Kapitel 17 - Fernhalten

196 7 1
                                    

Irgendwie kann ich gar nicht so wirklich sagen, wie ich mich gefühlt habe, als ich mich von der Bushaltestelle auf den Weg zu meinem Auto machte. Einerseits war da diese irre Freude in mir, dass Ana so positiv auf den Kuss reagiert hatte. Noch jetzt kribbelte alles in mir, wenn ich an den Moment eben dachte, ich konnte sie noch schmecken und riechen. Es war fast so, als stünde sie vor mir, wenn ich einfach die Augen schloss. Dieses Gefühl beschwingte mich und sofort schlich sich ein breites Grinsen in mein Gesicht. 
Auf der anderen Seite konnte ich Ana noch immer nicht einschätzen. Sie hatte mich die letzten Male, die wir uns gesehen hatten, unerwartete tief in ihre Gefühlswelt blicken lassen. Das gab mir zwar das Gefühl, ihr auf irgendeine Weise etwas zu bedeuten, aber ich wusste auch, wie wichtig Familie war, und ich mochte mir nicht vorstellen, zu was man in der Lage war, wenn man seine komplette Familie verloren hatte. 

Langsam lief ich also den inzwischen stockdunklen Weg weiter und kramte schon einmal in meiner Jackentasche nach meinem Autoschlüssel. Natürlich nahm ich zuerst die falsche Tasche, aber in der anderen fand ich ihn dann und zog ihn hervor. Als ich wieder aufschaute hatte ich bereits die ersten Autos des Parkplatzes erreicht und bog ab in die zweite Parkreihe, wo mein Wagen wartete. 

Als ich näher kam, erkannte ich ihn. Eine stockdunkle, stämmige Gestalt lehnte an meinem Auto und schaute mir entgegen. Eine Kapuze verdeckte allerdings sein Gesicht und ich konnte nichts erkennen. Sofort misstrauisch wurden meine Schritte langsamer, bis ich schließlich ganz stehen blieb. Ich war nur noch etwa sieben Meter von dem Kerl entfernt und als er sich bewegte, läuteten sofort alle Alarmglocken in meinem Kopf. 
Ich hätte wegrennen sollen, wahrscheinlich hätte er nicht mit mir mithalten können. Aber meine Beine waren wie erstarrte und in meinem Hals zog sich alles zusammen, als der Schrank mit schnellen Schritten auf mich zu kam. 

Kaum stand er vor mir, packte er nach meinem Jackenkragen und riss mich daran durch die Gegend. Keine Ahnung warum, aber ich brachte einen Mucks heraus. Vermutlich hätte ich sowieso verloren, wenn er zuschlug. Noch dazu war es inzwischen ziemlich spät und niemand mehr auf diesem Parkplatz unterwegs. 
Mit roher Gewalt schubste der Kerl mich auf mein Auto zu, bis ich es schließlich im Rücken spürte und ich daran gedrückt wurde. Mit einer Hand umfasste er meinen Hals und raubte mir den Atem. Panisch griff ich nach seinem Arm und rüttelte daran, aber es war zwecklos. 
"Was willst du?", brachte ich schließlich krächzend hervor und versuchte wieder, mich aus seinem Würgegriff zu befreien. Aussichtslos. 
"Halt dich gefälligst von ihr fern!", fauchte der Typ mit kratzig tiefer Stimme. Perplex schaute ich zu ihm hoch, versuchte sein Gesicht durch die Schatten hindurch zu erkennen. Aber es war zu dunkel, um etwas sehen zu können. 
"Hast du verstanden?! Du wirst Ana in Ruhe lassen, ansonsten geschieht ihr was sehr, sehr unschönes!", drohte der Kerl. Anas Name ließ alles Blut in mir gefrieren und für kurze Zeit vergas ich, dass ich kaum Luft bekam. Was wollten sie ihr antun? Sie durften ihr nicht weh tun! Nicht meiner Ana!
"VERSTANDEN?", brüllte er mir nun ins Gesicht. 
"Ja...", murmelte ich nur benommen. 
"Wenn nicht, wirst du es bereuen!" Endlich ließ er mich mit einem Ruck los und ich hustete einmal heftig, als wieder Luft in meine Lunge gelangte. Ich hielt mir meinen schmerzenden Hals und lehnte mich keuchend an mein Auto. 
Der Schrank vor mir, machte einen Schritt zurück und ich hatte schon Hoffnung, dass er abhauen würde. Aber stattdessen spürte ich gleich darauf einen harten Schlag gegen meine linke Schläfe. Sofort wurde alles Schwarze um mich herum noch dunkler, alles drehte sich und ich taumelte. Der Betonboden fing mich schließlich auf. Ich war nicht richtig gefallen, aber ich kämpfte eine ganze Weile um mein Bewusstsein. Als sich der Schwindel langsam normalisierte und nur noch der pochende Schmerz an meinem Kopf zurück blieb, sah ich gerade noch, wie der breitschultrige Kerl mit schwerfälligen Schritten davon ging. 

Mit einem leisen Fluchen tastete ich vorsichtig meine Schläfe ab. Meine Finger berührten das warme Nass und sofort wurde mir übel. Ächzend stand ich auf und öffnete die Autotür. Ich ließ mich in den Sitz fallen und suchte darunter nach dem Verbandskasten. Als ich ihn fand, öffnete ich ihn mit zittrigen Fingern und kramte schließlich eine Verbandrolle hervor. Ich wickelte sie ab und hielt sie mir an die Schläfe, um das Blut abzufangen, bevor es meine gesamte Garnitur zerstörte.
Ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass es nur eine kleine Wunde war, die deutlich weniger blutete, als ich angenommen hatte. Trotzdem blieb ich noch eine Weile einfach so in meinem verschlossenen Auto sitzen, bis mich die Panik wieder packte und ich hektisch los fuhr. 

Zu Thilo war es zum Glück nicht weit. Ich lief noch immer mit dem Gewusel Verband an meinem Kopf zur Tür und klingelte Sturm. Bene öffnete mir und sah mich sofort schockiert an. 
"Was ist passiert?", fragte er alarmiert und zog mich hektisch ins Haus. Ohne eine Antwort abzuwarten, verfrachtete er mich in der Küche auf einen Stuhl und rief gleichzeitig nach Thilo. Dieser steckte sofort den Kopf durch die Tür und suchte für Bene dann gleich Verbandssachen hervor. 

Zehn Minuten später war die Wunde gereinigt  und Bene klebte ein riesiges Pflaster darauf. Inzwischen blutete es wenigstens nicht mehr. 
Auch Max hatte inzwischen Wind davon bekommen und saß mir mit besorgtem Blick gegenüber. 
"Guck mich nicht so an, Meyer", seufzte ich und schloss die Augen. Meine Schläfe pochte noch immer. 
"Was ist passiert, Leon?", fragte jetzt auch er. 
"Hat Ana dich etwa in die Flucht geschlagen?", witzelte Thilo kichernd, was auch Bene zum Grinsen brachte. 
"Danke für euer Mitleid, ich hab euch auch furchbar lieb!", lächelte ich ironisch. 
"Spuck's schon aus!", drängte Max weiter. 
"Ich bin gegen so eine blöde Laterne gerannt, okay?", log ich halbherzig. Max glaubte mir kein Wort, aber Thilo begann sofort lauthals zu lachen. Er verließ schließlich glucksend die Küche und ließ mich bei Bene und Max zurück.
"Hier, trink was!", forderte Bene und stellte mir ein Glas Wasser vor die Nase. Dankbar nahm ich ein paar Schlucke und starrte dann die Tischplatte an. 
"Hat es was mit Ana zu tun? Du hast sie doch nach Hause gebracht." Max ließ wohl nicht locker. 
"Sie hat darauf bestanden, mit dem Bus zu fahren, damit ich direkt hier her fahren konnte. Ich hab sie zur Haltestelle begleitet und hab das blöde Ding dann auf dem Rückweg nicht gesehen", erklärte ich kurz und hoffte, er würde meine Lüge schlucken. 
"Und du warst so neben der Spur, dass du einen Laternenpfahl nicht siehst?", fragte Max mit tadelndem Blick. 
"Ich war in Gedanken! ... Ich hab sie geküsst", murmelte ich widerwillig und verbarg das Gesicht in meinen Händen.

Ich musste die Wahrheit einfach für mich behalten. Niemand durfte von dieser Drohung erfahren, nicht einmal Ana. Ich würde versuchen, mich von ihr fern zu halten, so wie der Typ es verlangt hatte. Ich konnte einfach nicht zulassen, dass ihr irgendetwas zustieß. Ich würde sie beschützen, auch wenn ich sie dann nie wieder sah...

Good Boy - Bad Girl (Goretzka FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt