„Er wusste es schon lange"

698 51 0
                                    

„Weiß jemand wo Charles ist?", kam es von Dale und er sah sich fragend in der Werkstatt um.

„Er ist gestern Morgen nach Carson City gefahren und müsste auf dem Weg zurück sein", erwiderte Damian und kroch aus dem Motorraum des Chevrolets hervor.

„Was will er bei seinem Alten?", entgegnete er verwundert. Mein Bruder zuckte mit den Schultern und machte sich wieder an die Arbeit.

„Ty, Scott. Die Corvette muss in einer Stunde zum Lackierer. Beeilt euch", rief ich den beiden zu, welche an der letzten Hebebühne an dem ehemaligen Unfallwagen arbeiteten.

„Wir geben alles Elo. Der Idiot hat die ja fast komplett geschrottet", meinte Scott genervt. Ich ließ die beiden lieber in Ruhe und verschanzte mich wieder in das kleine Büro, um die letzten Rechnungen zu bezahlen und mich um die Verträge zu kümmern. Durch das gekippte Fenster kam der alltägliche Lärm der Werkstatt rein. Niner lag vor dem Sessel vor meinem Schreibtisch und döste vor sich hin. Die Metalltür zum Hof ging auf und Thomas kam herein. Müde hob Niner den Kopf, erblickte den alten Mann und legte ihn wieder entspannt ab. Thomas sah mich fragend an

„Hast du eine Minute?", fragte er mich. Ich nickte.

„Ja natürlich", erwiderte ich. Thomas setzte sich auf den Sessel gegenüber vom Schreibtisch und sah den Kalender prüfend an.

„Können wir übernächste Woche Dienstag die Werkstatt schließen?", wollte er wissen. Fragend sah ich ihn an und warf dann einen Blick auf den Kalender.

„Für den Tag sind nicht viele Autos angemeldet, aber wieso?", fragte ich verwundert

„Das North und das East haben für den Tag Schutzanträge gestellt", erwiderte er seufzend

„Womit rechnen die?", wollte ich wissen.

„Aus Montana haben sie Clubs angekündigt, die durch Ontario nach LA fahren werden. Sie wollen auf Nummer Sicher gehen", erklärte Thomas. Ich nickte.

„Ja, ich spreche das mit Dad durch, aber das sollte klappen", entgegnete ich und schrieb es mir auf.

„Danke dir", kam es grinsend von Thomas und er verließ das Büro. Ich machte mich wieder an die Arbeit, bis die Tür zum Werkstattgelände wieder aufging. Leicht genervt sah ich von dem Papierkram auf und erblickte den Sheriff. Er trug seine Dienstkleidung und wirkte angespannt.

„Kann ich dir irgendwie helfen?", erkundigte ich mich skeptisch.

„Darf ich?", wollte er wissen und zeigte auf den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches. Ich nickte und er schloss hinter sich die Tür.

„Wo ist dein Bruder?", fragte er nach. Ich sah ihn verwundert an.

„In der Werkstatt, wieso?", wollte ich wissen.

„Er sollte das vielleicht auch hören", gab der Sheriff verlegen von sich. Mehr als skeptisch sah ich den älteren Mann an, stand auf und öffnete die Tür, welche vom Büro zur Werkstatt führte.

„Damian!", rief ich über den Lärm hinweg. Mein Bruder sah mich fragend an, legte dann den Akkuschrauber weg und kam auf mich zu.

„Was ist?", fragte er verwundert

„Der Sheriff will mit uns reden", meinte ich nur und setzte mich auf den Stuhl hinter meinem Schreibtisch. Damian schloss hinter sich die Tür und sah den Sheriff fragend an.

„Was gibt's?", kam es fragend von ihm. Der Sheriff atmete tief ein und sah uns dann nacheinander an.

„Die Cops in Richtung der Grenze zu Nevada wurden auf einen Harley-Fahrer aufmerksam, weil er die Kutte der Rebel Rider trug. Als sie ihm folgten, gab dieser Gas und sie versuchten ihn mit einer Straßensperre auf der 395 Höhe Coleville zu stoppen. Sie vermuteten Charles Hudson, welcher im gesamten Westen gesucht wurde.", begann er zu erzählen. Damian und ich sahen ihn abwartend und gespannt an.

„Es war euer Vater. Jedoch hielt er nicht an, als die Cops die Straße versperrten, sondern raste einfach in vollem Tempo in die Autos. Er trug seinen Helm, doch der Kinnriemen war nicht geschlossen. Er war sofort tot", kam es zögernd vom Sheriff. Fassungslos sah ich ihn an. Dann wanderten meine Blicke zu meinem Bruder. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte auf den Fußboden.

„Es tut mir leid", fügte der Sheriff noch seufzend hinzu. Ich schloss die Augen, atmete tief ein und presste meine Lippen aufeinander.

„Tod oder Freiheit", kam es nur von Damian leise und er ging kopfschüttelnd durch die Tür raus auf den Werkstatthof.

„Was tut er jetzt?", wollte der Sheriff besorgt wissen. Ich kämpfte mit mir selbst und schüttelte nur leicht den Kopf.

„Das tun, was man nun mal tut, wenn der Vater stirbt", erwiderte ich nur und ging aus dem Büro ins Clubhaus. Ich atmete tief ein und stotternd wieder aus. Das durfte nicht wahr sein. Wieso? Wieso hat mein Vater das getan? Wieso war er in die Autos der Cops gerast? Wieso hatte er den Kinnriemen nicht zugehabt? Wieso war er jetzt tot?

„Weil er sterben musste", kam mir auf einmal ein Gedanken in den Kopf. Ich ließ mich aufs Sofa fallen und spürte, wie heiße Tränen in meine Augen stiegen. Sie flossen in Sturzbächen meine Wangen hinunter und tropften anschließend auf meinen Schoss.

„Oh mein Gott Elo, was ist los?", kam es besorgt von Sally.

„Geh!", schrie ich sie an, auch wenn sie nichts dafür konnte. Erschrocken fuhr sie um und verschwand. Keine Ahnung wohin. Plötzlich ging die Tür zum Clubhaus auf und ich hörte die Stimme der Members durcheinander reden. Sie waren aufgelöst, schockiert, bestürzt, ratlos. Das sah man allen an. Ich hatte kein Bock sie jetzt alle zu sehen, auch wenn sie meine Familie waren. Schnell floh ich in mein Zimmer und warf mich aufs Bett. Ich begann bitterböse zu weinen, schlug mit den Fäusten auf meine Matratze, trat um mich und schrie. Ich ließ alles aus mich heraus, bis ich heiser war, meine Augen brannten und mir die Luft zum Schreien ausging. Zitternd atmete ich schwer vor mich hin und lag einfach auf meinem Bauch. Mir wurde eiskalt und ich hatte das Gefühl, mir würde die Luft zum Atmen abgeschnitten werden. Dad war die letzten Jahre der wichtigste Mann in meinem Leben. Er war der erste, der nach Ryans Tod für mich da war. Er hat mir so oft zugehört, Mut zugesprochen und mich zu dem gemacht, was ich jetzt war – ein Teil der Rebel Rider. Er wusste wann was zu sagen und wann schweigen angebrachter war. Er war einfach mein Vater. Er hat diese ganze illegale Scheiße mit den Drogen und Waffen beendet und damit den Club in die richtige Richtung gelenkt. Dafür nahm er sein eigenes Leben in Kauf. Er war Wochenlang der meist gesuchteste Verbrecher des Westens und jetzt, wo sie ihn fast geschnappt hätten, hatte er seinen Tod vor die Haftstrafe gezogen.

Ich hörte wie die Tür aufging und jemand hereinkam. Meine Bettkante senkte sich leicht und kurz darauf spürte ich eine warme Hand auf dem Rücken. Ich roch den Qualm einer Zigarette und sah mit Tränen verschmiertem Gesicht zur Seite. Es war Jayden, der mit roten Augen neben mir saß und einfach nur schwieg.

„Wieso hat er sich nicht verhaften lassen? Bei guter Führung wäre er nach 10 Jahren draußen gewesen", kam es leise und noch immer mit zitternder Stimme von mir. Jayden sah zu mir runter und ich sah ein paar Tränen stumm seine Wangen runter fließen. Er hatte meinen Vater sehr geliebt, weil Dad ihn wie einen eigenen Sohn behandelt hatte.

„Du kennst deinen Dad. Er hätte sie im Knast durchgesetzt, sich Respekt verschafft. Für ihn hätte es keine Verkürzung gegeben. Ganz im Gegenteil", erwiderte Jayden heiser. Er hatte Recht. Schwer ausatmend legte ich meinen Kopf aufs Kissen und starrte gegen die Wand. Unkontrollierbar liefen mir Tränen die Wangenknochen runter und tropften dann aufs Kissen.

„Er wusste, dass er draufgehen würde nach all dem, was geschehen war", gab Jayden auf einmal monoton von sich. Ich sah zu ihm hoch und musste feststellen, dass er Recht hatte. Tief einatmend schloss ich die Augen und erinnerte mich an das Treffen von Dad und dem Sheriff abseits der Stadt, als er darüber sprach, dass er das Land verlassen wollen würde. Schon damals war es ihm bewusst gewesen.

„Er wusste es schon lange", erwiderte ich leise. Jayden seufzte hörbar und ich spürte, wie er sich seine Worte zurecht legte.

„Wenn wir ehrlich sind, ist zu viel passiert, als dass er normal hätte weiter leben können im MC. Es war das einzig logisch, was nach all den Monaten hätte passieren können", entwich es ihm heiser.

O U T L A WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt