Kapitel 42 - Wiedersehen

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Ganze drei Tage dauerte meine Warterei. Drei Tage lang lag Ana im Koma und wurde rund um die Uhr von den Ärzten bewacht. Aber eben nur von den Ärzten, nicht von mir. Ich saß in meinem Einzelzimmer und wurde immer ungeduldiger. Gleichzeitig sank meine Laune auf einen weiteren Tiefpunkt. Inzwischen war es eher eine Strafe, mit mir zu sprechen. 

"Leon!" Max war noch gar nicht richtig im Raum, als er schon meinen Namen rief und ich aus meinem Dämmerschlaf aufschreckte. 
"Was denn?", seufzte ich und heftete meinen Blick wieder zurück an die Decke. Eigentlich müsste dort inzwischen ein Loch sein, so oft wie ich sie in den letzten Tagen angestarrt hatte. 
"Jetzt sei doch nicht so grummelig, Sonnenschein", grinste Max breit. Er hatte inzwischen Freude daran gefunden, mich zu triezen, was nicht gerade zu meiner guten Laune beitrug. Diesmal schloss ich nur die Augen und ignorierte ihn so gut es ging. Für einen blöden Spruch war ich gerade nicht wach genug. 
"Okay, Leon, wir beide machen jetzt einen Spaziergang!" Ich sah etwas verwirrt zu Max hoch und legte die Stirn in Falten. 
"Bitte?"
Max lächelte nur breit. 
"Ana ist aufgewacht", meinte er dann beschwichtigend und grinste nur noch breiter.
Meine Augen weiteten sich sofort. In den letzten Stunden hatte ich das Hoffen beinahe schon aufgegeben. Aber jetzt kehrte das Leben in mir urplötzlich wieder zurück und ich setzte mich hastig auf. Ich kämpfte kurz mit der Decke, bis ich sie beiseite gestrampelt hatte und schwungvoll aufstand. Allerdings hatte ich zu lange gelegen und geriet leicht ins Stolpern.
"Ganz langsam!", lachte Max und stützte mich, bevor ich wirklich fiel. "Erst mal ziehst du dir am besten neue Klamotten an."
"Aber..."
"Nichts aber, Leon. Mach einfach. Umso eher gehen wir zu ihr", befahl der Blonde. Ich seufzte resigniert, tat dann aber, was er gesagt hatte.
Das Umziehen ging leider nicht annähernd so schnell, wie ich es gern gehabt hätte. Am Ende musste Max mir sogar helfen, in das blöde Hemd zu kommen. Meine Schulter war eine reine Katastrophe. Aber schließlich war ich fertig und schaute mehr oder minder zufrieden in den kleinen Spiegel im Bad. Das Krankenhaus und all die Tränen in letzter Zeit hatten abgefärbt. Meine Haut war blass, unter meinen Augen hatten sich blaue Schatten gebildet und meine Augen wirkten müde. Mit meinen Haaren versuchte ich erst gar nicht zu kämpfen. Den Kampf würde ich eh verlieren. Zumindest heute. 
Trotzdem war ich so freudig wie noch nie hier im Krankenhaus und lief mit schnellen Schritten zurück in mein Zimmer, wo Max entspannt auf dem Bett saß und auf mich wartete. 

"Können wir los?", fragte ich hibbelig und scheuchte ihn mit einer Handbewegung hoch. Max verdrehte lachend die Augen, stand aber auf und lief mit mir zur Tür. 

Wir waren noch keine zehn Meter gelaufen, als meine Eltern und Laura um die Ecke kamen. 
"Leon, geht's dir besser?", fragte Mom sofort mit einem Lächeln. Scheinbar sah man mir an, dass ich plötzlich hellwach und motiviert war. 
"Ana ist wach, ich muss zu ihr", sagte ich nur knapp und wollte schon weiter gehen, als Dad mich aufhielt. 
"Der Doc ist gerade auf dem Weg hierher. Er will deine Schulter untersuchen", erklärte er. 
"Keine Zeit."
"Leon", mahnte meine Mutter mich. Doch es war meine Schwester, die ihr beruhigend eine Hand auf den Arm legte. 
"Leon hat gerade Wichtigeres zu tun", lächelte sie und zwinkerte mir zu. Sofort erwiderte ich ihr Lächeln dankbar.
"Aber..."
"Geh schon!", unterbrach Laura unsere Mutter und drückte kurz meine Hand. 
"Danke, Kleine", grinste ich und ließ meine Familie dann einfach stehen. Max kam lachend hinterher. 

Wir durchquerten einige Flure, weil Ana auf einer anderen Station auf der anderen Seite des Krankenhauses lag. Der Weg schien mir unendlich weit zu sein. Doch schließlich wurden Max' Schritte langsamer, bis er vor einer Tür stehen blieb.
"Ich sag Bescheid, wenn irgendwer kommt", versprach er mir dann und drückte die Türklinke eines Zimmers hinunter. Mit einem letzten Lächeln verschwand ich durch die Tür und Max schloss sie hinter mir, während er auf dem Flur Wache hielt. 

In dem weißen Zimmer stand ein einziges Bett. Daneben piepten mehrere Geräte und unter einem Berg von Decken erkannte ich eine Gestalt. Ich kam langsam näher und ließ meinen Blick über den Körper meiner Freundin schweifen. Sie lag da ganz ruhig mit geschlossenen Augen. Doch ich konnte das langsame Heben und Senken ihrer Brust erkennen und atmete sofort auf. Ana lebte. Sie konnte selbstständig atmen. Sie schlief einfach nur. 
Ich trat neben ihr Bett und betrachtete sie genauer. Ihr Gesicht schien mir noch etwas blass zu sein, aber es war kein Vergleich zu ihrem Zustand in meinem Bad. 
Sogleich flackerte eine kleine Erinnerung an den Abend in meinem Kopf auf und ich musste sie mit zugekniffenen Augen wieder wegschütteln. 
Ana wirkte mindestens genauso erschöpft wie ich, ebenfalls mit dunklen Augenringen. Ihr Arm war mit einem dicken Verband umwickelt. Der schneeweiße Stoff schien sich schützend um ihre Schnittwunden zu legen. 

Zögerlich streckte ich eine Hand nach ihr aus und strich leicht über ihre Wange. Eine ganze Weile bliebt ich so stehen und rührte mich nicht. Doch schließlich blinzelte Ana verschlafen und drehte sich ein bisschen. Als sie meine Hand bemerkte, schreckte sie kurz hoch, fing sich aber gleich wieder und begegnete meinem Blick. Es wirkte fast scheu und ich sah deutlich die Trauer in ihren Augen. Das war dann wohl der Moment, mich zu entschuldigen.
"Ana, ich..."
"Nein", flüsterte sie leise. Ich hielt inne und musterte sie verwirrt. 
"Sag mir das nicht", fuhr sie fort. 
"Was meinst du? Ich wollte mich entschuldigen! Ich hätte nie so mit dir sprechen dürfen. Ich hätte nicht gehen dürfen. Es tut mir so schrecklich leid." Sofort kamen mir wieder die Tränen und ich wischte hektisch über mein Gesicht. 
"Was ist mit dir?" Sie zeigte auf meine Schulter. 
"Ich hab versucht, mit der Tür zu kämpfen. Hat nicht so gut geklappt", grinste ich zerknirscht. 
"Trottel", kicherte sie und griff dann nach meiner Hand, die noch immer an ihrer Wange lag. 
"Ich weiß", schmunzelte ich. Dann zog ich mir einen Stuhl heran und setzte mich neben sie. Unsere Blicke verfingen sich ineinander und eine Weile schwiegen wir beide. 
"Leon, ich..." Ich wusste, was sie mir sagen wollte und ich sah, wie schwer es ihr fiel. 
"Sssch... Du musst das jetzt nicht aussprechen. Wir müssen darüber reden, aber noch nicht jetzt. Wir haben noch so viel Zeit. Für mich ist gerade nur wichtig, dass du noch hier bist."
"Du hast mich gefunden, oder?" Sie wich kurz meinem Blick aus. 
"Ja, ich dachte, ich wäre zu spät. Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren." Ana schaute mich nur an und schluckte. 
"Ich liebe dich", sagte ich dann gerade heraus und Ana öffnete erstaunt den Mund, bevor sie ihn wieder schloss und leicht lächelte. 
"Keine Ahnung, wie du es geschafft hast, aber so ist es eben. Das habe ich jetzt endlich kapiert."
"Leon", flüsterte sie nur, verstummte dann wieder. Doch Ana stemmte sich mit dem gesunden Arm irgendwie hoch, kam mir immer näher und küsste mich schließlich. Federleicht erwiderte ich ihren Kuss und augenblicklich war das Loch in meiner Brust wieder ganz. 
"Ich liebe dich auch", murmelte sie dann und sank wieder zurück in ihre Kissen. Wir lächelten uns einfach nur an und für den Moment war alles friedlich. Um uns herum war alles ruhig und wir waren beide glücklich.

Good Boy - Bad Girl (Goretzka FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt