Kapitel 13

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"Verdammt, Katherine, weißt du, wie spät es ist?", rief Bo, als ich das Licht in der Küche anmachte. Er hatte im Dunkeln gesessen, das Telefon vor seiner Nase und ein schönes, teures Kristallglas in seiner linken Hand.

Für paar Sekunden war ich verblüfft, ihn hier zu sehen, doch dann fing ich mich rasch und begrüßte ihn distant. Ich wollte wieder rausgehen, aber da erhob er seine Stimme erneut.

"Dreh mir bloß nicht den Rücken zu! Du sagst mir nicht Bescheid, dass du bis halb acht draußen bleibst und dann kommst du hier hereingespaziert, als wäre nichts passiert!", donnerte er. Noch nie hatte er mich angeschrien. Ich blieb auf der Stelle stehen und versuchte, mein Zusammenzucken zu vertuschen, indem ich mich unbeteiligt am Ellbogen kratzte.

"Es ist Viertel nach Sieben", erwiderte ich ohne mit der Wimper zu zucken und überquerte das kleine Zimmer, um einen Teller aus dem Schrank zu holen und mir ein Abendbrot zu schmieren. Auf dem halben Weg dahin prallte ich mit einem entsetzlichen Gestank nach Alkohol zusammen.

Dad sah mich aus zusammengekniffenen, blutunterlaufenen Augen an und mir fiel auf, wie fest er das Kristallglas umklammerte: seine Fingerknöchel traten weiß hervor. Und er trug seinen Ehering zum ersten Mal seit elf Jahren, aber er saß locker auf seinem Ringfinger. Der andere Ring, den er angeblich mit achtzehn in Jakarta erworben hatte und seitdem pausenlos trug, folgte dem Ehering auf demselben Finger. Sein Anblick und der Alkoholgeruch erschütterten mich.

"Trinkst du etwa?", flüsterte ich und blickte zum Glas, zu ihm und wieder zum Glas. Die gelbliche Flüssigkeit schwappte überm Rand, als Dad dem Glas mit der Handkante einen Schubs verpasste.

"Ja, verflucht, ich trinke. Wo hast du gesteckt?", fragte er schlechtgelaunt.

"Ich war bei einer Freundin", sagte ich und stützte mich auf den Tresen.

"Kat, dir hätte etwas zustößen können - Ich bin fast verrückt geworden von Sorge! Weißt du überhaupt, wie lange ich hier gesessen und überlegt habe, ob ich die Polizei rufen soll?" Ein wütender Ausdruck schlich sich in Dads Gesicht und er machte Anstalten, aufzustehen.

"Gott, Bonifác, ich kann auf mich aufpassen!", rief ich mit einer plötzlich aufwallenden Aufgebrachtheit. Der Gedanke, dass Dad fast die Polizei angerufen hätte, machte mir Angst und ich wusste mir selbst nicht zu erklären, warum dies so war. Vielleicht, weil sie dann einen zweiten, gründlicheren Blick auf mich werfen könnten. Sah man Lügnerinnen an, worin ihr Werk bestand? War man denn eine Lügnerin, wenn man etwas verschwieg?

Bo fiel mit einem Plumpsen wieder auf seinen Stuhl, wobei sein Arm das Kristallglas traf und umwarf. Mit einem unüberdachten Schritt war ich beim Tisch und rettete das Glas vor dem voraussehbaren Sturz. Meine Hände wurden mit Gin besudelt.

Da fing Dad an zu zucken - ich griff erschrocken nach seiner Schulter, um ihn zu rütteln, als ich merkte, dass er von Schluchzern geschüttelt wurde.

"Ich habe so Angst um dich, Blume", flüsterte Dad und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. "Ich dachte immer, May und ich, wir würden zwei glückliche Kinder großziehen und zusammen in St Asaph wohnen. Ich wollte so gerne hier sein, abgegrenzt von großen Menschenmengen, in einer geheimnisvollen Atmosphäre, und obwohl deine Mutter ein Großstadtkind war, wäre sie irgendwann mit mir hier hingezogen. May war immer die Bescheidene von uns beiden, genau wie du. Und deine... Sie suchte immer nach Abenteuern, wie ich, als ich ein kleiner Junge war. Genau deshalb ergänzten sie und May sich so gut. Und du, Kat, du bist doch mein Yang, oder? Die Bescheidene, graziös und kühl wie deine Mum." Seine Zunge lag ihm schwer im Mund, weshalb er leicht lallte, aber seine Augen waren aufgerissen und hellwach, als er mir entgegenblickte und nach meiner Hand tastete. Ich drückte seine beruhigend und ignorierte die Tränen, die sich in meinen Augen bildeten. Dad hatte Mum zu sehr geliebt.

RabensammlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt