Kapitel 4 - Erzähl mir mehr

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Ich hatte noch immer ein mulmiges Gefühl bei der ganzen Sache, aber irgendwie wollte ich sie auch unbedingt kennen lernen. Diese Mädchen war ein Mysterium. 
"Warum wolltest du eigentlich in die Stadt?", fragte Ana neugierig. Ich hielt ihr die Tür der Bäckerei auf und betrat nach ihr das Gebäude. 
"Ich wollte mir neue Schuhe kaufen. Aber das kann ich ja auch später noch", log ich schnell. Schließlich kannte sie mich nicht so gut wie etwa Max, der sofort geschaltet hätte, dass es eine Lüge war. 
"Ich hab noch nie darüber nachgedacht, wie sich berühmte Leute ihre Schuhe besorgen", lachte Ana und sah mich mit einem Schmunzeln an. 
"Naja, herzaubern geht schlecht", grinste ich. 
"Setzen wir uns dort hin?" Sie zeigte auf einen kleinen Tisch in der Ecke des Raumes. Ich nickte nur und folgte ihr dorthin. Ich zog schnell meine dünne Jacke aus und hängte sie über den Stuhl, ehe ich mir meinen Geldbeutel zur Hand nahm. 
"Was möchtest du denn haben?", fragte ich mit einer Kopfbewegung zum Tresen. Ana schaute schnell zur Getränkekarte an der Wand und überlegte. Währenddessen beobachtete ich, wie sie sich hinsetzte, die Beine überschlug und mit den Fingerspitzen kleine Kreise auf die Tischplatte malte. Beinahe hätte ich ihre Antwort gar nicht mitbekommen. Aber ich konnte mich dann doch noch rechtzeitig losreißen. Ihr amüsiertes Lächeln bekam ich dennoch mit, als ich mich wegdrehte und zur Bedienung lief. 
"Einen Latte Macchiato und einen Milchkaffee, bitte", lächelte ich die Frau an der Theke an und sogleich machte sie sich an die Arbeit und sammelte die Tassen dafür zusammen. Ich stand dort am Tresen und versuchte krampfhaft, nicht zu Ana zu schauen. Schon bald riskierte ich dennoch einen Blick. Sie saß dort mit dem Kinn auf eine Handfläche gestützt und musterte mich mit einem Lächeln. Sie schaute auch nicht weg, als ich ihr Lächeln erwiderte. Zum Glück kannte ich das Gefühl, angestarrt zu werden, ziemlich gut, sodass ich selbstsicher blieb und unter ihrem Blick nicht einknickte. 
"So, bitteschön." Die Frau schob mir ein kleines Tablett mit zwei Tassen entgegen. Ich bezahlte und lief dann mit dem Tablett zurück zu Ana. Sie sah mich noch immer mit diesem Lächeln an, als ich die Tassen vom Tablett nahm und ihr den Milchkaffee entgegen schob. 
"Danke dir", lächelte sie und senkte ihren Blick erst, als sie begann, mit dem Löffel in ihrem Kaffee zu rühren. 
"Gerne." 
Eine Weile sagten wir beide gar nichts, sondern sahen einander einfach nur an. Ihre braunen Augen schienen sich jeden einzelnen Zentimeter von mir ganz genau einzuprägen. Und dabei gab sie mir auf eine ganz seltsame Art das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Mich hatte nicht oft jemand auf diese Weise angesehen und es brachte mir total durcheinander. 
"Also du kommst hier aus Gelsenkirchen?", fragte ich deshalb schließlich, um die Stille zwischen uns zu brechen. Ana nickte nur und sah dann auf ihren Kaffee. 
"Du auch?"
"Nein, nicht direkt. Ich bin Bochumer und ich wohne auch noch immer dort."
"Haben deine Freunde dir verziehen?", fragte sie da plötzlich. Mein etwas verwirrter Blick, brachte sie zum Lachen. 
"Wegen vorgestern. Du warst ja vermutlich kein Fahrer mehr", schmunzelte sie und drehte eine Haarsträhne zwischen den Fingern. Ich wusste nicht so recht, wie sie das jetzt meinte. Keine Ahnung, ob sie mich aufzog oder es ihr doch irgendwie Leid tat. 
"Es war kein Problem", meinte ich schließlich und nahm schnell einen Schluck meines Latte Macchiatos. 
"Warum bist du einfach so abgehauen?", fragte ich dann nach einer kurzen Stille.
"Ich musste noch weiter", meinte sie leichthin und zuckte mit den Schultern. War das ihr Ernst? Mehr bekam ich als Antwort nicht?
"Und das konntest du mir nicht vorher sagen?" Vielleicht war es ein bisschen kindisch, aber irgendwie nahm ich es ihr übel, dass sie einfach gegangen war. 
"Lass uns nicht weiter darüber reden. Erzähl mir mehr von dir", lächelte sie. Kurz sah ich einfach nur in ihre schönen Augen und akzeptierte dann, dass ich aus ihr wohl nicht mehr herausbekommen würde. 
"Was willst du denn wissen?"
"Keine Ahnung, erzähl mir einfach irgendwas."
Also begann ich zu erzählen. Irgendwas. Und auf jeden Fall viel zu viel. Ich erzählte ihr von meiner Familie, von meiner Kindheit. Sie wollte wissen, wie ich zum Fußball gekommen war und was meine Eltern dazu sagten. Sie hörte mir zu, wie ich von meinen Großeltern erzählte oder meinen drei Schwestern und unseren gemeinsamen Urlauben. 

Am Ende saßen wir über zwei Stunden dort und ich hatte absolut nichts über sie erfahren. Abgesehen davon, dass sie augenscheinlich nicht gerne über sich selbst sprach. 
"Ich schätze, ich muss jetzt langsam mal los." Wenn ich noch länger blieb, erzählte ich womöglich noch irgendwas, was ich am Ende bereuen würde. 
"Schuhe kaufen?", grinste sie. 
"Nein", lachte ich. "Ich werde wohl noch bei Max vorbei schauen und dann nach Hause fahren."
"Max ist der Blonde, richtig?"
"Mein bester Freund, ja."
"Und du willst jetzt wirklich schon los?"
"Ja, ich muss los." Um ehrlich zu sein, brauchte ich einfach nur mal kurz etwas Zeit für mich, um wieder klar denken zu können. Inzwischen war ich mir gar nicht mehr sicher, was ich alles unter dem Einfluss ihres Blickes erzählt hatte. 
"Na schön", seufzte sie und stand zeitgleich mit mir auf. Ich nahm die Tassen an mich und räumte sie weg. Dabei ließ ich mir gerade so viel Zeit, dass es nicht auffällig wirkte. Schließlich musste ich dann aber doch zurück zu unserem Platz. Dort nahm ich meine Jacke und zog sie mir über. Ana stand bereits aufbruchbereit neben ihrem Stuhl. 

Seite an Seite gingen wir also gleich darauf aus der Bäckerei hinaus in das rege Treiben Gelsenkirchens.
"Also dann... Sehen wir uns wieder?", lächelte Ana und sah fragend zu mir hoch. 
"Ganz wie du willst", antwortete ich ohne nachzudenken. Und kaum hatte ich es ausgesprochen, biss ich mir auf die Zunge und ohrfeigte mich innerlich. Ich wollte doch verhindern, dass sie glaubte, ich wäre ihr total verfallen. 
"Danke, für den Kaffee, Leon." Mit den Worten verabschiedete Ana sich von mir. Sie hauchte mir einen Kuss auf die Wange und ging dann mit einem Winken davon. Komplett bewegungsunfähig stand ich da und sah ihr hinterher. Nach etwa zwanzig Metern blieb sie noch einmal stehen, drehte sich zu mir um und lächelte, während sie sich die Haare aus dem Gesicht hielt. Ich musste da stehen wie ein kleiner Junge, der einfach nur lächelnd da stand und die Welt nicht mehr verstand. Kaum hatte sie sich aber wieder umgedreht, kehrte mein Verstand langsam zurück und brachte mich dazu, ebenfalls zu gehen. 
Ich lief also relativ planlos durch Gelsenkirchen. In Gedanken immer bei Ana. Irgendwie hatte sie es geschafft, mich zu verzaubern. Und das machte mir Angst. Ich kannte sie kaum, sie erzählte nichts von sich, hing mit komischen Typen ab und war offensichtlich nicht das Good-Girl, das ich mir eigentlich wünschte. Andererseits hatte sie was Besonderes an sich. 

Erst nach zehn Minuten rief ich schließlich Max an, der mich zum Glück kurz danach abholte. Und auch wenn ich vor ihm so tat, als wäre alles völlig normal, waren meine Gedanken doch die ganze Zeit nur bei Ana. 

Good Boy - Bad Girl (Goretzka FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt