XIV.
(Arik)
„Edgar, ich habe es eilig. Entscheide dich endlich. Rein oder raus?", ungeduldig hielt Arik die Tür offen, während sein Kater prüfend an der Morgenluft schnupperte und sein geringelter Schwanz von einer Seite zur anderen peitschte. „Die frische Luft wird dir gut tun", versicherte Arik dem Kater und trat von einem Fuß auf den anderen. Nachdem es von Donnerstag auf Freitag fast durchgehend geregnet hatte, waren die Temperaturen dramatisch gefallen. Heute war die Luft beinahe arktisch kalt. In dem dünnen Pullover und der Jogginghose, in denen er geschlafen hatte, hatte er das Gefühl, gleich zu erfrieren. Es wurde höchste Zeit, sich etwas vernünftiges anzuziehen. Ives würde jeden Moment ankommen und Arik war noch immer im Schlafanzug.
Unbeeindruckt von dem Feinheiten menschlicher Tagesplanung machte Edgar es sich in der offenen Tür bequem und starrte in den klaren Morgen hinaus. „Dein Ernst?", fragte Arik entgeistert. Edgar gähnte ausgiebig. Arik schüttelte den Kopf und ließ die Tür kurzerhand offen stehen. In der kurzen Zeit, die er brauchte, um sich fertig zu machen, würde schon niemand Unbefugtes ins Haus kommen. In Windeseile schrubbte er sich die Zähne sauber, wusch sich, stellte fest, dass Edgar noch immer die Tür blockierte und flitzte in sein Zimmer. Er entledigte sich seiner Kleider und schlüpft ein in frisches Paar Shorts. Gestern Nacht hatte er eine Nachricht von Ives erhalten, in der er ihn mysteriöser Weise nach seiner Schuhgröße gefragt hatte. Dann hatte er ihm gesagt, dass er ihn um 9 Uhr morgens abholen würde, und Arik seine Kamera und etwas heißes zu trinken bereit halten sollte. Auf die Frage, was sie denn für heute vorhätten, hatte Ives ihm nur einen zwinkernden Smiley geschickt.
Dank dieser wenig aussagekräftigen Antwort hatte Arik jetzt keine Ahnung, wie dick er sich anziehen musste. Er wühlte sich in eine der hinteren Reihen in seinem Schrank durch und tastete nach dem Thermopullover, den seine Tante ihm geschenkt hatte, damit er sich im Winter beim Fotografieren nicht verkühlte. Das war schon mal ein ein Anfang. Irgendwo musste auch noch die dazugehörige Hose abgeblieben sein. Er fühlte etwas, das sich vage richtig anfühlte und zog es heraus. Triumphierend hielt er das Kleidungsstück vor sich.
„Das Ding willst du nicht wirklich anziehen, oder?", fragte eine Stimme. Arik stieß sich den Ellenbogen am Schrank, fluchte und drehte sich zu der Stimme um. Wie es nicht anders sein konnte, lehnte Ives mit verschränkten Armen in der Tür. Seine Augen glitzerten vor Belustigung. „Die Tür war offen", erklärte er nebenläufig. „Na und?", fragte Arik aufgebracht und schlang die Arme um sich selbst, „Hast du noch nie was von Privatsphäre gehört?" Der andere Mann tat so, als würde er nachdenken und zuckte mit den Schultern. „Die Tür war offen", sagte er ein zweites Mal. Arik rollte mit den Augen, „Und? Würdest es dir etwas ausmachen, die Tür zu zumachen? Ich bin noch nicht fertig." „Kein Ding", antwortete Ives. Er löste sich vom Türrahmen und zog die Tür ins Schloss.
„Ich meinte von Außen", empörte Arik sich. Seine Ohren und Wangen brannten vor Scham. „Ich weiß", antwortete Ives schlicht und ließ sich auf den Schreibtischstuhl fallen. „Die langen Unterhosen kannst du zuhause lassen, wir gehen auf keine Polarexpedition, keine Sorge." „Das sind Thermohosen", erwiderte Arik beleidigt, „Kannst du dich zumindest wegdrehen, oder so?" „Schüchtern?", fragte Ives überflüssiger Weise, drehte sich dann aber doch mit dem Rücken zum Zimmer. Hastig schlüpfte Arik in eine Hose und zog den Thermopullover über. Als er den Kopf durch den engen Kragen gezwängt hatte, begegnete er Ives' Blick. „Also echt", sagte Arik vorwurfsvoll.
„Was denn? Du hast nicht gesagt, wie lange ich mich umdrehen soll."
„Du bist unmöglich!"
„Ich bekenne mich schuldig im Sinne der Anklage."
„Idiot."
„Deine Beobachtungsgabe ist heute wirklich hervorragend."
„Wenn du so weiter machst, kannst du deine Polarexpedition gleich alleine machen!"
„Wir wissen beide, dass du das nicht so meinst, wie du das sagst."
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Rabenbrüder
Paranormal„Wenn du einem Raben zu lange in die Augen blickst, nimmt er sich deine Seele und fliegt damit davon." Mit dieser dramatischen Warnung treten die Brüder Ives und Juri in das eintönige Leben der 17-jährigen Mo und ihres besten Freundes Arik. Auch wen...