Nach dieser kurzen Rede schweigt der ganze Tisch, bis June sagt: „Natürlich, das ist doch selbstverständlich. Wir hatten allerdings auch keine Ahnung, dass Samantha Ihre Tochter ist. Obwohl man es sich bei dem selben Nachnamen erschließen hätte können. Und Sie müssen sich nicht erkenntlich zeigen, Mister McCarthy. Wir haben gern die paar Tage für Ihre Tochter gesorgt. Sie ist ein sehr nettes und offenes Mädchen und hat überhaupt keine Umstände bereitet."
Bei ihrem letzten Satz lächelt sie mir zu und ich erwidere es. Doch ich kann förmlich Mels Blicke, die sie mir jetzt zuwirft, spüren.
Ich habe ein bisschen Angst vor Ihrer Reaktion. Wird sie wütend sein? Enttäuscht? Den restlichen Abend vermeide ich es so gut es geht, zu Mel zu schauen und ich denke das beruht auf Gegenseitigkeit.
Am Tisch wird besprochen, wie und wann mein Vater mich abholen wird und ich bei ihnen einziehen werde.
Letztendlich einigt man sich für den nächsten Tag. Ich führe einige belanglose Gespräche mit meinem Bruder und nach eineinhalb weiteren Stunden entscheiden wir uns dazu, aufzubrechen.
Auf dem Weg zurück zum Auto zieht mich Mel allerdings ein Stück zurück, sodass wir einige Meter hinter den anderen gehen.
„Warum zur Hölle hast du mir nicht gesagt, dass Ash dein Bruder ist? Ich meine, dein BRUDER? Weißt du wie verdammt peinlich das ist, was ich die letzten Tage über ihn gesagt hab?" Sie wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu. Also mit so einer Reaktion hätte ich jetzt nicht gerechnet.
„Naja, ich fand es eher lustig" Ich grinse leicht und sie schaut mich ungläubig an. „Lustig? Für dich vielleicht! Aber warum hast du gesagt, dass ihr in einer Beziehung seid?"
„Ich glaube, Ash wollte einfach sein Image ein bisschen aufbessern. Bisher wurde er ja eher als F*ckboy der Schule dargestellt und er hat einfach die Gelegenheit genutzt. Außerdem wollten wir nicht gleich an die große Glocke hängen, dass ich seine Schwester bin und die Leute wären misstrauisch geworden, wenn ich einfach so die ganze Zeit bei ihm gewesen wäre."
Mel nickt nachdenklich. „Werdet ihr es jetzt den anderen Schülern auch sagen oder seid ihr weiter noch in einer „Beziehung"?"
Ich überlege kurz. „Ich weiß es noch nicht. Ich muss darüber noch mit Ash reden, immerhin fand ich es nicht wirklich lustig, gleich als Schlampe beschimpft zu werden. Andererseits kann ich Ash jetzt verstehen, warum er lieber eine Fake-Beziehung hätte." Mel nickt erneut und wir steigen in das Auto ein.
Die Fahrt verläuft eher still, einfach weil niemand weiß, was er jetzt sagen sollte. Ich merke, wie gern June mich über meine Familie ausfragen würde, sie aber genug Taktgefühl hat, um es sein zu lassen.
Wir kommen wieder bei den Millers an und ich beschließe, das wenige Gepäck das ich überhaupt schon ausgepackt habe, heute schon wieder einzuräumen. Mel hilft mir dabei und wir reden noch ein bisschen über meine Familie.
Ich erzähle ihr von meiner Kindheit, der Trennung meiner Eltern und wie meine Mutter so wurde, wie sie jetzt ist. Sie ist nicht mehr wirklich schockiert nach dem Gespräch letztens, aber es schwingt immer noch leichtes Entsetzen in ihrer Stimme mit.
Nach zwei Stunden gehen wir dann auch schlafen und ich denke etwas wehmütig daran, dass ich diese Familie morgen schon verlassen muss.
Andererseits freue ich mich auch schon wieder darauf, mit meinem Vater und meinem Bruder zusammenzuleben. Ich habe die beiden die letzten Jahre unglaublich vermisst. Und auch wenn ich weiß, dass sie nicht daran schuld sind, dass wir keinen Kontakt hatten, nehme ich es ihnen ein bisschen übel, es nicht einmal versucht zu haben, mich irgendwie zu besuchen oder mich wenigstens anzurufen.