Kapitel 7

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Ich holte alle Decken aus den Schränken, klappte das Sofa im Wohnzimmer zu ihrer vollen Größe auf und verkroch mich dort mit einem Künstlerblock und einem Stück Kohle. Kohlenzeichnungen waren etwas, womit ich immer zu kämpfen hatte. Die Härte der Schatten irritierte mich jedes Mal, obwohl unser ehemaliger Lehrer ständig wiederholte, dass es so aussehen musste.

Während ich begann, zu malen, dachte ich an Mr Dixon. An seine Unverschämtheit, mein Gemälde der Klasse zu zeigen und vorallem an seinen Unterricht.

"Wenn du reden möchtest, Kat, bin ich hier. Ich hoffe du weißt das", sagte Bo irgendwann. Er hatte die ganze Zeit über an der Wand gelehnt und mich mit ausdruckslosem Gesicht beobachtet.

Ich strich einer meiner blonden Haarsträhnen hinter mein Ohr und drehte meinen Block um, damit ich die Blumenknospen besser malen konnte.

"Okay", sagte ich schließlich und hörte, wie Dad stutzte.

Ich sah ihn an und bekam gerade noch mit, wie er sich von der Verblüfftheit erholte und blinzelte.

"Okay? Okay. Dann... Möchtest du, dass ich mich zu dir setze?", fragte er. Ich konnte ihm die Verwirrung nicht verübeln. Ich hatte immer Abstand zu ihm gehalten und seine Hilfe trotzig abgelehnt. Er hatte es als Vater wirklich nicht einfach gehabt.

Ich zuckte mit den Schultern, freute mich jedoch, als er tatsächlich zum Sofa kam und meine Ansammlung von Decken zur Seite schob, um sich hinsetzen zu können. Im Gegensatz zu ihm kam ich mir wie eine Art Mumie vor, eingewickelt in geschätzte fünfzig Decken jeder Farbe und Größe. Seine Knie knackten, als er sich niederließ. Nur in solchen Momenten fiel mir wieder ein, dass er nicht mehr der Jüngste war und Vieles durchgestanden hatte.

"War sie deine Freundin?", wollte er dann wissen. Sein Blick war erschreckend nüchtern, während seine Stimme verständnisvoll wirkte. Wenn ich mir davor noch nicht sicher gewesen bin, ob die Nachricht die ganze Stadt erreicht hatte, wusste ich es jetzt garantiert.

Ich schluckte schwer und musste mich beherrschen, um meine Hand ruhig halten zu können. Ich zeichnete jetzt die sanften Konturen eines zur Seite geneigten Gesichts. Vielleicht das einer Frau. Ihre Haare schlängelten sich zwischen die Blumen durch oder bedeckten sie.

"Nein. Ich weiß nicht, wer sie war, wie sie war oder... Ich weiß genaugenommen gar nichts", murmelte ich aufgebracht und biss mir auf die Innenseite meiner Wange. Eine schlechte Angewohnheit, die mir jede Menge Eisengeschmack im Mund einhandelte.

Dad seufzte und rieb sich die müden Augen. "Ich wünschte manchmal, ich könnte dich von dieser Seite der Welt einfach abschirmen. Dir das Ganze ersparen." Das Schlimmste an seiner Aussage war, dass ich heraushören konnte, wie sehr er sich für seine Unfähigkeit hasste. Er war der Meinung, dass soetwas möglich war und er versagt hatte.

"Bo, die Schuld liegt nicht bei dir. Es trägt überhaupt niemand Schuld. Ich fühle mich nur so ausgelaugt. Beraubt. Vertehst du, was ich meine?" Ich suchte nach besseren Worten, um das bedrückende Gefühl in meinem Inneren zu veranschaulichen, aber nichts entsprach meinen Vorstellungen.

"Natürlich verstehe ich dich. Das, was passiert ist, ist schrecklich. Ich wüsste nicht, wie ich an deiner Stelle damit umgehen würde", meinte Dad leise und zog eine Decke über seine Beine. "Solche Straftaten werden täglich ausgeführt, es macht aber wirklich einen Unterschied, wenn man es hautnah erlebt."

"Weißt du, ich möchte immer wieder sagen, wie leid Chiara mir tut, doch dann komme ich mir so herzlos vor. Denn... Was bitte tut mir leid? Was gibt es noch, was ich ändern könnte? Diese Worte, 'Es tut mir leid' sind nicht genug, sie sind eine Beleidigung. Eine Reihe einfach dahergesagter Buchstaben... Wenn ich das sage, wird mir auch klar, dass es tatsächlich etwas gibt, was mir leidtun muss. Es gibt so Vieles, das mir so leid tut. So Vieles, was ich ändern will. Rückgängig machen will. Wenn ich das sage, entschuldige ich mich bei ihr... Dafür, dass sie es war, die litt, dessen Leben zerstört wurde. Dafür, dass ich nicht an ihrer Stelle war und dafür, dass ich meine Versprechen gebrochen und ihr Vertrauen missbraucht habe. Ich- ich-", ich schnappte nach Luft," Ich entschuldige mich, aber ich entschuldige mich damit nicht. Meine Schuld bleibt da, sie kann nicht ausradiert werden-"

RabensammlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt