6

54 6 2
                                    

Ein paar Stunden später hält der Bus an einem Rastplatz am Wasser , und ein paar der anderen Jugendlichen bleiben gehen frische Luft schnappen. Mein Magen verkrampft sich . Ich versuche angestrengt nicht zum Wasser zu sehen . Schließlich tue ich es doch , und fühle mich augenblicklich Monate zurüchversetzt. Augenblicklich bin ich von angsterfüllten Schreien umgeben . Bin komplett von dem stömenden Regen durchnässt . Ich zittere am ganzen Körper . Nicht vor Kälte , sondern vor blanker Angst. Plötzlich verschwinden die Bilder , und ich sitze wieder in dem dunklen Bus . Alle Mitreisenden um mich rum schlafen schon , aber ich bin viel zu aufgewühlt um zu schlafen . Die Bilder , die ich so zu verdrängen versuchte sind wieder aufgetaucht , und zwar mit so einer Wucht , als ob es gerade erst passiert wäre. Ich wende mein Gesicht vom Fenster ab , und sehe zu Valentin . Er muss sich irgendwann wieder zu mir gesetzt haben . Ich habe nur wahrgenommen , dass er mit den anderen zum See gegangen ist . Ich habe sofort gemerkt , dass er der Typ Mensch ist , der bei allen gut ankommt , und immer Menschen um sich herum hat , und niemals alleine ist. Er schläft mit einem Lächeln . Er ist nicht so wie ich vom Leben gezeichnet worden . Er ist einfach von Grund auf mit seinem Leben zufrieden. Fast so als hätte er bemerkt dass ich ihn beobachtet habe , öffnet er blinzelnd die Augen . Ich wende mich ab . " Möchtest du denn gar nicht schlafen ?" fragt er mich müde , und muss sich dabei ein Gähnen unterdrücken . Ich schüttele den Kopf , und er sieht plötzlich hellwach aus :" Na dann wirst du beim Nacht durchmachen bestimmt Gesellschaft brauchen , oder ?" . Ich schüttele wieder den Kopf : " Nee du lass mal , ich bin lieber alleine " . " Ich weiß " gibt er zurück . Ich sehe ihn ungläubig an :" Warum lässt du mich dann nicht einfach in Ruhe ?". " Weil ich dich irgendwie amüsant finde " . " Amüstant ?!" meine Stimme ist jetzt nicht mehr gesenkt , wie zuvor , sonden aufbrausend und gepresst . Wenn er nur wüsste was ich durchgemacht habe ! Ich spüre wie ich rot anlaufe. Dieser Kerl ist einfach ... Ach ich finde einfach keine Bechreibung dafür ! " Hey ... es tut mir Leid , ich habe es vielleicht etwas falsch beschrieben , bitte sei jetzt nicht sauer " , entschuldigt er sich . " Schon okay " , murmele ich , doch im Grunde genommen ist überhaupt nichts in Ordnung . Ich sitze hier in einem Bus , auf der Flucht vor meiner Vegangenheit...." Ich meine es Ernst, ich will dich nicht mit meinem Gerede vergraulen" , ergänzt er noch . E ist Abweisung vermutlich einfach nicht gewohnt . Dann muss er sich eben ,wenn er weiter so hartnäckig ist , daran gewöhnen abgewiesen zu werden . Ich habe kein Interesse an einer Freundschaft . Wenn man anfängt Leute zu lieben , ist man so verletzlich wie nie .Das habe ich am eigenen Leib erfahren . Ein zweites Mal möchte ich dieses Risiko nicht eingehen . " Warst du auch schon mal in Österreich ? " fragt er mich , um die gedrückte Stimmung ein wenig zu vertreiben . Ich erinnere mich an all die schönen Urlaube , welche wir in Österreich verbracht haben . Wir sind jeden Tag gewandert , und haben alle möglichen Berge bestiegen , bis wir sie In-,und Auswendig kannten . Manchmal sind wir aber auch in den Bergseen geschwommen . Früher habe ich das Wasser geliebt . Es war sehr schwer mich überhaupt aus dem wasser zu kriegen . Meistens waren meine Lippen schon blau und lila , aber ich wollte immer weiter schwimmen . Jetzt hasse ich den Kontakt zu Wasser . " Ja , ist lange her " , flüstere ich . Er erzählt mir , dass er auch oft in Östereich war. Er erzählt mir von den Urlauben , von dem Spaß den er hatte . Bis zu seinem zehnten Geburtstag sind sie dort hin gefahren . Aber er erzählt mir nicht , weshalb sie plötzlich aufgehört haben dort hin zu fahren . Er berichtet von den lustigen Erlebnissen , und bringt mich zum Teil zum schmunzeln . So lange , bis ich in einen traumlosen Schlaf falle...

Sonnenstrahlen kitzeln meine Nase , und veranlassen , dass ich meine Nase rümpfen muss . Ich lächle und kuschele mich enger an Mikes durchtrainierte Brust . Moment ... Mike ist tot ... aber ...? Ich öffne schlagartig die Augen , und sehe Valentins Gesicht über meinem . " Na ? Gut geschlafen ?" . Ich fahre hoch , und murmele ein :" Entschuldigung " . Das ist ja mal echt bescheuert . Ich habe in Valentins Armen geschlafen , und zwar die ganze Nacht lang . Der Bus ist mitlerweile wieder auf der Weiterfahrt . " Hey , ist doch nichts dabei " , erklärt Valentin locker . Für dich vielleicht nicht denke ich mir . Für mich ist es schon schlimm . Ich fühle mich so , als würde ich Mike betrügen . Obwohl er tot ist . Ich kann es immernoch nicht verkraften . Jetzt ist es gerade wieder schlimmer , weil ich bei Valentins durchtrainierter Brust an die Mikes denken muss . Ich habe mich geborgen gefühlt , wenn ich in seinen Armen lag . So wie gerade eben noch . Ich darf mich aber verdammt nochmal nicht in in Armen eines anderen Wohlfühlen ! Ich fahre mit durch die Haare , und sehe aus dem Fenster . Die Landschaft hat sich sehr verändert . " Wo sind wir?" frage ich niemanden bestimmtes , und ein rothaariges Mädchen mit Sommersprossen am Nachbarplatz antwortet " Wir sind in Portogruaro , das ist ungefähr eine Stunde von Venedig entfernt " . " Danke" , antworte ich neutral , und sie ergänzt noch :" Ich bin übringens Mara " . " Lia " , entgegne ich , und lehne mich wieder zurück . " Schon aufgeregt ?" , fragt mich Valentin . Ich sehe ihn zum ersten mal richtig an , und antworte :" Sollte ich aufgeregt sein ?" . " Naja , du bist für ein Jahr in einer anderen Familie in einem fremden Land . Ist das kein Grund zur Aufregung ?" stellt er die Gegenfrage . Ich spüre irgendwie garnichts . " Nenne mich Gefühlskalt " , entgegne ich . Ich sehe aus dem Fenster , und schaue zu , wie sich die Landschaft immer mehr verändert . Wir fahren ein gutes Stückchen am Wasser entlang , bis wir schließlich die ersten Häuser Venedigs erkennen. Wir kommen mit dem Bus aber nicht sehr weit in die Lagunenstadt hinein , weil man sich dort nur mit dem Wassertaxi oder zu Fuß bewegen kann . Der Bus hält auf einem großen Parkplatz . Als ich den Bus verlasse sehe ich mich erstmal um . Dies ist also meine Heimat für das nächste Jahr ...

Der Wille der ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt