Um halb sieben stand ich schließlich vor Anas Tür und klingelte. Durch einen ihrer Nachbarn war ich bereits ins Treppenhaus gekommen.
Schlussendlich hatte ich mich dazu entschieden, nichts mitzunehmen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Ana auf Blumen stand. Und abgesehen davon war das hier ja irgendwie kein richtiges Date.Es dauerte keine zwanzig Sekunden, bis die Tür aufging und Ana mich anlächelte.
"Hey", begrüßte sie mich und trat zur Seite, damit ich in ihren kleinen Wohnungsflur eintreten konnte. Sie schloss die Tür und stellte sich dann auf die Zehenspitzen, um mich kurz zu küssen.
"Entschuldige bitte, dass ich nicht mehr alles aufgeräumt habe. Meine Nachbarin hat gerade das halbe Haus zusammen geschrien, weil ihre blöde Katze weggelaufen ist", meinte sie dann schmunzelnd.
"Okay?", lachte ich und Ana nickte nur mit einem Augenrollen.
"Komm mit!", meinte sie dann, als ich Schuhe und Jacke ausgezogen hatte, und führte mich in ihr kleines Wohnzimmer. Ich würde es als typische Studentenwohnung bezeichnen, was die Einrichtung anging. Aber entgegen meiner Erwartung legte Ana scheinbar viel Wert auf Deko und Kleinigkeiten. Die Wände waren nicht weiß, sondern in einem Creme-Ton und leuchtendem Rot gestrichen. Der Raum war ziemlich klein und zugestopft, aber dadurch sehr persönlich und gemütlich.
"Gefällt's dir?", fragte Ana etwas skeptisch und musterte mich.
"Ja, auf jeden Fall!"
Meine Antwort brachte sie zum Strahlen.
"Hast du schon was gegessen?", fragte sie dann.
"Nein, hab ich nicht."
"Okay, dann bestell ich schnell was", meinte sie und war auch schon in die Küche verschwunden. Ich folgte ihr und suchte mir etwas zu Essen auf der Karte, die sie mir gab.Während wir aufs Essen warteten, zeigte Ana mir auch noch den Rest ihrer Wohnung. Anschließend setzten wir uns aufs Sofa und redeten so lange, bis es an der Tür klingelte. Ana kam mit Chinesischen Nudeln zurück und gleich darauf fielen wir über unser Essen her.
"Darf ich dich mal was fragen?", fragte ich eine ganze Weile später, nachdem wir uns wieder in ein Gespräch vertieft hatten.
"Was willst du denn wissen?", fragte Ana grinsend und schnappte sich eine Decke am Ende des Sofas. Damit rutschte sie zu mir rüber, setzte sich dicht neben mich und deckte uns beide zu. Ana lehnte sich gegen meine Schulter und sah neugierig zu mir hoch.
"Wieso warst du damals in der Arena? Und wie bist du ins Getränkelager gekommen?" Ana lachte kurz auf und auch ich musste schmunzeln. Inzwischen wirkte unsere erste Begegnung mehr als absurd.
"Es war der Todestag meines Dads", setzte sie dann an und sofort kippte die muntere Stimmung und wir beide wurden ernst.
"Ich war ungefähr seit einem Jahr aus England zurück und wollte an dem Tag an den Ort, den ich immer mit meinem Dad verband. Wir standen früher oft auf der Nordtribüne. Ich wusste gar nicht, dass an dem Tag dort eure Feier war. Aber mir ging es so mies, dass ich die Gelegenheit nutzen wollte, um mich zu betrinken und alles zu vergessen", meinte sie trocken.
"Aber das hast du nicht..."
"Weil du dazwischen gekommen bist." Sie sah wieder zu mir hoch und lachte.
"Inwiefern?"
"Ich weiß auch nicht... Irgendwie bin ich wieder zur Besinnung gekommen. Ich wollte die schönen Erinnerungen an Dad nicht kaputt machen. Stattdessen habe ich dann beschlossen, dich ein bisschen zu ärgern." Ana lächelte selig, ich schnaubte auf.
"Na, schönen Dank auch", lachte ich bitter und sah sie tadelnd an.
"Du warst zu komisch, Leon", grinste sie breit.
"Du bist doof", jammerte ich, legte aber gleichzeitig einen Arm um sie. Ana kuschelte sich an mich und seufzte schließlich leise."Woran denkst du?", fragte ich leise in die Stille hinein.
"Ich hätte nie nach England gehen dürfen", meinte sie plötzlich und ich war irritiert. Aber noch bevor ich fragen konnte, sprach sie weiter.
"Meine Familie kommt ursprünglich aus England und als der Unfall passierte, musste ich hier weg. Ich hab mich in einen Flieger gesetzt und bin einfach geflogen. Aber ich hatte noch überhaupt keine Ahnung. Ich hab die Schule abgebrochen, wusste aber in England nichts mit meinem Leben anzufangen. Und dann hat Cale mich gefunden. Es war mein schlimmster Fehler, mit ihm zu gehen. Er hat mir vorgelogen, dass er mich lieben würde. Stattdessen war ich immer nur dafür da, um für ihn unentdeckt Drogen und anderes Zeug zu überbringen. Er hat mich benutzt und mich da ganz tief mit rein gezogen. Er wollte mir selbst auch immer wieder das Zeug aufdrängen, aber ich hab mich geweigert. Bis er mir im Schlaf was verabreicht hat. Ich wusste am nächsten Morgen sofort, dass was nicht stimmte. Ich bin abgehauen. Mit meinem letzten Geld bin ich wieder nach Deutschland. Aber hier kannte mich kaum noch jemand als das Mädchen, das ich vorher war. Sie alle haben nur noch einen drogensüchtigen Menschen ohne Zukunft in mir gesehen. Dabei war ich nie abhängig. Ich hatte alles verloren, hatte keine Freunde mehr. Durch das Erbe meiner Eltern konnte ich mir diese Wohnung leisten. Aber Cale wusste, wo ich war. All die Leute, mit denen ich dann zu tun hatte, kannten ihn. Und seine Geschäfte gingen weiter, wenn auch nicht so schlimm wie vorher. Ich will das nicht mehr. Ich will bei Starbucks arbeiten und irgendwie die Schule beenden. Ich will einen Neuanfang."
Anas Geschichte machte mich für eine Weile sprachlos. Ich hatte keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte. Sie hatte mir gerade all das anvertraut, was sie so sorgsam vor mir versteckt gehalten hatte. Und sofort hatte ich noch mehr Respekt für ihren Mut und ihre Stärke. Sie war da von selbst wieder raus gekommen. Hatte sich dem Einfluss von all dem entzogen.Als ich noch immer nichts sagte, setzte Ana sich auf und sah mich etwas ängstlich an.
"Hab ich dich jetzt verschreckt?", flüsterte sie.
"Nein. Nein, das hast du nicht", meinte ich eilig und nahm ihre Hände in meine. "Ich bewundere dich, Ana. Du hast es da raus geschafft. Du bist vielleicht gar nicht das Bad Girl, das ich immer in dir gesehen habe." Letzteres brachte sie zum Schmunzeln. Aber Ana wurde recht schnell wieder ernst.
"Ohne dich hätte ich das nicht geschafft!", meinte sie und sah mich mit ihren braunen Rehaugen an.
"Ich will dich kennen lernen. Also die Ana, die du wirklich bist. Die, die niemandem etwas beweisen muss. Die sich nicht durchkämpfen muss. Ich möchte Adriana kennen lernen."
"Aber ich kann ganz schön anstrengend sein", warnte sie mich mit einem Lächeln.
"Das ist nichts im Vergleich zu den letzten Wochen. Und da bist du mich ja auch nicht los geworden", schmunzelte ich und brachte sie zum Lachen.
Ich zog Ana wieder in meine Arme und legte dann meine Lippen auf ihre. Sie erwiderte den Kuss sofort und vergrub die Hände in meinen Haaren. Der Kuss dauerte lange an, blieb aber sanft. Wir waren beide noch nicht bereit dafür, weiter zu gehen. Nicht nach dem, was Ana mir zuvor alles anvertraut hatte.Schließlich lagen wir kuschelnd auf dem Sofa. Ich lag auf der Seite, hatte den Kopf auf einen Arm gestützt und betrachtete Anas weiche Gesichtszüge. Sie hatte die Augen geschlossen und wirkte total entspannt.
"Du?", durchbrach ich wieder die Stille.
"Hm?" Sie schlug die Augen auf und sah direkt in meine.
"Danke, dass du mir das erzählt hast."
"Du bist im Moment der einzige Mensch, der mir was bedeutet, Leon. Ich habe nur dich und ich vertraue dir."
Sofort schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen.
"Darf ich dich meiner Familie vorstellen?", fragte ich dann gerade heraus. Ana schien kurz zu schlucken, nickte dann aber.
"Ich will nicht, dass die Presse mir das abnimmt. Meine Mom wird dich lieben. Und ich werde dafür sorgen, dass sie keine unangenehmen Fragen stellen, versprochen!"
"Okay", lächelte Ana daraufhin deutlich zuversichtlicher.
"Wann werden sie denn meine Freundin kennen lernen?" Ich grinste breit und küsste sie kurz.
"Morgen Nachmittag muss ich zu Starbucks als Vorbereitung für nächste Woche. Aber übermorgen hab ich Zeit."
"Perfekt", strahlte ich und diesmal war es Ana, die mich in einen langen Kuss verwickelte.
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Good Boy - Bad Girl (Goretzka FF)
FanfictionAna gehört so ganz und gar nicht zu den typischen Mädchen, mit denen Leon sonst zu tun hat. Aber er kommt einfach nicht mehr von ihr los. Wie viele Grenzen wird Leon für Ana oder auch wegen ihr überschreiten? Und kennt Ana überhaupt so etwas wie Gre...