Mittlerweile sind wir wieder am Haus angekommen. Wir steigen aus und gehen in mein Zimmer. Am Bett liegt meine Geldtasche und mein Handy. Mel nimmt letzteres in die Hand und betrachtet es ehrfürchtig. „Oh. Mein. Gott. Mach es bloß nicht kaputt." Ich lache. Als würde ich mein Handy zerstören. Noch dazu ist es ein relativ neues Modell, immerhin hatte ich genug Geld zur Verfügung. Mel zieht mich an der Hand zu meinem Kleiderschrank und öffnet ihn. „Oh Gott. Mädchen, ein Shoppingtrip ist wirklich nötig. Dringend." Ich sehe an mir herab. Ich trage eine normale Jeans und einen weißen Pullover. „Warst du einer der „Nerds" oder warum hast du dich bitte so angezogen? Sam. Du hast eine tolle Figur und die gehört betont. Also jetzt nimm dein Geld und wir fahren." Wenn sie das sagt. Sie schüttelt den Kopf und geht aus dem Zimmer. Ich stecke meine Geldtasche und mein Handy in die Hosentasche und folge ihr. Unwissend, was passieren wird.
Vier Stunden später sitzen wir in einem süßen kleinen Café und trinken Kaffee. Neben meinem Stuhl liegen mindestens acht Taschen voller Kleidung. Und ich muss zugeben, dass Mel einen sehr guten Geschmack hat. Nur bin ich jetzt am Ende meiner Kräfte. Mel ebenfalls. Plötzlich klingelt ihr Handy. „Hallo? – Oh, hi Jen. – Was? – Okay, ich komme gleich. Könnte ich vielleicht jemanden mitbringen? – Okay. Bis dann. – Bye."
Sie legt auf und ich sehe sie abwartend an. „Saaam. Willst du vielleicht mitkommen? Ich treffe mich mit meinen Freunden. Sie würden dich alle gerne kennenlernen." Ich willige ein und wir setzen uns einige Minuten darauf wieder in Junes Auto. „Wir treffen uns bei Jen zu Hause. Sie ist eine meiner besten Freundinnen. Außer ihr werden auch noch zwei andere Mädchen und drei Jungs kommen. Sie gehen übrigens alle in meine Klasse. Also auch in deine Klasse." Ich nicke und wir fahren los.
Nach ungefähr fünfzehn Minuten kommen wir an und stehen vor einer großen Villa. Diese ist schon eher mit meinem alten Zuhause vergleichbar. Mel parkt am Straßenrand und wir steigen aus. Wir gehen über einen geschotterten Platz auf die Haustür zu. Mel drückt auf die Klingel und die Tür wird sofort von einem Mädchen ausgerissen. Sie hat ein sehr schmales, schon fast elfenhaftes Gesicht, blaue Augen und blonde, glatte Haare, die ihr bis zu den Ellenbogen gehen. Sie ist ungefähr gleich groß wie ich und sehr dünn. Fast schon zu dünn.
Sie umarmt Mel stürmisch und erdrückt sie fast. Nach wenigen Sekunden lässt sie sie aber schon wieder los und strahlt mich an. „Hi. Ich bin Jennifer. Aber nenn mich bitte Jen. Oder Jenny. Aber nicht Jennifer." Ich will ihr gerade die Hand geben, als sie mich schon in eine Umarmung zieht. Sie nimmt mich am Arm und zieht mich ins Haus hinein. Ich werfe Mel einen hilfesuchenden Blick zu, die mich aber nur belustigt angrinst. Eiskalt.
Jen schleift mich in ein Wohnzimmer, wo schon andere Leute sitzen. Es sind, wie Mel schon gesagt hat, zwei Mädchen und drei Jungs. Die mich übrigens alle angrinsen. Was ich wahrscheinlich meinem Auftritt verdanke. Vielen Dank auch an Jen. Die zwei Mädchen stehen auf und umarmen mich ebenfalls. „Hi. Wir sind Liv und Josy." Sie sind offensichtlich Zwillinge, sie haben beide die gleichen braunen Augen und die schlanke Figur. Außerdem sind beide eher klein, so um die 1.60 m und haben schwarze Haare, die ihnen etwas über die Schultern gehen. Der einzige Unterschied ist, dass die eine silbrig weiße, die andere blaue Haarspitzen hat. „Okay ... äh ... wer ist jetzt wer?" Sie lachen. Wow, sie lachen sogar gleich. Die mit den weißen Spitzen ergreift das Wort. „Ich bin Liv und das ist Josy." Sie zeigt auf ihre Zwillingsschwester. Die drei Jungs erheben sich ebenfalls und ziehen mich aber nicht gleich in eine Umarmung, wofür ich ihnen sehr dankbar bin. Ich bin nicht so der Typ für Umarmungen.
„Hi. Ich bin Josh." Sagt der in der Mitte. Er ist ziemlich gut gebaut und hat sehr helle blaue Augen und hellbraune Haare. „Luke." Dieser hat blonde Haare und hellbraune Augen. Von der Figur her ungefähr gleich wie Josh. „Matthew, aber bitte nenn mich Matt." Er lächelt mich an. Seine Haare sind eher dunkelbraun und seine Augen olivgrün. Alles in allem sind alle Jungs ziemlich ... nicht hässlich. „Wenn du fertig bist mit Starren darfst du dich auch gerne vorstellen." Josh grinst mich an. „Wow. Respekt. Ich hätte mit einem noch dümmeren Spruch gerechnet. Ihr seid anscheinend nicht einmal absolute Arschlöcher." Sage ich zuckersüß grinsend. Liv, Josy, Jen und Mel lachen lautstark los. „Oh Gott ... Das ... war ... böse" kichert Jen. Ich grinse. „Aber ihr habt Recht. Ich sollte mich wirklich vorstellen. Gut. Mein Name ist Samantha McCarthy und ich bin 17 Jahre alt. Ab Montag gehe ich in die ... keine Ahnung wie meine Schule heißt. Auf jeden Fall in die gleiche wie ihr. Da ich von meiner Mutter rausgeschmissen wurde, wohne ich mit meiner ehemaligen Haushälterin und inoffiziellen Adoptivgroßmutter bei Mel. Noch Fragen?"
Einige Stunden später sitzen wir immer noch in Jens Wohnzimmer und Mels Freunde haben sich allesamt als wirklich nett herausgestellt. Mittlerweile kennen sie nach einem kleinen Vorstellungsspiel meine Lieblingsfarbe, mein Lieblingsfach, welches den Zwillingen übrigens ein Stöhnen entlockte, woher sollte ich auch wissen, dass sie Mathe hassen? Und noch mehr unnötiges Wissen. Ich weiß mittlerweile, dass Matt schwul ist, was ihn für mich allerdings nur noch sympathischer macht und dass alle auch irgendwie aus der „Oberschicht" kommen, was mich sehr wundert, immerhin können doch nicht alle irgendwie reich sein, oder?
Gerade geht es in der Runde um die Badboys. Also Gossip vom Feinsten. Gerade lästern sie über den Anführer der Badboys, Ash. Dieser Name löst eine Welle an Emotionen in mir aus. Warum? Mein Bruder heißt Ash. Oder er hieß zumindest so. Ich weiß nicht, ob ich ihn vermissen oder hassen soll. Immerhin hat er nicht einmal versucht, mich zu kontaktieren. Mel scheint zu merken, dass mit mir etwas nicht stimmt. „Leute, es ist schon spät. Ich glaube wir gehen. Oder, Sam? Ich nicke und mir wird bewusst, dass ich Mel meine Geschichte anvertrauen muss. Sonst könnte ich nie ganz ehrlich zu ihr sein. Und auch wenn es mir etwas schwerfällt es zuzugeben, ist sie mir jetzt schon irgendwie ans Herz gewachsen. Abgesehen davon sollte ich mich irgendjemandem anvertrauen. Ich hasse es, Schwäche zu zeigen. Ich hasse es. Der letzte Mensch, der mich weinen sah, war Mary. Und davor mein Bruder. Das heißt ich weine nicht mehr wirklich. Nie. Wir stehen auf und verlassen nach einer Abschiedsrunde die Villa. Wir steigen wieder in Junes Audi und Mel schaltet die Scheinwerfer an, da es schon stockfinster ist. Wir fahren schweigend zu Mel nach Hause.
Als sie in der Garage parkt, sieht sie mich besorgt an. „Sam. Was ist los?" Ich schlucke. Ich will es ihr nicht sagen. Du musst aber. Ich weiß. Dann tu es. Ich will aber nicht. Du bist schlimmer als ein kleines Kind. „Kann ich es dir bitte ... drinnen erklären?" Sie nickt und wir gehen mit den Einkaufstaschen, die noch im Kofferraum waren, ins Haus. Wir gehen die Treppe hinauf in mein Zimmer. Wir stellen die Taschen in die Ecke und Mel sieht mich abwartend an.