Er wollte sich mit den Fingern gerade über sein raues, bärtiges Kinn fahren, da klopfte es an der Tür und er drehte sich zu dieser herum.
„Ja?", fragte Eugene und erwartete schon fast keine Antwort, als schließlich doch eine kam. „Ich bin's, Nara!", tönte die Stimme der Rothaarigen von draußen, „Ich wollte nur wissen, ob bei dir alles in Ordnung ist? Deine Flamme sitzt nämlich unten beim Frühstück und stochert hilflos in ihren Eiern herum." Nara verzog das Gesicht und balancierte das Tablett, welches sie auf dem linken Arm trug, während sie in der rechten Hand eine Kanne Kaffee hielt. „Gott, das klingt falsch...", murmelte sie und fuhr dann lauter fort, „Jedenfalls nehme ich mal einfach an, dass die gestrige Nacht nicht ganz so gut gelaufen ist, hm? Und jetzt wäre ich dir echt – Scheiße verdammt noch mal, so ein Dreck!" Nara hatte sich mit ein wenig Kaffee den Unterarm verbrannt. Vor Schreck hatte sie daraufhin die Kanne fallen lassen, deren Inhalt nun ihre Stoffschuhe durchnässte. Ganz nebenbei, war ihr noch das Ei vom Tablett gerutscht.
„Ich wäre dir verdammt noch mal verbunden, wenn du die Tür aufmachen würdest!", schrie sie schließlich. Das ließ der Braunhaarige sich nicht zweimal sagen und öffnete gleich darauf die Tür. Vor ihm stand nun eine Nara, die aussah als wäre sie vom Regen in die Traufe geraten. Gut, wahrscheinlich musste er selbst gestern bei ihrer Ankunft in Lumen nicht unbedingt besser ausgesehen haben.
„Wie siehst du...", doch ein herausfordernder Blick von der Rothaarigen brachte ihn sofort zum Schweigen. Eugene hob die Kaffeekanne vom Boden auf und sah sie dann mitleidig an. „Äh, soll ich dir irgendwie behilflich sein?", schmunzelte er nun doch wieder und hielt sich die Hand vor den Mund, um es so zu verbergen.
„Ne, danke, weißte, ich komm super zurecht." Nara marschierte an ihm vorbei ins Zimmer und donnerte das Tablett auf einen Tisch. Dann blickte sie sich im Raum um. Ihr Blick blieb dabei am Bett kleben. „Äh... Hattest du gestern überhaupt weibliche Gesellschaft?" Als sie Eugenes Gesichtsausdruck sah, schluckte sie, „Schon gut, egal! Ich misch' mich da nicht ein. Ich finde nur, du solltest mit ihr reden. Sie sitzt da wie ein Trauerklops." Eugene biss sich unsanft auf die Unterlippe und nickte bloß zustimmend, ehe er sagte: „Sollte ich wohl wirklich, was?" Er seufzte und strich sich dann über das weiße Hemd und die schlichte Hose, um sie zu ordnen und zu glätten. Dann ließ er Nara ohne ein weiteres Wort einfach stehen und lief den Flur der Etage entlang, um dann die Treppe am Ende von diesem hinunter zu laufen.
Unten angekommen, schaute er sich im Geschäftsraum des Gasthauses um, bis er die Blonde schließlich in der einer Ecke am Fenster bemerkte. Der Braunhaarige schüttelte nur den Kopf und durchquerte den Raum, sodass er wenig später vor ihrem Tisch Halt machte. „Na, gut geschlafen?", fragte er ein wenig schroff, was ihm selbst gar nicht auffiel, „Ich denke, du solltest etwas essen, um zu Kräften zu kommen. Es war ein weiter Weg bis hierher und dein Körper muss erschöpft sein, also iss'!" Eugene setzte sich nun gegenüber von seiner Frau an den Tisch und legte seine Arme auf diesem ab, nur um seinen Kopf auf seine Hände zu stützen. „Ich weiß, das Essen hier ist nicht so vielfältig wie im Palast, aber man wird schon irgendwie satt, also worauf wartest du? Schlagen wir uns den Bauch voll!", meinte der Braunhaarige und zum ersten Mal konnte Rapunzel wieder das herzliche Lachen ihres Mannes hören. „Hey, Eason, sag' dem Küchenchef wir wollen von jeder Speise, die ihr habt, einmal probieren!", rief Eugene dem Barmann zu und schnippte, um Aufmerksamkeit bettelnd, mit dem Finger. Dann wandte er sich achselzuckend wieder seiner Frau zu: „Ich dachte, das würde dir gefallen, da es einen ja irgendwie an unsere erste, gemeinsame Nacht im Palast erinnern könnte."
„Ich will nichts essen!", spuckte sie ihm ins Gesicht. Sie warf die Gabel auf den Teller und schob ihren Stuhl zurück, um sich bockig zurück zu lehnen. Rapunzel verschränkte die Arme vor der Brust und musterte den Tisch. „Hattest du Spaß gestern? Die Frauen hier haben ja alle ziemlich schöne Brüste." Sie blickte an ihm vorbei, zur Bar hinüber. „Macht Spaß, oder? Törnt dich bestimmt an, hinter dem Rücken deiner Frau Sex zu haben. Noch dazu mit so einem Miststück..."
Pascal blickte sein Frauchen ungläubig an. So sprach Rapunzel sonst nie.
„Wer sagt denn, dass ich mit jemanden geschlafen habe, hm?", meinte Eugene und musste sich sichtlich beherrschen, nicht gänzlich die Stimme zu erheben, „Als ich sagte, ich werde nicht mehr mit dir schlafen, Rapunzel, hab' ich alle anderen damit genauso gemeint. Niemand wird je wieder mit mir ins Bett steigen, hörst du, dafür werde ich höchstpersönlich sorgen. Und damit du's weißt, nur für dich mache ich diese Reise. Wenn du nicht gewesen wärst, wäre ich niemals hierher zurückgekehrt." Er horchte auf, als seine Frau einen schnaubenden Laut von sich gab. „Wieso das, willst du wahrscheinlich ebenso wenig wissen? Tja, da hast du Pech, das wirst du wohl auch nie erfahren!" Damit stand er auf und stürmte zur Tür.
An dieser hielt ihn Eason noch kurz auf, aber Eugene schüttelte bloß den Kopf und murmelte etwas, wie ‚das Frühstück fällt aus'. Dann rannte er die Tür hinaus und verlor sich zwischen den Häusern des Dorfes, in dem er bis zu seinem zehnten Lebensjahr aufgewachsen war.
„Arschloch!", schrie Rapunzel ihm noch nach, dann stand sie auf und stürmte hinauf ins Zimmer. Dort kramte sie ihre Sachen zusammen, hob den Koffer an und marschierte nach draußen.
Ein paar Leute aus dem Dorf halfen ihr, den Koffer ans Pferd zu binden, doch als sie gerade aufsteigen wollte, hielt sie jemand zurück. Es war Nara.
„Lass mich los!"
„Nein, garantiert nicht!", erwiderte Nara, „Hör' zu, du kannst ja gerne die Diva geben, aber das gerade war echt nicht okay."
„Ach, und was erwartest du jetzt?!"
Nara holte tief Luft und hielt sich zurück, um Rapunzel nicht entgegen zu springen. „Dass du mit ihm redest."
Rapunzel knickte ein. „Ich weiß... ja nicht einmal, wo er ist."
„In seinem alten Haus...", antwortete die Rothaarige, als wäre es selbstverständlich, „Hinten beim Wasserfall, in der Nähe der Mienen. Ist schon ziemlich zerfallen, du solltest es leicht erkennen können."

Frozen & Tangled II: Unforeseen ObstaclesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt