Chapter X

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„Was willst du? Ich habe dir schon gesagt, dass du dir nichts darauf einbilden sollst." Seine Stimme ist kalt und schneidend.

„Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob dir das Wetter heute auch so gut gefällt."

Er will sich schon umdrehen und weitergehen, als ich fortfahre. „Das war ein Scherz. Im Ernst, ich wollte dich nur fragen, wie du eigentlich im Nachnamen heißt."

Er bleibt stehen, dreht sich um und kommt auf mich zu. Einige Zentimeter vor mir stoppt er. „Ich wüsste nicht, was dich das angehen könnte." Ich bemerke seinen Geruch. Mir wird schwindelig.

„Ich weiß schon, was es mich angeht. Bitte. Ich will es nur wissen." Meine Stimme zittert. Sein Freund, der noch hinter ihm steht ergreift das Wort. „Siehst du Ash, ich habe dir gestern schon gesagt, dass du das lassen sollst. Aber nein. Er will nicht, dass sein Name bekannt wird. Nicht einmal die Lehrer wissen richtig, wie er heißt. Also lass ihn in Ruhe." Den letzten Teil hat er an mich gewandt gesagt.

„Bitte. Es ist wichtig. Für mich. Und für dich auch. Denke ich."

Er schüttelt den Kopf und geht davon. „Ash!" Er dreht sich um und funkelt mich wütend an. Mittlerweile bin ich mir sicher. „Ich ... Ich bin ...-" „Mich interessiert nicht, wer du bist! Und jetzt lass mich verdammt nochmal in Ruhe!"

Ich zucke zusammen, als er mich so anschreit. Eine Träne löst sich aus meinem Augenwinkel. „Ich bin's... Sam. Samantha McCarthy." Ich flüstere nur, doch er scheint mich verstanden zu haben. Ash bleibt abrupt stehen. Sein Freund scheint es nicht zu bemerken und geht einfach weiter.

Langsam dreht er sich um und sieht mich an. Er sieht mich einfach nur an. Ich sinke auf den kalten Boden und Tränen laufen meine Wangen hinunter. Ich wollte nicht, dass er mich weinen sieht. Ich wollte nicht, dass mich irgendjemand weinen sieht.

Ich sehe, wie er mich erstarrt mustert. Und dann zu laufen beginnt. Vor mir bleibt er stehen. Und zieht mich in eine Umarmung. Ich spüre, dass er es ist. Ich weine in seine Jacke. Wie lange habe ich mich nach seinen Umarmungen gesehnt.

Er hebt mich auf und trägt mich in die Schule. „Ash, Alter. Wer zum Teufel ist diese Schlampe?" „Halt die Fresse. Wenn du sie noch einmal Schlampe nennst, wird meine Faust Bekanntschaft mit deinem Gesicht machen."

Ab diesem Satz höre ich nichts mehr. Er hat mich verteidigt. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht noch mehr zu weinen. Erst jetzt wird mir wirklich klar, wie sehr ich ihn die letzten Jahre vermisst habe.

Oder wie lange sich schon niemand freiwillig zu mir bekannt hat. Niemand. Nicht einmal meine eigene Mutter. Ich habe seinen Geruch, seine Umarmungen mehr vermisst als ich mir eingestehen wollte. Er hatte schon immer diese beruhigende Auswirkung auf mich gehabt. Das letzte Mal als ich ihn sah, war ich 10. Aber er ist irgendwie gleich geblieben. Ich glaube fest daran, dass er im Inneren noch immer der gleiche Ash ist, der mich vor so langer Zeit verlassen hatte.

Er hatte mich verlassen.

Das wird mir gerade bewusst. Er hat doch nicht einmal versucht, mich zu kontaktieren, oder? Außer meine Mutter hat ihm irgendwelche Unwahrheiten erzählt. Ich würde ihr zutrauen, dass sie ihm erzählt hat, ich wäre tot.

Ich merke gar nicht, wie Ash sich mit mir irgendwo hinsetzt und mich in eine halbwegs bequeme Position bringt. Ich weine immer noch. Zwar lautlos, aber die Tränen laufen wie Sturzbäche meine Wangen hinab.

Ich umklammere meinen Bruder und nehme mir vor, ihn nie wieder loszulassen. Nie wieder. Jetzt wo ich ihn grade wiederhabe. Er streicht mir beruhigend über mein Haar und wiegt mich leicht hin und her. Er hat sich gemerkt, wie man mich beruhigen kann.

Schon immer.

Langsam beruhige ich mich wieder und kuschle mich einfach an die Wärmflasche aka meinen großen Bruder. Wie ich diese Nähe vermisst habe.

Mir ist schon lange niemand mehr so nahe gekommen. Außer Mary. Apropos Mary. Wusste sie, dass Ash und Papa hier sind? Wusste sie es die ganze Zeit? Ich mache mir jetzt im Moment keine Gedanken darüber.

In diesem Moment genieße ich einfach die Anwesenheit meines Bruders. Er war immer mein bester Freund, bis zu diesem Tag. Ich muss dringend mit ihm darüber reden. Vielleicht werde ich jetzt auch Papa wiedersehen?

Ich weiß nicht, wie lang wir so dasaßen. Nach einiger Zeit hebt Ash meinen Kopf zumindest so an, dass ich ihm in die Augen sehe. Seine Augen haben sich nicht verändert. Kein Bisschen. „Du bist so ... groß geworden. So groß und ... hübsch."

Seine Stimme ist nur ein Flüstern. Bei diesen Worten zieht sich mein Herz zusammen. Mir hat noch nie jemand gesagt, dass ich hübsch bin. Zumindest hat es niemand ehrlich gesagt. Und ich selbst finde mich auch gerade noch erträglich. Ich will etwas erwidern, etwas antworten, aber ich bringe den Mund nicht auf. Meine Kehle ist außerdem völlig ausgetrocknet.

Ich schlucke einmal. „Ash ... Ich habe dich vermisst. So sehr." Eine Träne kullert meine Wange hinunter. Ash wischt sie sanft weg. „Ich dich auch, Sammy. So sehr." Wir sitzen einfach nur da und schauen uns gegenseitig in die Augen. Und mehr ist auch nicht nötig. Er gibt mir wieder ein bisschen Halt. Einfach dieses Gefühl, nicht alleine zu sein.

Ja, ich hatte Mary, aber sie ist nicht einmal wirklich mit mir verwandt und ich weiß so gut wie gar nichts über sie. Ich wusste nicht einmal, dass sie eine Schwester hat.

Das Läuten der Schulglocke reißt mich aus meinen Gedanken. Ich will aufstehen, werde aber von Ash festgehalten. „Können wir uns treffen? Nach der Schule? Bei meinem Auto, okay?" Ich nicke nur und stehe auf, da Ash seine Hände von meiner Taille gelöst hat. „Ash? Wie ... wie komme ich zur Cafeteria?"

Er grinst leicht. „Ich gehe mit dir hin, okay? Ich will ja nicht dass meine Schwester sich verirrt und ich sie gleich wieder verliere, obwohl ich sie gerade wieder gefunden habe."

Ich grinse ebenfalls. Eher habe ich ihn gefunden, nicht umgekehrt. Wir gehen zur Cafeteria und verabschieden uns in einem Gang direkt vor der Cafeteriatür, da Ash in eine andere Richtung gehen muss.

Ich stoße die schweren Flügel der Tür auf und gehe auf den Tisch zu, an dem ich meine neuen Freunde schon von Weitem sitzen sehe. Ich lasse mich auf einen Sessel am Tisch fallen und versichere Mel unauffällig, dass alles okay ist. Sie hat wohl bemerkt, dass ich geweint habe. Aber gerade bin ich glücklicher als die gesamten letzten vier Jahre zusammen.

Ich höre nebenbei ein wenig von dem Gespräch, oder eher bei der Diskussion, die die Zwillinge mit Josh und Matt führen. Ich schnappe ein paar Wortfetzen auf und spitze sofort die Ohren, als ich den Namen meines Bruders fallen höre.

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