„Die Wahrheit, dass er ein ungewolltes Kind ist"

603 54 0
                                    

Mit meinem Hintern kickte ich gegen die Kühlschranktür, damit sie zuging, und schaufelte mir einen Löffel Joghurt in den Mund. Ich hörte wie jemand in die Wohnung kam und kurz darauf sah ich meinen Bruder in die Küche kommen. Seufzend schmiss er seinen Schlüssel auf den Küchentisch und ließ sich auf den alten Holzstuhl fallen.

„Was ist mit dir denn schon wieder los?", wollte ich skeptisch wissen.

„Wir müssen heute mit Dad reden", meinte er und kaute auf seiner Unterlippe herum.

„Du hast dich also entschieden?", fragte ich prüfend nach.

„Ja, ja, ich denke schon", erwiderte heiser.

„Du weißt, dass wir es auch irgendwie zu dritt hinbekommen würden", meinte ich seufzend. Damian sah ernst zu mir hoch.

„Zu zweit, wenn überhaupt", korrigierte er mich. Ich musste leicht nickend.

„Zu zweit, du hast Recht. Dad hatte keine Zeit dafür", stimmte ich ihm kleinlaut zu.

„Eleanor! Damian!", hörte ich auf einmal die laute Stimme meines Vaters, welcher gerade reinkam.

„Hi", rief ich zurück, nahm einen weiteren Löffel Joghurt und sah meinen Bruder abwartend an. Unser Vater kam in Karo Hemd und Kutte in die Küche und zündete sich eine Zigarette an.

„Können wir reden?", gab Damian auf einmal von sich. Dad legte seine Stirn fragend in Falten und sah zwischen mir und meinem Bruder hin und her.

„Okay", erwiderte Dad verwundert und setzte sich auf den Stuhl gegenüber von meinem Bruder. Ich lehnte mich gegen die Küchentheke und sah meinen Bruder an. Er warf mir einen leicht skeptischen Blick zu, doch ich nickte ihm bestätigend zu.

„Wo ist eigentlich Marc", platzte unser Vater dazwischen.

„Um ihn geht's", ging er auf sein Argument ein. Dad musterte seinen Sohn skeptisch

„Marc wird die nächste Zeit nicht mehr bei uns wohnen", begann Damian.

„Bitte was?!", kam es ungläubig von Dad

„Er hat kein guter Vater. Ich bin nie zuhause, gebe ihm ständig Scott's Frau oder Eleanor. Ich liebe ihn, er ist mein Sohn, aber ich kann ihn nicht alleine großziehen. Du hast es selbst gesagt. Als Teil des Clubs kannst du nicht Member und Vater zugleich sein. Das eine schließt das andere aus. Ist man ein Member, ist man automatisch ein schlechter Vater. Das ist bei mir so, das war bei dir so. Der Unterschied war nur, dass wir von Mom großgezogen wurden, aber ich habe niemanden, der hier zuhause sitzt und sich darum kümmert. Ich habe auch nicht die Chance ihn 10 Jahre lang zu vernachlässigen, um dann, wenn es um den Club ruhiger geworden ist, zu versuchen ein guter Vater zu sein. Er ist ein Kleinkind, er wird bald zur Schule gehen. Er wird Freunde finden und er wird ganz oft alleine sein, weil ich unterwegs bin. Ich komme nach Hause wenn er schläft, und gehe aus dem Haus, wenn es dunkel ist. Er würde aufwachsen und seinen Vater niemals richtig kennen. Die Zeiten im Club sind deutlich chaotischer geworden, als zu unserer Kindheit", erläuterte Damian das Problem.

„Wo ist Marc jetzt?", wollte Dad monoton wissen.

„Bei Scott's Frau", erwiderte mein Bruder.

„Wie stellst du dir das alles vor? Er ist dein Sohn", warf Dad ihm vor.

„Er soll normal aufwachsen. Zumindest so normal wie möglich. Er soll sagen können, dass er Geschwister hat, eine Mutter, einen Vater und ein Dach über dem Kopf", meinte Damian.

„Willst du ihm Chantal wiedergeben?", hakte Dad kopfschüttelnd nach.

„Nein. Marc wird bei Scott und seiner Frau leben, in den Kindergarten und die Schule gehen. Er wird ein normales Leben haben. Er wird nicht erfahren müssen, dass sein Vater ihn nicht abholen kann, weil er im Knast sitzt. Ich muss nicht mehr befürchten, dass ich in die Wohnung komme und er mein Blut verschmiertes Shirt sieht. Ich kann ihn einfach nicht unter diesen Umständen großziehen", kam es seufzend von Damian.

„Was wenn das Jugendamt davon Wind bekommt?", wollte unser Vater wissen. Damian nickte mir zu und ich reichte ihm den Zettel, der neben mir lag. Er legte ihn vor Dad, welcher stumm las.

„Sie hat ihn adoptiert?", kam es fassungslos von ihm.

„Ja. Ich bin jetzt offiziell der Vater und Scott's Frau die Mutter", erwiderte mein Bruder. Dad lehnte sich gegen sein Stuhl und schüttelte fassungslos stumm den Kopf.

„Ich hätte euch nie abgegeben, dafür habe ich euch zu sehr geliebt", meinte er nur.

„Du warst mit einer Frau zusammen, die du nie geliebt hast, nur weil du Kinder mit ihr hattest. Du hast sie nie verlassen, damit du jemanden hattest, der uns ins Bett brachte am Abend, währenddessen du mit den anderen Members auf dem Highway durch die Dunkelheit gefahren bist, um Dinge für den MC zu regeln.", erwiderte ich leise und sah ihn fast ein wenig traurig an, „du hast eine Frau zu deinem Gunsten zu tiefst verletzt. Sie hat dich geliebt, wusste aber im Grunde 18 Jahre lang nicht, wer du wirklich warst. Sie blieb nur, weil sie dich wirklich liebte ohne je zurückgeliebt zu werden" Dad sah mich lange an, spannte seinen Unterkiefer an und nahm einen Zug an seiner Zigarette. Schwer ausatmend sah er zur Seite und schüttelte in Gedanken den Kopf. Dann er wieder zu mir und nickte minimal.

„Ich hab's dir schon einmal gesagt. Setzt niemals Kinder in diese Welt voller Chaos. Es ist ein schlechter Ort um aufzuwachsen", kam es nur von ihm. Damian atmete tief ein und kratzte sich leicht am Kopf.

„Marc ist nicht aus der Welt. Wir werden ihn immer im Clubhaus bei den ganzen MC-Treffen sehen. Er wird auch unter der Woche dort sein. Scotts Frau ist sehr häufig da. Wir können froh sein, dass Marc von Anfang an im Clubhaus groß wurde, denn somit hat er gelernt, dass nicht nur ein Haus sein Zuhause sein kann. Scotts Haus nennt er genauso zuhause, wie unsere Wohnung. Und auch das Clubhaus nennt er sein zuhause. Hier geht es immer noch um sein Wohl, nicht um meins", gab Damian abschließend von sich. Ich nickte zustimmend und auch Dad nickte minimal.

„Wann sagst du ihm die Wahrheit über sein Leben?", wollte Dad wissen.

„Die Wahrheit, dass seine Mutter nach New York abgehauen ist?", entgegnete er.

„Die Wahrheit, dass er ein ungewolltes Kind ist", konterte Dad.

„Im richtigen Moment", meinte Damian schulterzuckend

„Wann ist denn für dich der richtige Moment?", hakte unser Vater nach. Ich rollte bei der Diskussion der beiden die Augen. Damian atmete tief ein, da ihm scheinbar nichts einfiel. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah die beiden an.

„Es gibt keinen richtigen Moment. Ich hab es erfahren im Streit zwischen Mom und Dad. Mom hat dir vorgeworfen, dass sie mich nicht wollte, du aber mich nur behalten wolltest, weil Bryan darum gebeten hat", kam es ernst von mir und ich sah meinen Vater an.

„Und du hast es erfahren, als du Scheiße gebaut hast und Mom dir gegen den Kopf warf, dass sie dich nie wollte, aber aus Liebe zu Dad dich behalten, weil sie hoffte mit ihm alt zu werden", richtete ich an meinen Bruder.

„Ich liebe euch wie niemanden anderen von Menschen, die jeden Abend im Clubhaus sitzen. Wenn alles zerbricht, haben wir jedenfalls noch uns", kam es rau von unserem Vater. Damian und ich sahen ihn beide erstaunt an.

„Es werden jetzt schwierige Zeiten anbrechen, aber es wird besser werden.", setzte er noch nach und nahm wieder einen tiefen Zug an seiner Zigarette.

O U T L A WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt