Ich stelle mich bei der Essensausgabe an und warte geduldig, bis ich an der Reihe bin. Das, was über mich geredet wird, blende ich einfach aus und lasse mir von der Köchin eine undefinierbare gelbe Masse und seltsame braune Brocken auf meinen Teller klatschen. Das undefinierbare Zeug sollten wohl Fleischbällchen mit Kartoffelpüree sein. Verblüffende Ähnlichkeit, wirklich. ... nicht.
Ich bahne mir mit dem Tablett in der Hand einen Weg durch die Tische, an denen sich lautstark unterhaltende Schüler, oder auch Insassen dieser Irrenanstalt, ihre täglichen Futterrationen essen.
Oder zumindest so tun als ob und eigentlich am Ende wieder alles in den Müll werfen.
Ich entdecke meine Freunde an einem Tisch und lasse mich unaufgefordert auf einen Platz an ihrem Tisch fallen. Ich werde von allen Seiten freudig begrüßt und beginne zu essen. Alle Blicke liegen auf mir, als ich die undefinierbare Pampe zum Mund führe und schließlich esse.
Und es ist wirklich ekelhafter, als ich es mir jemals vorstellen hätte können. Ich verziehe angewidert das Gesicht, was die anderen dazu veranlasst, ihre eigenen Teller ebenfalls von sich weg zu schieben.
Das kann man doch nicht essen!
„Hey Sam, uhm... was ich noch fragen wollte... läuft da wirklich etwas zwischen dir und Ash?"
Als Liv diese Frage stellt, verstummen augenblicklich alle anderen Gespräche am Tisch und ich werde neugierig angestarrt. Shit. Was sage ich jetzt bitte?!
„Äh... ja es... läuft was. Nur werde ich euch nicht sagen, was läuft. Noch nicht."
Liv scheint sich zwar nicht mit dieser Antwort zufriedenzugeben, stellt aber netterweise keine Fragen mehr. In diesem Moment verfluche ich die Imageverbesserungsaktion meines Bruders. Aber ich kann es ihm nicht übelnehmen. So eine Gelegenheit wird er vermutlich nicht noch einmal bekommen.
Die anderen beginnen mittlerweile, sich wieder über ihre alten Gesprächsthemen zu unterhalten, als sich Mel zu mir setzt. „Sam. Ich kann es dir gar nicht oft genug sagen. Aber lass die Finger von Ash. Er wird dich nur benutzen und dann wirst du mit einem gebrochenem Herzen dastehen.
Und nein, ich übertreibe nicht. Ich will dich doch nur beschützen, okay?" Mich stört es extrem, dass Mel so ein Bild von ihm hat. Aber spätestens beim gemeinsamen Essen wird sie erfahren, was ich eigentlich mit Ash zu tun habe und wie er eigentlich ist. Zumindest hoffe ich das.
Deshalb nicke ich nur ergeben und werfe einen unauffälligen Blick zu dem Tisch an dem Ash sitzt. Er ist gerade mit dem Stein in ein sehr lautes Gespräch vertieft. Ich schätze mal, dass es um Steins Umgang mit mir geht.
Ganz ehrlich? Es stört mich nicht einmal, dass ich der Grund für dieses Gespräch bin. Der Stein hat es verdient. Ich wende mich wieder von meinem Bruder ab und bringe mich ein bisschen in die Gespräche meiner Freunde ein.
Ich öffne mein Schließfach, nehme meine Bücher heraus, schaue auf den Stundenplan um zu sehen, wo ich als nächstes Unterricht habe, und schließe den Metallkasten wieder.
Mittlerweile ist es Freitag und es hat sich nicht wirklich viel geändert. Ich treffe mich mit Ash fast jede Pause und die Gerüchte um mich werden immer mehr.
Irgendwo freue ich mich auf das Essen morgen, immerhin muss ich danach Mel und den anderen nichts mehr vorspielen. Ich habe mich mit Ash darauf geeinigt, dass nur ich meinen Freunden die Wahrheit über unsere Beziehung sage.
Die anderen sollten weiterhin in diesem Irrglauben bleiben.
So kann ich meinen Bruder wenigstens jede Pause sehen, und habe sogar einen plausiblen Grund dafür. Und ich bekomme Essen.
Ich will gerade zu meiner nächsten Klasse gehen, als ein Fels mir den Weg versperrt. Stein, um genauer zu sein.
„Was willst du?"frage ich ihn unhöflich. Ich wüsste auch nicht, warum ich nett zu ihm sein sollte.
„Dich warnen.", antwortet er kühl. „Ich wüsste nicht, wovor du mich warnen könntest." Leicht überheblich und provozierend schaue ich ihn an.
„Vor Ash."
„Warum um alles in der Welt glaubt jeder, er würde mich nur ausnutzen?!"
„Weil er es tun wird. Es ist eh schon ein Wunder, dass er es solange mit einer Bitch aushält. Oder mit dir aushält. Und er verteidigt dich sogar. Noch. Glaub mir, Ash ist kein guter Umgang für ein Zuckerpüppchen wie dich. Ich kenne Ash besser als du es je tun wirst und ich kann dir versichern, dass er sich nicht ändern wird."
Mit diesen Worten lässt er mich alleine stehen. Ich zucke nur mit den Schultern und setze meinen Weg zu dem Fotografie-Kurs fort.
In der Klasse angekommen, merke ich, dass ich glücklicherweise nicht alleine hier bin. In der letzten Reihe sitzt nämlich Liv, die desinteressiert an ihrem Handy hängt.
Ich lasse mich elegant wie ein Walross neben sie fallen und stelle meine Tasche auf den Boden. Liv schaut nicht einmal auf, sondern sagt nur: „Sorry, der Platz ist schon besetzt."
„Echt? Hat irgendwie nicht so ausgeschaut, aber wenn du willst, setze ich mich sofort weg."
Als sie meine Stimme erkennt, schaut sie erschrocken auf. „Sam! Sag bitte, dass du auch Fotografie genommen hast und dich nicht nur im Raum geirrt hast!" Ich lache leise. „Nein, das stimmt schon so."
Sie gibt einen kurzen Freudenschrei von sich und zieht mich in ihre Arme. „Endlich bin ich nicht mehr allein hier! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie langweilig es hier ohne irgendjemanden war!"
Ich muss unwillkürlich grinsen. „So leer hat es für mich jetzt aber auch nicht ausgesehen," gebe ich zu. „Naja, es ist auch nicht leer, aber hier sind einfach keine Leute mit Style." Sie lächelt mich glücklich an, als genau in diesem Moment eine noch eher junge Lehrerin den Raum betritt.
„Guten Morgen, oder eher Nachmittag, meine Schüler!" Sie klatscht einmal in die Hände und lässt ihren Blick durch die Klasse schweifen. „Oh, haben wir eine neue Schülerin? Wie heißt du denn?"
„Mein Name ist Samantha und ich bin gerade erst hierhergezogen." Antworte ich höflich und schenke der Lehrerin ein nettes Fake-Lächeln, was sie sofort erwidert.
„Schön, dann freue ich mich, dich im Fotografie-Kurs willkommen heißen zu dürfen!" Sie wendet sich wieder an die anderen Schüler. „Also. Heute werden wir zuerst ein bisschen Theorie machen, und dann werdet in Zweierteams praktisch üben."
Zwei Stunden später habe ich auch den Fotografie-Kurs überstanden und muss zugeben, dass es nicht einmal so schlimm war. Nachdem auch mein Cheerleading-Training vorbei ist(zu meiner großenVerwunderung waren im Team nicht einmal nur irgendwelche Tussen, die sich zugut für die Welt fühlen) ,verlasse ich das Schulgebäude und werde draußensofort von Mel in Empfang genommen, mit der ich anschließend auch zu ihr nach Hause gehe.