„Das ist keine Phase, dass ist sein Sturzflug"

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Das gesamte Wohnzimmer war voll mit Umzugskartons und kaum ein Raum war noch richtig bewohnbar. Mein Zimmer war leer geräumt und knapp die Hälfte hatte ich wegschmeißen müssen, da in der neuen Wohnung von Damian, Dad und mir nicht genug Platz war. Der Werkstattbetrieb war in vollen Gange, weswegen Lily und ich damit beauftragt wurden, dass Wohnzimmer leer zu räumen. Ich saß auf dem Sofa und beobachtete Lily, wie sie durchs Wohnzimmer schlenderte und sich alles ansah.

„Warum gibt es kein Familienfoto von euch?", wollte sie erstaunt wissen. Ich seufzte

„Weil wir keine Familie waren", erwiderte ich. Mit einem großen Fragezeichen im Gesicht sah sie mich an.

„Wie jetzt?", hakte sie nach.

„Wir sind keine Familie. Zumindest keine gewöhnliche", meinte ich. Neugierig setzte sie sich zu mir und sah mich abwartend an.

„Ist Buddy bei dir?", kam es auf einmal unhöflich von Damian. Er sah von seinem Handy auf, nickte Lily kurz zu und sah mich dann genervt an.

„Buddy", rief ich unseren Pitbull kurz und er kam aus der Ecke angelaufen.

„Um 7pm an der Werkstatt", richtete Damian an mich und sah mich ernst an. Ich nickte, doch als er immer noch nicht ging, rollte ich die Augen.

„Ich werde da sein", versicherte ich ihm

„Ich schick einen der Jungs", gab er noch von sich und verschwand mit dem Hund aus dem Haus.

„Okay, dein Bruder und du, ihr versteht euch nicht wirklich, aber macht euch das gleich zu einer ungewöhnlichen Familie?", hakte Lily nach. Ich schüttelte nur den Kopf und sah sie wieder an.

„Meine Familie bestand nicht aus 4 Menschen, wie du es dir wahrscheinlich gedacht hast, sondern aus knapp 20 Männern, deren Frauen und Kindern", entgegnete ich

„So viele?", platzte sie erschrocken heraus

„Eigentlich noch mehr, aber das ist der engere Kreis", meinte ich

„Das begreife ich nicht ganz", gestand sie

„In diesem Haus lebten wir, aber die eigentliche Familie ist der MC", gab ich seufzend von mir

„Die Rebel Rider?", hinterfragte sie. Ich nickte

„Der Club ist meine Familie und alle angeheirateten müssen sich entscheiden, der Club oder ihr altes Leben", erwiderte ich

„Und deine Mutter konnte ihr altes Leben nicht einfach so zurücklassen?", wollte Lily wissen.

„Ja genau", stimmte ich zu.

„Was war sie dann, wenn sie nicht zu der 'Familie' gehörte?", hinterfragte meine Freundin.

„Enger Freundeskreis des Clubs", gab ich seufzend von mir.

„Störte es dich nicht?", fragte sie unsicher. Ich schüttelte stumm den Kopf und kaute auf meiner Unterlippe.

„Der Club steht an erster Stelle. So bin ich aufgewachsen, so wurde ich erzogen. Immer damit rechnen geliebte Menschen für den Club zu verlassen", erklärte ich ihr.

„Das hat Dad mir damals nie erzählt", stellte Lily fast ein wenig traurig fest

„Er hat es dir nie erzählt, aber er hat es getan", erwiderte ich. Fragend sah sie mich an.

„Was meinst du damit?", wollte sie wissen.

„Dein Dad starb für den Club. Er nahm seinen Tod in Kauf, um Jaydens, Thomas' und Owens Leben zu retten.", ließ ich sie wissen.

„Wieso wurde uns das nie gesagt?", hinterfragte sie.

„Weil einige Sachen einige Zeit lang Clubintern bleiben. Als es öffentlich wurde, hatte sich deine Mutter schon vom Club abgewendet", erwiderte ich seufzend.

„Das ist das seltsame am Club", gab Lily in Gedanken von sich. Ich schüttelte den Kopf.

„Jeder der Männer würde für den anderen sein Leben aufs Spiel setzen. Es ist Zusammenhalt, es ist Familie", entgegnete ich

„Wieso hab ich nie davon was gespürt?", fragte meine Freundin.

„Deine Mutter wollte weg vom Club. Die Männer wollten sie im Club behalten, ihr helfen, das Haus ausräumen, eine Wohnung finden, ihr ein neues Leben ermöglichen. Sie hat so sehr den Club als Schuldigen gesehen, dass sie jede Hilfe verweigerte und die Männer regelmäßig rauswarf. Sie hat sich quasi gegen den Schutz des Clubs gewehrt", kam es nachdenklich von mir.

„Sie hat sich dennoch nie ganz vom Club entfernt", stellte Lily fest

„Scheinbar hat sie gemerkt, wie viel einfacher es mit dem Club ist", meinte ich schulterzuckend.

„Es war irgendwie seltsam, dass es gerade Dad traf, schließlich hatte er doch nie Probleme mit der Polizei", gab sie nachdenklich von sich. Ich nickte.

„Sein bester Freund ist Polizist. Muss was Gutes haben, wenn der beste Freund aus der Kindheit, auf der anderen Seite des Gesetzes steht", erwiderte ich. Lily schüttelte gedankenverloren den Kopf und sah sich weiter im Wohnzimmer um. Ich räumte einige Sachen aus den Regalen und Schränken in die Kartons. Im Hintergrund lief das Radio und mit der Zeit wurde der Raum immer leerer. Mein Handy klingelte und ohne weiter auf den Anrufer zu achten, ging ich ran.

„Ja?", meldete ich mich und warf einen PlayStation Controller in den Karton.

„Hi Eleanor. Ich bin's Nathan", kam es auf einmal von dem Freund von Ryan. Etwas verwundert setzte ich mich auf die Fensterbank und hörte ihm zu.

„Warum rufst du an?", wollte ich erstaunt wissen.

„Geht um Ryan", begann er seufzend.

„Hab ich mir schon fast gedacht", entgegnete ich geduldig und wartete darauf, dass Nathan fort fuhr

„Er kam vorhin bei mir stockbesoffen an und hat sich bei seinem Auto auch noch die Front kaputt gefahren. Hinten links der Kotflügel hat auch noch was abbekommen. Kannst du den Wagen nachher abholen und zu deinem Vater in die Werkstatt bringen?", kam es von Nathan leicht gefrustet. Ich atmete genervt ein, rollte die Augen und schüttelte fassungslos den Kopf.

„Das häuft sich langsam aber", meinte ich zögerlich, „ja, ich hol den Wagen nachher ab. Kommst du mit ihm klar?"

„Ja, Jax ist hier und wir haben ihn draußen in den Schatten auf eine Liege gelegt. Gib ihm drei oder vier Stunden und er wird es bereuen", erwiderte Nathan und lachte am Ende leicht.

„Ich hoffe es", gab ich nur von mir und legte auf. Lily sah mich fragend an, doch bevor ich die Situation überhaupt erklären konnte, kam sie mir zuvor.

„Ryan liegt wieder mal besoffen irgendwo rum?", fragte sie nach. Ich nickte und kaute auf meiner Unterlippe rum.

„Wie kann ein Mensch so fertig sein mit der Welt? Ständig streiten wir uns wegen Drogen und Alkohol. Ich kämpfe darum, dass er endlich trocken und clean ist, doch er kippt sich nur noch mehr rein. Er ist aggressiv, unberechenbar und schlecht gelaunt. Das macht echt kein Spaß mehr. Immer wenn einer seiner Jungs anruft, muss ich mit solchen Nachrichten rechnen. Er ist einfach am Boden", meinte ich verzweifelt und zog meine Beine an den Körper. Lily kam zu mir, legte einen Arm über meine Schulter und versuchte mich irgendwie aufzumuntern.

„Vielleicht ist das nur so eine Phase und es wird bald alles wieder", gab sie nachdenklich von sich. Ich starrte auf den Boden und schüttelte den Kopf.

„Das ist keine Phase, dass ist sein Sturzflug", widersprach ich ihr mit ernster Miene.

O U T L A WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt