Chapter III

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Wir steigen draußen in ein Taxi, das Mary vorher wohl schon gerufen hatte und sie diktiert dem Fahrer eine mir unbekannte Adresse. Ich sitze auf einem der Rücksitze, Mary sitzt am Beifahrersitz. Der Taxifahrer ist schon relativ alt, er hat kurze graue Haare und trägt ein schlichtes weißes Hemd und eine dunkelblaue Jeans. Mehr habe ich von ihm noch nicht gesehen. Kann mir aber auch egal sein. Ich nehme meine Kopfhörer aus dem Rucksack und stecke sie an mein Handy an. Nach einigen Minuten Fahrzeit, in denen ich hauptsächlich über mein bisheriges Leben und meine Familie nachdachte, nehme ich kurz einen Kopfhörer aus dem Ohr. „Mary ... wie lange fahren wir überhaupt?" Sie dreht sich zu mir um. „So vier bis fünf Stunden, Liebes ... du kannst in der Zwischenzeit ruhig schlafen." Sie dreht sich wieder nach vorne und nach einigen Minuten schlafe ich tatsächlich ein.

Als ich wieder aufwache, ist es draußen schon dunkel und ich merke, dass Mary wohl auch eingeschlafen ist, immerhin schnarcht sie am Beifahrersitz vor sich hin. Ich grinse leicht. Sie ist wirklich mein Oma- bis Mutterersatz. Auch wenn es jetzt hart klingt, bin ich froh, dass ich endlich meine Mutter los bin. Sie hat sich die letzten Jahre nie wirklich um mich gesorgt oder ähnliches, sie wollte nur, dass mein Zeugnis perfekt ist und dass alle von mir glauben, dass ich eine Musterschülerin sei. Alles andere war ihr egal. Sie hat, glaube ich, nicht einmal mitbekommen, dass ich seit zwei Jahren am Wochenende in einem kleinen Lokal aushalf, um manchmal von zuhause wegzukommen. Ich hatte das Geld nicht nötig, da mir meine Mutter eine Kreditkarte zur Verfügung stellte, auf die ein monatlicher Betrag von mehreren hundert Euro überwiesen wird. Meine Mutter kam aus einem reichen Elternhaus und wir gehören ohne Zweifel zur Oberschicht, wenn man das so nennen kann. Habe ich schon einmal erwähnt, dass ich dieses mit-Geld-protzen-und-angeben hasse? Mit einem Ruck bleibt das Taxi stehen. Durch diese Bewegung wacht auch Mary auf. „Sind wir schon da?" sie schaut den Taxifahrer verschlafen an. Dieser schüttelt den Kopf und ich auch zu schlafen.

Ich werde erst wieder wach, als das Taxi hält und Mary mich sanft an der Schulter rüttelt. Ich setze mich auf und versuche zuerst, mich etwas zu orientieren. Ich atme tief ein und aus. Das hier ist ein Start in mein neues Leben. Ich will nicht mehr dieses vorbildliche, perfekte Mädchen sein. Ich habe diese Maske satt. Ich öffne die Tür und steige aus. Da es schon ziemlich dunkel ist, erkenne ich nicht mehr allzu viel von meiner Umgebung. Das einzige, das ich ausmachen kann, ist, dass das Haus, vor dem wir gehalten haben, relativ groß ist. Zwar nichts im Vergleich zu meinem alten Zuhause, aber größer als ich es mir vorgestellt hätte. Der Taxifahrer steigt aus und öffnet den Kofferraum. Wir nehmen unsere Koffer heraus und nachdem Mary den Fahrer bezahlt hat, gehen wir auf das schmiedeeiserne Tor zu. Mary drückt auf eine Klingel und nach wenigen Sekunden ertönt ein Summer und das Tor geht automatisch auf. Wir gehen über einen gepflasterten Platz auf die Haustür zu, die vor unseren Nasen aufgerissen wird.

Ich erkenne schemenhaft die Umrisse einer Frau, die Mary sofort an sich drückt. „Mary! Wie lang ist es her? Zwei Jahre? Drei?" Die Frau lässt Mary los und zieht uns beide in das Haus. „Kommt, kommt, draußen ist es ja so kalt! Und du bist also die kleine Samantha? Obwohl, klein ..." Die Frau hat einen hellbraunen Bob, blaue Augen und sieht Mary zum Verwechseln ähnlich. Ich gehe mal davon aus, dass sie verwandt sind. Sie trägt ein dunkelblaues T-Shirt und eine helle Jeans. Ich schätze sie auf Mitte fünfzig bis Anfang sechzig. „Oh! Ich habe ja ganz vergessen, mich vorzustellen! Ich bin Elizabeth, aber bitte nenn mich Liz, und Marys ältere Schwester. Und ihr seid sicher müde! Aber zuerst: Hat jemand Lust auf Kakao?" sie plappert in einem durch und ist mir sofort sympathisch.

Sie hakt sich, ohne eine Antwort zu erhalten, bei mir und Mary ein und zieht uns auf eine Tür zu. „James, June, Mary und Samantha sind da!" ruft Elizabeth. Die Tür, auf die wir zugehen, wird geöffnet und ein Mann mit grauen Haaren und Bart, braunen Augen und Lachfältchen im ganzen Gesicht, kommt heraus. Ich vermute in ihm Elizabeths Ehemann, da sie gleich alt zu sein scheinen. Hinter ihm taucht eine jüngere Frau, die ich auf Ende dreißig schätze, mit braunen, langen Haaren und blauen Augen im Türrahmen auf.

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