Ganz ohne die Polizei zu informieren, wurde Judy abtransportiert. Der Sheriff von Ontario stand dem Club nah. Nur er wurde über den Tod der Nichte unseres einstigen Präsidenten informiert. Die restlichen Members in Carson City wurden durch einen Anruf von Steve über Judys zukünftiges Fehlen aufgeklärt.
Ich saß zusammen gekauert bei meinem Vater im Zimmer auf seinem Sessel, weil er mich zu sich gebeten hatte. Er wollte über irgendwas mit mir reden, doch ich konnte einfach nicht aufhören zu weinen. Judy hatte mir alles gezeigt und alles erklärt. Sie war irgendwie wie eine große Schwester gewesen. Vielleicht auch ein wenig wie eine Mutter. Denn eine Mutter beschützt ihr Kind, auch wenn es ihr Leben kosten könnte. So war Judy gewesen. Sie hat mein Leben als wertvoller angesehen, als ihr eigenes. Ich hab sie geliebt dafür.
Es klopfte an der Tür und Dad öffnete leicht seufzend die Tür.
„Was ist?", wollte er wissen. Steve stand an der Tür.
„Die anderen kommen in drei Stunden an. Sie kommen so schnell wie möglich", teilte er mit. Dad nickte
„Ist okay. Heute Nacht passiert eh nichts mehr", erwiderte er monoton und schloss die Tür. Mein Vater ließ sich auf seiner Bettkante nieder, stützte seine Unterarme auf seinen Knien an und sah mich abwartend an. Stumm flossen in Bächen mir meine Tränen die Wangen runter. Immer wieder schüttelte ich in Gedanken den Kopf.
„Du kannst mir sagen was du willst, aber Judy hat sich nicht nur den Golden Schuss gesetzt, weil es ihre Mutter damals tat. Sie hat ihre Mutter gehasst. Sie wird es nicht ihretwegen auch getan haben", kam es ruhig, aber ernst von meinem Vater. Ich reagierte nicht und sah einfach nur stumm auf den Boden.
„Eleanor. Ich möchte wissen, warum Judy sich getötet hat. Sie war ein Teil unserer Familie. Sie gehörte zu uns wie jeder andere der Jungs dazugehört. Sie gehörte mehr zum Club, als die Frauen der Jungs. Ich weiß genau, dass es einen Grund gehabt haben muss. Judy hatte immer einen Grund für das, was sie tat", meinte er mit Nachdruck. Ich schüttelte unterbewusst den Kopf und sah ins Leere. Schniefend versuchte ich gegen die Bäche aus Rotz und Tränen gegen an zukommen.
„Sie hat all die Jahre, seitdem Marc auf der Welt ist, den Kontakt zu ihm gemieden. Sie hat ihn nie gehalten, nie von sich aus mit ihm geredet. Sie ist ihm aus dem Weg gegangen. Judy wollte, dass er sie niemals kennen würde. Zumindest nicht so lange, wie sie Drogen nach. Sie hat immer gesagt, dass das Leben im Club für ihn schon schwer genug ist. Er solle sich niemals an eine Person gewöhnen, die Drogenabhängig ist. Eine Person wie sie", gab ich leise von mir. Dad hörte verstehend zu und nickte.
„Judy hat nie gezeigt, was sie fühlt, aber Taccas Tod hat ihr sehr zugesetzt, oder?", wollte er wissen. Ich nickte minimal den Kopf.
„Sein Tod selbst nicht so sehr. Klar, es hat ihr Herz gebrochen, aber das, was sein Tod aus ihr gemacht hat, das hat ihr zugesetzt", erklärte ich
„Was genau meinst du?", fragte Dad skeptisch nach und sah mich mit fragendem Blick an. Ich nahm mir eine Zigarette aus der Schachtel neben mir und zündete sie an. Ich nahm einen tiefen Zug und atmete stotternd wieder aus. Mein Vater sah mich abwartend, jedoch leicht besorgt an und nahm sich ebenfalls eine Zigarette. Stumm rauchte eine Weile, bis ich fortfahren konnte.
„Wir gingen nach Taccas Tod in den Knast. Sie hat mich da durchgeboxt. Sie hat mich beschützt, als wäre ich ihr Kind. Sie hat mich da durch gelotst. Sie hat Verantwortung übernommen. Taccas Tod hat sie verantwortungsbewusst gemacht", erwiderte ich
„Das erklärt, warum sie den Kontakt zu Marc gemieden hat", stellte Dad fest. Ich nickte leicht.
„Judy hat angefangen den Club mehr zu schätzen, nach seinem Tod, weil sie begriffen hat, was ihr Onkel so sehr an dem MC geliebt hatte. Eigentlich war ihr Plan gewesen, wieder zu gehen. Doch sie blieb", meinte ich
„Eleanor. Ich kenne dich gut genug. Ich weiß, dass das nicht die ganze Wahrheit ist. Judy hat sich in den letzten Wochen immer mehr distanziert von allen. Irgendwas war los. Wenn sie den Club so sehr geschätzt hätte, dann hätte sie sich nicht umgebracht. Es muss einen Grund gegeben haben", bohrte mein Vater weiter in der Wunde rum. Ich spürte wieder, wie meine Tränen mehr wurden und vergrub mein Gesicht.
„Der Club kann sie jetzt eh nicht mehr für schlechte Taten bestrafen oder hassen. Es wird ihr jetzt nichts mehr passieren. Du kannst ruhig die Wahrheit sagen", versuchte Dad mich zu überzeugen. Ich sah ihn mit verweinten roten Augen an und schüttelte den Kopf.
„Wenn ich dir die Wahrheit sage, dann wirst du es verhindern, dass sie neben Tacca beerdigt wird. Du wirst dafür sorgen, dass sie im Wald vergraben wird oder sonst wo. Du wirst sie aus der Welt schaffen", gab ich schluchzend von mir. Dads Blick wurde ernst und er sah mich mit gerunzelter Stirn an.
„Eleanor, ich verspreche es dir. Judy wird neben ihrem Onkel ihr ewiges Grab haben", versprach er mir und legte seine Hand auf meine. Unter Tränen sah ich ihn an und schüttelte in Gedanken immer wieder den Kopf.
„An dem Tag an dem Bryan starb", begann ich heiser und hatte Dads Aufmerksamkeit augenblicklich, „da hat Judy mich von den Kindern weggeholt und ist mit mir aufs Dach geklettert. Da wo sie immer saß. Sie war total seltsam und hat mir erzählt, dass sie herausgefunden hat, wer ihr Vater ist. Sie war total aufgelöst und ich habe ihr geschworen, vor ihrem Tod niemandem davon zu erzählen. Sie hat mir nicht den Namen ihres Vaters genannt, sondern mir einfach nur ein Bild gereicht. Es zeigte sie als Neugeborenes in den Armen ihres Vaters. Man konnte das Gesicht ihres Vaters nicht sehen. Nur die Unterarme. Er war stark tätowiert. Ähnlich wie Owen" Ich machte eine lange Pause und nahm einen Zug an meiner Zigarette. Mein Vater sah mich abwartend an und schien mein Erzähltes genausten zu überarbeiten.
„Ein Tattoo stach halt besonders hervor. Es war ein simpler Schriftzug. Judys Vater hatte ‚Devils Never sleep' auf den Unterarm tätowiert", gab ich leise von mir und biss mir auf die Unterlippe. Dad holte tief Luft, richtete sich auf und ging im Zimmer auf und ab.
„Wo hatte sie das Bild her?", wollte Dad fassungslos wissen
„Tacca hat es ihr in einer Kiste hinterlassen", hauchte ich. Dad schüttelte den Kopf, stemmte die Hände in die Seiten und kaute, noch immer nicht wissend was er tun sollte, auf seiner Unterlippe rum
„Er hat es all die Jahre gewusst, aber Judy im Ungewissen leben lassen. Er war zu feige es ihr ins Gesicht zu sagen und ist quasi schuld daran, dass sie sich jetzt das Leben genommen hat", kam es ungläubig von meinem Vater.
„Judy hat immer wieder betont, dass sie im Herzen ein Rebel Rider war", nahm ich Judy in Schutz. Dad nickte minimal.
„Das glaube ich dir. Sie hat es ja nie anders gewusst", entgegnete er seufzend und ließ sich wieder auf sein Bett fallen.
„Was wirst du jetzt tun?", wollte ich wissen. Dad zuckte mit den Schultern
„Lassen wir ihr Geheimnis in ihrem Sarg, genauso wie wir die Ursache von Bryans Vaters Tod im Sarg von Bryan ließen. Es gibt Dinge, die sollte man nicht an den großen Tisch bringen, da es längst vergangene Dinge sind, die nur unnötige Unruhe in den Club bringen würden", erwiderte Dad
„Was war mit Bryans Vater?", fragte ich verwundert. Dad seufzte
„Er hatte eine andere Vision vom Club. Eine gewaltfreie. Ohne die illegale Scheiße. Er starb durch die Hand meines Vaters. Ich weiß es von Tacca", erklärte mein Vater mir. Ungläubig schüttelte ich den Kopf, doch er nickte nur leicht.
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O U T L A W
Teen Fiction'Wir sind Outlaws. Gesetzlose. Wenn die Freiheit gesetzlos ist, werden nur Gesetzlose frei sein.' "Sie war wild, aber loyal" Aus dem Leben eines Outlaws Inspiriert von den Sons of Anarchy