„Weil die Cops ihn getötet haben"

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Was kann ich euch über den Knast sagen? Vorweg, ich kann nur was über den Frauenknast hier sagen. Er ist ungefähr nur ein Viertel der Größe, des normalen Knasts, in welchem sie die anderen Members befanden. Es gab kein Zicken-Krieg, so wie ich es anfangs befürchtet hatte. Nein, es gab in der Ausgangszeit knallharte Auseinandersetzungen zwischen den Insassen. Auch Frauen können schlagen, treten und dergleichen. Judy hielt uns geschickt aus ernsteren Angelegenheiten raus, doch die Brutalität, welche hier Alltag war, bekam ich deutlich zu spüren. Gleich in der ersten Woche hatte ich mir einen Schlag aufs Auge und einen Tritt gegen den Oberschenkel eingefangen. Beides wurde in Rekordzeit blau. Mir wurde heute gleich zweimal Besuch angekündigt. Es war ein kleines Highlight, denn die letzten drei Wochen war so gut wie gar nichts Neues passiert. Es gab immer den gleichen Ablauf. Die meiste Zeit des Tages verbrachte ich mit Judy auf unserer Zelle. Es gab nichts zu tun und wir langweilten uns zu Tode. Viel Zeit um nachzudenken und zu realisieren, wie sehr die letzten Monate es mir ermöglicht haben, über den Tod von Ryan hinweg zu kommen. Meine eigene Entwicklung, vom braven Mädchen, zum Knastinsassen hatte mich dabei selbst überrascht.

„Hudson", kam es laut von der Zellentür. Fragend drehte ich mich um und erblickte einen Cop, der mich scheinbar abholte. Zögernd trat ich nach vorne und hielt meine Hände durch die Luke in der Zellentür. Wieder umschloss das kalte Metall der Handschellen meine, inzwischen gereizten, Handgelenke. Er schloss die Zellentür auf und ließ mich raus. Judy sah mir nach und funkelte den Cop hasserfüllt an. Während des gesamten Weges aus dem Haftbereich, bis zum Besucherraum, sagte ich nichts. Selbst auf Fragen des Cops, ob unser Wasserhahn inzwischen wieder funktionierte, antwortete ich nur mit einem minimalen Kopfnicken. Ich wurde zu einem Tisch geführt und sollte dort auf den Besuch warten. Nicht im Geringsten wusste ich, wer mich sehen wollte. Ich vermutete Thomas, Grandpa oder Mom. Die drei kamen am ehesten in Frage. Als die Tür sich öffne und jemand von einem der Cops in meine Richtung geschickt wurde, traute ich meinen Augen kaum. Eine hochschwangere und stark geschminkte Chantal stand mir gegenüber. Sie sah sich verängstigt um und setzte sich dann mir gegenüber. Ich hatte meinen Kopf leicht in Richtung Tischplatte gesenkt und sah prüfend zu ihr hoch. Sie wirkte fertig mit der Welt.

„Was willst du?", wollte ich wissen.

„Mit dir reden", erwiderte sie und verkrampfte ihren Mund, sodass ich die Dringlichkeit wahrnahm. Erst jetzt fiel mir das matte durchschimmernde blau auf ihrem Wangenknochen auf.

„Worüber?", hinterfragte ich.

„Über das große Problem, welches ich seit knapp acht Monaten vor mir herschiebe", erwiderte sie gefrustet. Mein Blick landete auf ihrem Bauch. In Gedanken schüttelte ich den Kopf.

„Was ist dein Problem? Du hast nicht aufgepasst", entgegnete ich

„Dein ach-so-toller-Bruder ist genauso Schuld", blaffte sie zurück. Ich nickte

„Ja, aber du hast das Problem neun Monate an den Hacken. Er sein Leben lang", konterte ich. Chantal rollte die Augen.

„Ich bin jetzt nur hier, um das mit dir zu klären, was nach der Geburt mit Marc passiert", kam sie endlich zum Punkt.

„Marc? Ist das mit Damian abgesprochen?", hakte ich nach.

„Mit ihm ist nichts abgesprochen, weil er nicht mit mir spricht", meckerte sie.

„Jetzt weißt du, wie es mir 12 Jahre lang ging", stellte ich fest.

„Eleanor! Bitte", flehte sie mich auf einmal an und wurde theatralisch.

„Was ist dein Problem?", wollte ich nun seufzend von ihr wissen.

„Mein Vater schlägt mich dafür, dass ich schwanger bin. Er will, dass das Kind aus der Welt verschwindet. Sobald es geboren ist, muss es weg", jammerte sie vor sich hin.

„In einem Monat?", hakte ich nach und ignorierte den Part, der für ihren blauen Wangenknochen zuständig war.

„Ja. Ich werde ins Krankenhaus Los Angeles fahren und ihn dort zur Welt bringen", erwiderte sie.

„DU wirst nicht nach Los Angeles fahren, sondern in Ontario bleiben", widersprach ich ihr.

„Wieso? Los Angeles ist viel besser ausgerüstet", entgegnete sie.

„Krankenhäuser müssen einen gewissen Standard erfüllen. Sie sind alle gleich. Aber kein Member wird das Kind aus dem Krankenhaus Los Angeles abholen. Verstanden?", erklärte ich. Sie nickte minimal.

„Kannst du mir einen Gefallen tun?", wollte sie kleinlaut wissen.

„Welchen?", hakte ich prüfend nach.

„Nenn ihn bitte Marc. Dein Bruder wird dich nach einem Namen fragen", flehte sie mich an.

„Wieso sollte ich das tun?", fragte ich sie schulterzuckend. Chantal suchte verzweifelt nach einem Grund.

„Wir machen einen Deal", begann ich zögernd. Fragend und leicht verängstigt sah sie mich an

„Du wirst am Wochenende zur Werkstatt Hudson fahren und nach Evan fragen. Er wird dir eine Schachtel mit Asche geben. Du wirst damit nach Long Beach fahren und die Asche ins Meer kippen", meinte ich zu ihr. Sie sah mich konzentriert an, damit sie mir folgen konnte.

„Was ist das für Asche?", wollte sie wissen.

„Sowas hat dich nicht anzugehen", konterte ich monoton.

„Oh Sorry", gab sie stotternd von sich. Seit wann zeigte sie mir gegenüber so großen Respekt?

„Es ist die Asche unseres Hundes", klärte ich sie dann doch auf. Mit großen Augen sah sie mich an.

„Oh das, tut mir Leid", nuschelte sie und sah sich prüfend um, ob einer der Cops in der Nähe war, um sie im Notfall zu retten. Ich lachte leicht auf.

„Hör mal zu Prinzessin, keiner der Cops wird dich hier retten. Wenn du das Gebäude betreten hast, bist du auf dich alleine gestellt. Die haben hier genug zu tun und wer als Besucher kommt, der macht es auf einige Verantwortung", erklärte ich ihr heiser auflachend.

„Warum hasst du die Polizei so? Dein Bruder tut es auch", bemerkte sie verwundert. Ich grinste sie falsch an.

„Weißt du, warum du die Asche unseres Hundes ins Meer streuen wirst?", fragte ich zurück. Sie schüttelte minimal den Kopf.

„Weil die Cops ihn getötet haben", gab ich schroff von mir. Erschrocken zuckte sie zurück. Ungläubig sah sie mich an, doch ich erwiderte daraufhin nichts mehr. Die Besucherzeit war zu Ende und die hochschwangere Chantal, mit meinem Neffen im Bauch, verließ den Besucherraum. Für mich ging es zurück in die Zelle zu Judy.

Am späten Nachmittag hatte ich wieder eine Besucherzeit, doch diesmal eine andere. Ich wurde in einen Raum geführt, welcher durch eine Glasscheibe zu einem anderen Raum getrennt war.

„Wir dachten es wäre angebracht, wenn Sie Ihren Bruder mal wiedersehen würden", kam es von einem der Cops und ich hörte den Hauch der Provokation heraus. Durch die Glasscheibe von mir getrennt stand mein Bruder. Die Augenbraue genäht, der Oberarm von getrocknetem Blut verklebt. Darunter eine circa 15 Zentimeter lange Schnittwunde. Das rechte Auge hatten sie ihm blau geschlagen und auf der Brust färbte sich ebenfalls eine große Stelle blau-lila. Ich atmete tief ein und stotternd wieder aus. Sie hatten ihn zu einem Käfigkampf gezwungen, doch die Tatsache, dass er vor mir stand bedeutete, dass er gewonnen hatte.

Der Knast, der Ort an dem Cops Wetten darauf absetzen, welcher der Insassen durch den Käfigkampf diesen Ort in einer Holzkiste verlassen würde.

O U T L A WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt