XVIII.

47 9 7
                                    


XVIII.

(Arik)

Das Klingeln von Ives Mobiltelefon riss Arik aus dem Halbschlaf. Er schob seine Jacke, mit der er sich zugedeckt hatte, von sich und in den Fußraum, bevor er sich aufsetzte. „In meiner rechten Hosentasche", sagte Ives, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. Die Finger taub von Schläfrigkeit mühte Arik sich damit ab, der Bitte, wenn man es denn so nennen wollte, nachzukommen. „Ist dein Bruder", sagte er mit einem Blick aufs Display. Von der warmen Heizungsluft im Bluebird fühlte er sich ganz matschig im Kopf.

„Fu-", machte Ives, warf einen kurzen Blick zu seinem Beifahrer und wechselte zu einem „Verdammt." Er sah in den Rückspiegel und parkte den Wagen am Straßenrand. Arik nahm den Anruf an und reichte das kleine Gerät weiter. „Was ist los?", fragte Ives und stieg aus dem Auto. Mit wachsender Unruhe beobachtete Arik ihn. Die Emotionen, die innerhalb weniger Sekunden über sein Gesicht huschten, vertrieben die Müdigkeit aus Ariks Gliedern. Er löste den Sicherheitsgurt und war schon halb aus dem Auto, als Ives ihn bemerkte. „Alles okay", beruhigte er ihn. Sein Züge straften seine Worte Lügen. „Ist etwas passiert?", wollte Arik wissen. Ives schüttelte den Kopf. „Nur eine kleine Krisensituation unter Brüdern. Setz dich wieder rein und hör' auf so besorgt zu gucken. Das gibt Falten."

Unschlüssig verharrte Arik in seiner Position. Dann setzte er sich wieder hin und zog die Tür zu. Er rieb sich über die Arme, um die Gänsehaut zu vertreiben, jedoch ohne dabei Ives aus den Augen zu lassen, der am Straßenrand auf und ab lief und angespannt auf seinen Bruder einredete. Worum es auch immer gehen mochte, es war ziemlich offensichtlich, dass die beiden sich nicht einig waren. Arik widerstand der Versuchung, das Fenster einen Spalt breit zu öffnen, um zu lauschen.

Als sich Ives, von einem Schwall kalter Luft begleitet, wieder hinter das Lenkrad des Bluebirds setzte, war seine Miene aus Stein. Erst sah es so aus, als wollte er etwas sagen, doch dann schnallte er sich abrupt an und ließ den Motor an. Da er ahnte, dass es keinen Sinn hatte, nachzufragen, was los war, ließ Arik sich wieder in den Sitz sinken.

Die Landschaft zog beunruhigend schnell an ihnen vorbei. Arik warf einen Blick auf den Tacho und schluckte. „Ives?" „Hm?" „Du bist ziemlich schnell unterwegs und es könnte glatt sein." „Verdammt. Entschuldige", Ives ließ vom Gaspedal ab und lockerte den verkrampften Griff, mit dem er das Lenkrad umklammerte. Nicht zum ersten Mal in seinem Leben wünschte Arik sich, dass er besser mit Worten umgehen könnte. Ihm wollte bei bestem Willen nichts Aufmunterndes einfallen. Auf der anderen Seite wusste er ja nicht einmal, was vorgefallen war.

Zu seiner Überraschung schlich sich ein langsames Grinsen auf Ives Lippen. Für einen Moment streiften sich ihre Blicke. „Kannst du aufhören, mich die ganze Zeit von der Seite anzustarren? Ich werde sonst noch ganz verlegen." Ives fuhr sich mit einer Hand dramatisch durch das Haar, „Auch wenn ich dein Verhalten nachvollziehen kann. Die Versuchung, mich anzustarren, muss ziemlich groß sein." Am Ende ging er sogar so weit, Arik mit einem Augen zu zuzwinkern. Fassungslos schüttelte Arik den Kopf und versuchte nicht zu lächeln.
„Du bist wirklich unfassbar."
„Unfassbar attraktiv?"
„Unfassbar irritierend."

Ives nickte wissend, „So unfassbar attraktiv, dass es irritiert. Ich habe es immer geahnt. Hast du deswegen kein Wort heraus bekommen, als wir uns das erste Mal getroffen haben? Mo hat da so was erwähnt."

Arik stöhnte und vergrub das Gesicht in den Händen. „Alles in Ordnung?", fragte Ives unschuldig, „Keine schlagfertige Retorte?" „Retorte? Meinst du vielleicht Retour? Also eine schlagfertige Retourkutsche? Nein. Im Angesicht deines aufgeblasenen und vermutlich höchst flammbaren Ego, bleiben mir die Worte im Hals stecken", stichelte Arik und machte es sich wieder in seinem Sitz gemütlich. Aus dem Augenwinkel genoss er Ives' Sprachlosigkeit.

RabenbrüderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt