Die Erde hörte für einen Moment auf, sich zu drehen. Meine Ohren dröhnten von dem lauten Einschlag und abertausende Bläschen erkämpften sich einen Weg nach oben, wobei sie mich unterwasser in ein Kleid aus Luft hüllten. Der nasse BH und die Unterhose klebten an mir wie eine zweite Haut. Ich dachte daran, wie man das mit nur zwei Ölfarben malen könnte. Orange. Blau. Das Lichtspiel im Wasser und die runden Bläschen und meine rudernden Arme und den Jungen einige Meter neben mir, der mich für mehrere Augenblicke in Unterwäsche gesehen hatte. Der mich für mehrere Augenblicke in Unterwäsche gesehen hatte, weil es ich es so wollte.
Gleich nachdem ich nach Luft schnappend auftauchte, schlug neben mir eine weitere menschliche Bombe mit einem spitzen Schrei ein. Dieser wurde im Wasser ertränkt.
Mein Blick glitt suchend über den See und ich musste mich einmal um meine eigene Achse drehen, um Cal zu entdecken. Er legte sich auf den Rücken und trieb sich einige Momente lang mit den Beinen an, bis er einfach alle Körperteile erschlaffen ließ und die Augen schloss. Sein Profil mit der konkaven Nase, bei der ein leichter Höcker am Nasenbein zu sehen war, und die sanfte Wölbung seiner Stirn wurden kurzzeitig von der Sonne beleuchtet, als die Wolken weiterwanderten. Er kniff trotz der schützenden Augenlider die Augen zusammen und tauchte wieder unter. Währenddessen tauchte Ana wieder auf. Ihre Wangen und Augen leuchteten und sie klapperte mit den Zähnen.
"Frierst du nicht?", brachte sie ungläubig hervor und schwamm zum Ufer, um im Wasser stehen zu können.
Ich blinzelte ein paar Mal und begann erst da wirklich zu spüren, wie kalt das Wasser tatsächlich war. "Ich... stehe gerade noch unter Schock", lachte ich hölzern und schlang meine Arme um mich. Ja. Mein BH hatte sich wie ein Schwamm mit Wasser vollgesaugt. Sollte ich darin nach Hause gehen? Was für eine Freude.
Ana grinste zitternd und wrang sich das Wasser aus den Haaren. "Du stehst ganz still da, bewege dich lieber, damit dein Körper Wärme produziert", schlug sie vor und hüpfte auch von einem Bein auf das andere.
"Wo sie recht hat, hat sie recht", erklang Cals Stimme hinter mir. Er schwamm zu mir und fand anscheinend Boden unter seinen Füßen, da er dann die Arme sinken ließ. Sein Blick wanderte kurz zu meinem nackten Hals - es gab keine Kette, die er hätte betrachten können - und etwas tiefer, wonach er demonstrativ in die Luft schaute und erst danach wieder direkten Augenkontakt aufnahm.
"Ich gehe aus dem Wasser", verkündete Ana und ging mit großen Schritten auf's Trockene. Dabei trat sie mitten auf einer der Grasknoten, die ich Koboldköpfe getauft hatte. Sie hatte ihr dunkles T-Shirt einfach angelassen und lief jetzt schlotternd zum Rucksack, um sich ein trockenes Oberteil inklusive Handtuch rauszuangeln.
"Hättest du Lust, mit mir bis zum anderen Ende des Sees zu schwimmen?", fragte Cal und während seine Augen lächelten, blieb sein Mund reglos. Witzig. Normalerweise kannte ich das nur andersherum.
Ich blickte zum gegenüberliegenden Ufer. Wirklich weit weg war es nicht, aber ich fragte mich, wie lange mein Körper es in dieser Kälte wohl aushalten konnte. Anderseits würde ich mich bewegen.
"Du wirkst nicht wie jemand, der gleich nach einer einzigen Minute wieder aus dem Wasser geht", sagte er und warf einen vielsagenden Blick auf Ana, die nur düster zurückstarrte und eine vulgäre Geste sehen ließ. Mein Mundwinkel hob sich und ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Cal. "Aber vielleicht täusche ich mich - das wäre jedoch wirklich schade, da ich eine deutliche Faible für Agilität habe."
"Denkst du, ich lasse mich so einfach mit umgekehrter Psychologie provizieren?", fragte ich. Faible für Agilität, so so. Das ließ sich einrichten.
"Ich dachte, das hätten wir bereits bei einem Glas Milkshake geklärt", entgegnete Cal und begann langsam, von mir wegzuschwimmen. Ich warf einen verstohlenen Blick auf seinen Oberkörper, der sich unter dem grünlichen Wasser abzeichnete. Er hatte diese kleine Kuhle zwischen den Rippen, worunter sich die Muskeln anspannten.
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Rabensammler
Mystery / Thriller"Wie witzig, dass ich dich hundert Mal umbringen kann, ohne dir dabei ein einziges Haar zu krümmen. Du darfst anfangen zu zählen." Kurz nachdem ein Mädchen in einem verschlafenen Städtchen in England brutal ermordet wird, herrscht Angst und Unruhe i...