Kapitel 16: „Die Last der Krone"

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Auf dem großen Platz vor der Kirche Coronas herrschte ein emsiges Gedrängel. Alle Bürger wollten auch nur einen Blick auf ihre künftigen Herrscher erhaschen, die gerade dabei waren, den Platz zu betreten, zusammen mit ihren Freunden aus Lumen und dem Königreich von Arendelle.
Die ganzen Gassen und kleinen Straßen, durch die sie gingen, waren wundervoll geschmückt, mit violetten Girlanden des Sonnenwappens und einige Laternen standen auch bereits bereit. Überall, wo sie hinsahen, sahen sie nur glückliche Gesichter – von Nara, Evan und Jule abgesehen. Und in diesem Getümmel kam plötzlich noch jemand auf Eugene zu.
„Hey, Flynn~!", rief ein bekanntes Gesicht, das nun auch Rapunzel wiedererkannte. Es handelte sich um Gwendula Marchand, eine alte Bekannte Eugenes, die ihn schon mehr als einmal wieder zusammengeflickt hatte, das letzte Mal war gar nicht so lange her und da die noch-Prinzessin dabei gewesen war, konnte sie sich nur allzu gut an den Pfeil erinnern, der damals in der Schulter ihres Mannes gesteckt hatte.
Gwen war in Begleitung ihrer kleinen Tochter Paige, die sie an der Hand durch die Menge, auf die Gruppe rund um Rapunzel und Eugene zuführte. Als die beiden bei ihnen ankamen, strahlten sie ebenfalls, wie die Leute um sie herum. „Wenn ihr dachtet, wir lassen uns euren großen Tag entgehen, dann habt ihr falsch gedacht!", spottete die Braunhaarige mit dem gewaltigen Busen, an dessen besonders der Blick von Rapunzel noch immer haftete. Ob er wohl schwer wiegte, fragte sie sich wohl.
Als Gwen die verblüfften Mienen ansah, lachte sie nur. „Ups, stimmt ja, du nennst dich wieder Eugene. Tut mir leid!" Aufmunternd klopfte sie dem braunhaarigen noch-Prinzen auf die Schulter. „Keine Sorge, wird schon alles gut gehen. Du warst doch einmal der berühmte Flynn Rider. Das König-sein schafft du mit links!" Wieder schmunzelte Gwen und grinste dabei optimistisch. Ihre kleine Tochter Paige kicherte und nach einiger Zeit stimmten Anna und nach und nach auch alle anderen des recht großen Grüppchens mit ein.
Bis eine Stimme, die von der riesigen Kathedrale, namens Kirche, kam, aufgeregt zu ihnen hinüber schrie. „Na, hallo, so eine Überraschung!", kam ein etwa siebenzwanzigjähriger Mann – also im selben Alter wie Gwen – auf die Gruppe zu, sprach aber eher auch Rapunzel und Eugene an, „Ich glaube, es warten bereits alle sehnsüchtig auf die neuen Herrscher. Also, Prinzessin, ich würde sagen, Sie und ihr hochverehrter Mann begeben sich nun besser zur Krönungszeremonie. Sie wollen doch nicht zu spät kommen, oder?"
Bei dieser Anrede – und dem ihr wohl bekannten Augenzwinkern –, nicht dass es Rapunzel nicht vorneherein klar gewesen war, wusste sie, wer dieser Mann war. Ein gewisser Schriftsteller, dem sie kurz nach ihrer und Eugenes erster Ankunft im Palast von Corona begegnet war; John Flynnigan Lainer. Und während sie den braunhaarigen Autoren näher betrachtete, lächelte sie, als sie das kleine Bündel eines Kindes in seinen Armen entdeckte. Wohl etwas zu überstürzt lehnte sich Rapunzel vor, um das kleine Geschöpf in Johns Armbeuge zu begutachten. „Wie süß!", flüsterte sie fast andächtig und sah dann zu dem Schriftsteller auf. Sie traute sich nicht, nach der Mutter zu fragen, hatte sie doch Angst, eine Befürchtung könnte sich bestätigen.
„Es freut mich, dass Sie es hierher geschafft haben, Herr Lainer!", sagte sie stattdessen und zog ihren Mann etwas näher an sich heran, während sie ihren Blick erneut auf das Kind sinken ließ.
Irgendwann würde sie bereit für ihr eigenes sein. Eines Tages, wenn sich alles gelegt hatte und der Tod nicht mehr auf der Matte stand, würde sie zusammen mit Eugene eine Familie gründen. Doch dieser Tag war nicht heute. Heute, war der Tag ihrer Krönung.

Während Anna, Kristoff und Elsa sich in der Kirche in die vorderste Reihe setzten und auch Nara, Evan und Jules ihnen in die zweite Reihe folgten, wurde Rapunzel bereits von Rose erwartet, die diese sogleich am Arm packte und sie rasch in einen Nebenraum entführte, wo sie sich ihr Krönungskleid ankleiden sollte. Eugene wiederum wurde von Landon in einen anderen Raum geführt, wo dieser ihm die seine Kleidung für die Krönung reichte, die er davor von der braunhaarigen Schneiderin bekommen hatte. Das Ehepaar ließ es seufzend über sich ergehen, waren jedoch beide gleichermaßen aufgeregt.
In der Kapelle fing nun auch ein leises Getuschel an, denn die Zeremonie der Krönung müsste damit jeden Augenblick losgehen und alle Anwesenden waren angespannt und voller Neugierde, sowie auch die beiden Menschen, die am heutigen Tage eigentlich im Mittelpunkt stehen sollten.
Da war das Königreich von Lunaris, das durch David anwesend war, der ebenfalls in der ersten Reihe saß, mit einer wunderhübschen, dunkelhäutigen Frau, mit schwarzen Haaren, in einem roten Kleid, als Begleitung. Dann der König und die Königin von Lavanda, zu denen sich nun auch John Lainer mit seinem kleinen Sohn gesellte und auch Prinzessin Miranda von Flor war mit ihren Eltern anwesend. Dazu jedoch noch diverse, andere Adlige und Bürger und Bürgerinnen, die diesen Tag einfach mit ihren neuen Herrschern feiern wollten. So eben Gwen und Paige, aber auch Kathrin und Landon mit ihren Kindern vom Waisenhaus. Der Blonde ließ sich dabei neben seine Frau und den Kindern nieder, denn sein Freund, der zukünftige König, war nun soweit bereit.
Eugene stand am Eingang der Kirche und sah tatsächlich aus wie ein echter König. Seine braunen Haare waren glatt gestriegelt, sein Bart wieder auf ein Ziegenbärtchen gestutzt. Die weiche Hose harmonierte gut mit dem hellblauen Hemd, worüber die schwarze Weste mit den Applikationen von Mond und Sternen prangte. Und der weite Umhang dazu wirkte noch eindrucksvoller als noch bei der Anprobe vor ein paar Tagen. Dennoch war dem Braunhaarige ein klein wenig unbefangen zumute, weshalb er erst aufsah, als ihn jemand von hinter anrempelte. Dieser jemand trug einen weißen Umhang, weshalb er mehr von der Person gar nicht mitbekam, nur dass diese ihm ein Blatt Pergament zeigte, das sich als Einladung zu ihrer Krönung aufwies und sich dann schnell in die hinterste Bankreihe der Kathedrale zurückzog, weshalb sich Eugene darum keine weiteren Gedanken machte. Stattdessen schenkte er seine volle Aufmerksamkeit seiner wundervollen Frau, die nun ebenfalls zu ihm zurück in die Kirche trat, lächelnd und mit ihrem Krönungskleid an, das sich weiß und golden, mit abertausenden von Blumen auf dem Oberteil, über ihren Körper erstreckte. Auf ihrem braunen Schopf sitzte ein runder Blumenkranz, an dem ein Schleier befestigt war. Die Schleppe von Kleid und Schleier richtete Rose gerade noch, da sie hinter Rapunzel herlief und sie anwies, nicht zu schnell zu laufen. Ihrem Mann blieb bei ihrem Anblick jedoch nur die Spucke stecken, so atemberaubend schön fand er sie in diesem Moment. Nicht dass er sie normal nicht auch für wunderschön hielte, doch er war einfach viel zu überrascht, um etwas sagen zu können. Wenn man es von außen betrachtete und es nicht besser wüsste, würde man glatt behaupten, dass heute statt einer Krönung wohl eher eine Hochzeit stattfand, denn die künftigen Herrscher wirkten so verliebt wie am ersten Tag. Und das ließ den Leuten im Innenraum der Kathedrale ein gemeinsames „Oh!" entweichen.
„Du...", begann Eugene endlich das Wort an seine Frau zu richten, „Du siehst..." Er schluckte nochmals und betrachtete sie von neuem mit staunenden Augen von oben bis unten. „Du bist wunderschön, Rapunzel!", stellte er schließlich wieder einmal lächelnd fest.
Ehe seine Frau jedoch antworten konnte, kam ihnen Rose dazwischen, die Rapunzel nun anwies den langen Kirchengang hinunter zum Altar zu gehen. Ein leichter Trommelklang setzte ein, der von einem Chor untermalt wurde. Allem darüber hörte man eine hohe und klare Stimme, die alles übertönte.
Dies war zwar erst der Beginn der Krönungszeremonie, aber die Braunhaarige musste schon jetzt einen deutlichen Kloß an Respekt herunter schlucken, um einen Schritt nach dem anderen zu tun und dem Altar, und damit Pfarrer Benjamin und Adam, der junge Priester, bei dem Eugene seine monatlichen Beichten abhielt, somit immer näher zu kommen.
Als Rose sie schließlich anhielt und die Schleppe vom Schleier fallen ließ, winkte die Schneiderin rasch Eugene zu, der die ganze Zeit am Eingang der Kirche gewartet hatte, unschlüssig, was er tun sollte.
Kurz wurden seine haselnussbraunen Augen groß und durch sie huschte eine Spur von Angst, doch dann fing er sich schon wieder, in dem er sich einmal leise räusperte, und schließlich schritt auch er den langen Gang der Kathedrale entlang, bis zum Raum des Altars. Die Augen aller Anwesenden, die nun mehr auf ihn gerichtet waren und ihm den gesamten Weg folgten, ignorierte er so gut wie möglich. Das Herz war ihm schon so in die Hose gerutscht, da brauchte er nicht auch noch die Tatsache, dass er errötete.
Wenige Minuten später zog sich Rose letztendlich ebenfalls in die erste Reihe zurück und überließ damit dem Pfarrer und dem Priester das Wort. Adam befahl den beiden somit augenblicklich, mit einem kurzen, sanften Nicken, sich hinzuknien, damit Benjamin seine Psalme anfangen konnte aufzusagen. Deshalb sanken Rapunzel und Eugene damit sofort auf den Stufen des Altars ehrerbietig auf die Knie. Die versammelten Leute im Saal hielten augenscheinlich den Atem an. Alle Aufmerksamkeit lag nun auf Benjamin, der anfing auf Latein den kirchlichen Psalmen zur Krönung zu wiederholen, und auf Adam, der dabei mit dem Königszepter abwechselnd beide Schultern Rapunzels berührte und es schließlich bei Eugene fortsetzte.
Schnelle Schritte trugen den jungen Priester zu einem Samtkissen aus rotem Brokat, auf dem die Königskronen saßen. Zuerst nahm er vorsichtig die der Königin und kam damit zu Rapunzel hinüber. Gleich nachdem sie die Last auf ihrem braunen Schopf spürte, die vom Schleier nicht gemildert wurde, befühlte sie kurz den Blumenkranz, der sich nun um die Krone rankte, ehe sie dann auch in den Stand wechselte und sich zu ihrem Volk in der Kirche umdrehte. Und sie lächelte. Sie lächelte jedem einzelnen strahlend entgegen, ehe sie erst bemerkte, dass Adam nun ebenfalls bei Eugene nochmals angekommen war und die Krone ihres Vaters auf seinem Haupt platzierte. Die Last dieser bekam der Braunhaarige deutlich zu spüren, als seine Schultern ein wenig tiefer sanken, doch Adam ermutigte ihn rasch dazu, sich ebenfalls zu erheben, in dem er auch ihm ein beruhigendes Lächeln schenkte. Ein Lächeln, das Stolz verhieß.
Damit breitete sich auch auf Eugenes Gesicht Erleichterung aus, die ihn schließlich dazu veranlasste, ebenso wie seine Frau – seine Königin – in den Stand zu wechseln und dem Volk entgegen zu treten. In seinem Kopf explodierten seine Gedanken wild zu Feuer und brannten alle Zweifel nieder.

Frozen & Tangled II: Unforeseen ObstaclesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt