Kapitel 13 - Familie

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Schließlich standen wir vor Subway und gingen hinein. Zwar war hier die Gefahr, erkannt zu werden, relativ hoch, aber darüber machte ich mir im Moment relativ wenig Gedanken. Wir suchten uns einen Platz in der hintersten Ecke und bestellten dann zügig unser Essen. 
Mit den Tabletts gingen wir dann zurück und ich nahm mir schnell den Platz mit dem Rücken zum Eingang. 
"Trinkst du auch Cola?", fragte Ana und schnappte sich meinen Becher. 
"Ja, danke", lächelte ich und wartete dann ab, bis sie wieder zurück kam und sich mir gegenüber an den Tisch setzte. Dann begannen wir, schweigend zu essen. Dabei kreuzten sich immer wieder unsere Blicke, aber wir beide schauten immer sofort wieder weg. Es war eine total peinliche Stille, die wir beide nicht mochten. 
"Also... was wollte der Typ von dir wissen?", fragte ich deshalb schließlich.
"Er wollte ganz genau wissen, was an dem Abend alles passiert ist. Und ganz abgesehen davon, hat er mich zu dir ausgequetscht. Woher wir uns kennen, warum wir da waren und so was halt", erzählte sie leise, damit es unter uns blieb. 
"Du hättest nicht kommen dürfen", murmelte ich. 
"Das klingt so, als würdest du dir Sorgen machen", nuschelte sie und sah mich fragend an. 
"Das tu ich auch!", gab ich zu und stützte mein Kinn auf meine Hände. 
"Aber das musst du nicht! Nicht um mich!"
"Wieso hast du mich in all das mit reingezogen? Wieso hast du mich in diesen blöden Club eingeladen?", seufzte ich. Ich sprach mehr zu mir selbst, aber Ana antwortete trotzdem.
"Es war keine Absicht. Ich wollte und wusste nicht, dass es so kommt!", meinte sie schnell und packte dann ihren Keks aus, den sie sich bestellt hatte. 
"Magst du auch ein Stück?", fragte sie und hielt ihn hoch. Noch ehe ich antwortete, brach sie ihn in der Mitte durch und reichte mir eine Hälfte. 
"Danke dir", lächelte ich und biss ein Stück davon ab. Mir war bewusst, dass ich zum Thema 'Warum hast du mich mitgenommen?' keine weiteren Aussagen bekommen würde, deshalb ließ ich das Thema einfach sein. Es brachte uns schließlich beiden nichts, darüber zu diskutieren. Es war nun mal so passiert und fertig. 
"Erzähl mir was über dich. Ich weiß noch immer so gut wie nichts über dich", bat ich sie schließlich. Ana zögerte eine ganze Weile und ich merkte sofort, dass sie nichts über sich preisgeben mochte. 
"Du brachst mir nichts sagen, was du nicht möchtest. Aber ich will dich einfach etwas besser kennen lernen", beschwichtigte ich sie ein wenig und sah sie mit einem leichten Lächeln an. 
"Ich spreche nicht gerne über mich", murmelte sie leise und sah mir in die Augen. In diesem Moment wirkte sie beinahe zerbrechlich und klein. 
"Das hab ich auch schon rausgefunden", schmunzelte ich und brachte sie damit zum Lächeln. 
"Was soll ich denn erzählen?", fragte sie mit einem kleinen Lächeln. Die selbstbewusste Ana war für den Moment völlig verschwunden. 
"Was machst du beruflich?"
"Ich arbeite bei einem Tatowierer. Im Moment allerdings nicht so häufig wie sonst. Aber es ist ein guter Laden und nicht so eine Absteige, wie du jetzt vielleicht denkst", erzählte sie. Scheinbar war das für sie ein recht gut zu verdauendes Thema. 
"Wirklich? Das hätte ich jetzt nicht gedacht", gab ich erstaunt zu. 
"Wieso nicht? Was hast du gedacht?", grinste sie.
"Naja, keine Ahnung. Irgendwie passt das zu dir, aber so rein optisch wäre ich nicht darauf gekommen."
"Du meinst, weil ich nicht jeden Zentimeter meines Körpers bemalen lassen habe?"
"Ja, wahrscheinlich schon", schmunzelte ich.
"Ich war oft kurz davor, aber irgendwas in mir ist immer dagegen."
"Also hast du kein einziges Tattoo?" Ich beobachtete, wie sie sich auf die Lippe biss und schnell auf den Tisch schaute. Dann schluckte sie einmal und sah auf ihr Handgelenk. Dort trug sie einige Armbänder, die die Sicht auf ihre Haut versperrten. Sie legte ihre Hand noch oben drauf und schien es vor mir verbergen zu wollen. Aber als sie mich wieder ansah, blitzte da so etwas wie Entschlossenheit in ihren Augen auf. 
"Ich habe ein einziges kleines Tattoo", meinte sie schließlich und legte ihren Arm auf den Tisch. Sie machte aber keine Anstalten, die Armbänder weg zu schieben. Stattdessen sah sie mich an. Etwas zögerlich streckte ich meine Hand danach aus und schob die vielen Lederbänder schließlich zur Seite. Als ich das kleine Bild sah, verschlug es mir die Sprache, einfach weil ich es Ana irgendwie nicht zugetraut hätte. Ganz vorsichtig strich ich mit dem Daumen über ihre Haut und sah wie gebannt auf ihr Handgelenk. Dort zeichnete sich ein kleiner schwarzer Anker von ihrer blassen Haut ab. Darunter stand in geschwungenen Buchstaben das Wort 'family'. 
"Es ist wunderschön", flüsterte ich schließlich und sah wieder hoch zu Ana. Die kämpfte inzwischen mit den Tränen. Deshalb bedeckte ich das kleine Bild schnell wieder und nahm ihre Hand in meine. Ich gab ihr ein paar Sekunden, bis sie sich wieder gefangen hatte. 

"Vor fünf Jahren, als ich 16 war, hatten meine Eltern einen schweren Autounfall. Ich war bei meinem damaligen Freund gewesen, weil ich mich vorher schrecklich mit ihnen gestritten hatte. Eigentlich wollten wir zu viert ins Musical...", murmelte sie leise und drückte meine Hand fester.
"Zu viert?", fragte ich behutsam. 
"Ja, meine Eltern und meine kleine Schwester Bonnie. Sie war gerade mal 10 Jahre alt gewesen. Sie kamen von der Straße ab, sind gegen einen Baum gefahren. Meine Mom und Bonnie starben noch im Auto, mein Vater starb dann im Krankenhaus, nachdem mir alle Ärzte gesagt hatten, dass er es schaffen würde." Ana schaute auf die Tischplatte und wirkte jetzt plötzlich erstaunlich ruhig. 
"Scheiße, Ana... Das tut mir so Leid", flüsterte ich und sah in ihre traurigen Augen. 
"Ich hätte auch sterben sollen, zumindest dachte ich das sehr lange", meinte sie und begann dann, das Papier vom Essen auf ihrem Tablett zu stapeln. Ich sah ihr schweigend dabei zu und konnte gar nicht realisieren, was diesem Mädchen widerfahren war. Sie hatte sich nicht einmal von ihrer Familie verabschieden können. 
"Können wir nach Hause fahren, Leon?", fragte sie dann und riss mich aus meinen Gedanken. 
"Ja, klar... Ich fahre dich", meinte ich sogleich und folgte ihr schließlich aus dem Subway hinaus. 

Ana lotste mich durch Gelsenkirchen und wirkte auf einmal wieder genauso unnahbar und selbstbewusst wie immer, was mich völlig verwirrte. Und je dichter wir ihrer Wohnung kamen, desto unsicherer wurde ich. Wo wohnte sie wohl? Würde es einer der düsteren Orte Gelsenkirchens sein, von denen ich gehört hatte, aber niemals dort gewesen war?

"So wir sind da", meinte Ana nach etwa einer Viertelstunde. "Das Haus dort vorne ist es. Du kannst da parken", erklärte sie mir. Und ich war völlig erstaunt. Wir waren in einer völlig normalen Wohngegend und das Haus, das sie mir gezeigt hatte, war ein ganz normales Mehrfamilienhaus. 
Ich parkte also und stellte den Motor ab. Dann sah ich zu Ana rüber und begann sofort zu lächeln, als ich ihr amüsiertes Grinsen sah. Ich wollte dieses Mädchen nicht gehen lassen.

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Ich werde gleich so heulen...😭😭 Leon darf einfach nicht gehen!! 💙

Naja... ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen. Lasst gerne Feedback da!
Was denkt ihr über Anas Vorgeschichte? Hättet ihr damit gerechnet?

Good Boy - Bad Girl (Goretzka FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt