"Was ist das?", fragt Mitch mich, während er seine Augen keine Sekunde von dem Fenster nimmt.
"Das ist Schnee. Gefrorener Regen."
Ich stelle meine Tasse heiße Schokolade auf den kleinen Tisch vor mir und gehe zu ihm, umarme ihn um seinen Bauch herum. Tatsächlich, es schneit. Für ihn ist es der erste Schnee überhaupt und deshalb etwas ganz neues.
"Wenn du willst, können wir raus gehen, da-"
"Wie ich soll jetzt raus gehen? Das ist doch kalt! Soll ich mich erkälten?", unterbricht er mich empört und löst sich von mir. "Klopp wird das nicht sehen wollen."
"Du bist echt niedlich, weißt du das?", kichere ich und schlage ihn leicht gegen die Schulter. "So kalt ist es auch nicht. Zumindest, wenn du dich warm anziehst nicht. Also los, wir gehen jetzt raus."
Immer noch zweifelnd läuft er langsam hinter mir her, während ich fast schon hüpfend den Weg zur Garderobe einschlage.
Winter, Schnee und Eis, das ist eine schöne Zeit, wenn nicht sogar die schönste Zeit des Jahres. Meistens war es nur kalt, als Mitch bei mir war. Doch dieses Jahr sieht er zum ersten Mal diese weiße Decke aus kleinen Flocken.
Bei Kälte haben wir es uns immer gemütlich gemacht. Mit Kakao und einer Decke haben wir uns auf mein Bett gesetzt und einfach geredet. Manchmal sogar stundenlang über ein und das selbe Thema, bis ich irgendwann erschöpft auf seinem Schoss eingeschlafen bin. Oft haben wir diese Beste-Freunde-Nächte gemeinsam verbracht und nun wünsche ich sie mir zurück.
Seit ein paar Wochen habe ich dieses Gefühl in mir, das nichts mehr so ist, wie es noch vor einem halben Jahr war. Ich sehe Mitch irgendwie mit ganz anderen Augen, als wäre er ein komplett neuer Mensch. Mir fallen diese Kleinigkeiten auf, die ich vorher auch nicht durch gezieltes Starren gesehen hätte. Zum Beispiel der Klang seiner Stimme, bei der mich besonders der Akzent zum durchdrehen bringt.
Dann dieser Geruch, der für mich so unglaublich einladend scheint, den ich auf kilometerweiter Entfernung wiedererkennen würde.
"Laura?", erschrocken blicke ich zur Seite, wo Mitch fast völlig bekleidet steht. "Ist alles okay mit dir? Du bist so ruhig."
"Ja. Ja alles ist in Ordnung. Aber… Bist du sicher, dass dir damit warm sein wird?", ich mustere ihn noch einmal von oben nach unten und muss schmunzeln, denn er weiß wirklich nicht, was ihn erwartet. "Also, die Jacke ist definitiv zu dünn. Und einen Schal solltest du dir auch umbinden. Handschuhe wären für das erste Mal auch nicht so schlecht. Das war es aber auch schon, glaube ich."
Geschockt, verwirrt, aber auch leicht amüsiert betrachtet er sich selbst von oben herab und bleibt wie angewurzelt stehen. Dem Jungen muss ich wohl zu seinem Glück zwingen.
"Komm. Ich kann es ja kaum mit ansehen, wie du dich einfach keinen Zentimeter rührst und unsere wertvolle Zeit verschwendest.", sage ich und greife nach seiner Hand, um ihn in den Flur zu ziehen. "So und jetzt warte hier, ich hole alles, was du brauchst."
Ich drehe mich ein paar Mal um, damit ich sicher gehe, dass er auch wirklich wartet und sich nicht drücken will. Als er mich dann schließlich verwirrt fragend anschaut, drehe ich ihm den Rücken zu und laufe mit schnellen Schritten in mein Schlafzimmer, um einen nicht zu weiblich aussehenden Schal, eine Mütze und ein paar Handschuhe aus dem Schrank zu kramen. Eine dickere Jacke habe ich nicht für ihn, es sei denn, er würde sich in meine kleine Größe quetschen. Allein die Vorstellung - Göttlich.
"Laura wie lange brauchst du noch? Da draußen wird es irgendwie.. Stürmisch."
Ich wage einen zaghaften Blick aus dem Fenster meines Zimmers und betrachte das muntere Schneetreiben, dass immer dichter wird. Mitch wird sicher nicht gefallen, denn es sieht bereits durch das geschlossene Fenster eisig kalt aus.
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