III.
(Mo)
„So sieht man sich wieder", grüßte Ives, nachdem er den Kunden vor ihnen abgearbeitet hatte. Er machte kein Anstand, ihren Einkauf über den Scanner zu ziehen. Stattdessen stützte er sein Kinn auf seine Hand und nahm sich die Zeit, Mo und Arik nacheinander anzusehen. „Ist der da dein Freund?", fragte er schließlich und Mo konnte förmlich spüren, wie Arik sich neben ihr aufplusterte. Obwohl er sonst der erste war, der Missverständnisse dieser Art aus dem Weg räumte, blieb er dieses Mal stumm und überließ ihr die Entscheidung, was sie auf die Frage antworten wollte.
Je länger sie die Antwort hinauszögerte, desto breiter wurde Ives' Lächeln. Sein Blick wanderte zu Arik und es lag Mitleid darin. „Viel besser als das, wir sind nämlich Freunde", schnappte sie. Es fühlte sich falsch an, Arik nur einen Freund zu nennen. Frustrierender Weise gab es keine Bezeichnung, die dem Gerecht wurde, was Arik ihr bedeutete. Ives lächelte unbeeindruckt weiter. Er schien sich sicher zu sein, mit einem Blick alles über Mos und Ariks Verhältnis zu einander erfasst zu haben, was es zu wissen gab. Sie biss die Zähne aufeinander und zwang sich zu einem tiefen Atemzug. Egal wie gut er aussah, Ives war einfach nur unausstehlich.
„Würdest du die Liebenswürdigkeit besitzen und weitermachen?", fragte sie übertrieben höflich und nickte in Richtung der Artikel auf dem Kassenband. „Aber mit Freuden!", mit einem Gebaren wie ein Zauberer, der Tauben aus seinem Ärmel zog, fertigte er ihren Einkauf ab. „Ist sie zu dir auch so, oder bin ich etwas Besonderes?", wollte er dabei in einem verschwörerischen Tonfall von Arik wissen. Der zuckte mit den Schultern, korrigierte die Position seiner Brille und sah Mo hilfesuchend an. Manchmal wollte sie ihn bei den Schultern packen und schütteln, damit er seine blöden Minderwertigkeitskomplexe vergaß und nicht, so wie jetzt, in Schockstarre verfiel, sobald jemand Attraktives mit ihm sprach. Nicht, dass sie nachvollziehen konnte, woher diese Komplexe überhaupt kamen. Arik sah mehr als nur passabel aus, und auch wenn sie sich dafür schlecht fühlte, war sie froh, dass er so selten mit Mädchen sprach und deswegen gar nicht erst in Verlegenheit kam, eine Beziehung anzufangen.
Kurz entschlossen antwortete Mo für ihn: „Nein, bist du nicht. Arik ist etwas Besonderes, darum bin ich nett zu ihm. Du bist so ziemlich wie alle anderen." Es war mehr als offensichtlich, dass dies nicht die Antwort war, die Ives sich erhofft hatte. Trotzdem grinste er weiter und griff sich an die Brust. „Ich bin schwer getroffen", behauptete er. „Das macht dann 17,93. Und für eine Kundenumfrage bräuchte ich noch deine Handynummer", fügte er hinzu. „Arik zahlt", grinste sie, „Also wenn überhaupt musst du ihn nach seine Nummer fragen."
Arik warf ihr einen irritierten Blick zu, zog dann einen Geldschein hervor und hielt ihn Ives wortlos hin. Während sein Geld gewechselt wurde, stopfte er ihren Einkauf mit großer Eile in einen Stoffbeutel. In dem Versuch, die letzte Flasche in den Beutel zu stecken, und gleichzeitig das Restgeld anzunehmen, ließ er die Flasche beinahe fallen. Mo sah sehr wohl, dass Ives dabei heimlich in sich hinein lächelte. Ein seltsames Gefühl meldete sich in ihrer Brust. Vermutlich war dies das erste aufrichtige Lächeln, das sie an ihm gesehen hatte.
Arik bekam davon nichts mit. Er drehte sich zu Mo um, machte eine Kopfbewegung in Richtung Ausgang und verließ den Laden so schnell er konnte, ohne dabei zu rennen. „Hey? Was ist jetzt mit der Handynummer?", rief Ives ihm noch hinterher. Vermutlich war es als Witz gedacht gewesen, doch er wirkte dabei so ernst, dass Mo spontan auflachen musste. Das eigenartige Gefühl in ihr wurde von einer vertrauten Wärme verdrängt, wie Mo sie sonst nur in dem Refugium von Ariks Zimmer verspürte. Etwas an der Situation hatte Ives in ein neues Licht gerückt. Es war, als hätte sie einen Blick unter eine Maske geworfen, hinter der sich ein anderer Mann verbarg als der, den sie am Vormittag im Wald getroffen hatte.
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Rabenbrüder
Paranormal„Wenn du einem Raben zu lange in die Augen blickst, nimmt er sich deine Seele und fliegt damit davon." Mit dieser dramatischen Warnung treten die Brüder Ives und Juri in das eintönige Leben der 17-jährigen Mo und ihres besten Freundes Arik. Auch wen...