T E N

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Bei seiner Wohnung angekommen, schloss er die helle Holztür auf und hielt sie mir Gentleman-Like auf. Grinsend huschte ich an ihm vorbei, warf ihm dabei einen dankbaren Blick zu. Drinnen schaute ich mich neugierig um, während ich meine alten Schuhe auszog. Unsicher schaute ich zu Patrick, der lächelnd hinter mir stand und mir aufmunternd zunickte. So schlich ich weiter, um die kleine Wohnung zu erkunden.

Gleich links neben dem Eingang lag eine Glastür, hinter der sich die Küche und das Wohnzimmer befand. Rechts führte eine Tür in das Bad und geradeaus sah ich die Tür, durch die man ins Schlafzimmer kommen konnte. Obwohl die Wohnung eher klein war, fühlte ich mich auf Anhieb wohl.

Schnell tippte ich etwas auf mein Handy ein und zeigte Patrick die Nachricht, die er neugierig las. ,,Danke, ich find es auch sehr schön hier", gab der Braunäugige lächelnd zurück und schaute mit seinen warmen Augen tief in meine. Glücklich fiel ich dem Größeren um den Hals und drückte ihn an mich. Danke. Danke für alles. Danke, dass du für mich da bist.

Zu gerne würde ich ihm dies ins Gesicht sagen, doch ich konnte nicht. Bei dem 'Unfall' in meiner Kindheit, als meine Mutter starb, verlor ich meine Stimme. Die Ärzte versuchten zwar alles, um mir zu helfen, aber sie blieben bis heute erfolglos. Die Erinnerungen an diesen schrecklichen Tag kamen an mir hoch und jagten einen Schauer über meinen Rücken. Zitternd presste ich meinen kalten Körper an den warmen von Patrick, hoffte, er wäre auch jetzt für mich da. Und das war er.

Seine starken Arme zogen mich hoch zu seinem Gesicht, wo ich in zwei strahlend braune Augen schauen konnte. Ein sanftes Lächeln zierte seine rosigen Lippen. Patrick kam mir immer näher, bis ich seine Lippen spüren konnte. Zu meiner Enttäuschung aber nur auf meiner Wange, aber ich sollte mich glücklich schätzen, diese weichen Lippen wenigstens auf meiner Haut spüren zu können.

Dieses wunderbare Gefühl seiner Lippen auf meiner Wange verschwand schnell wieder, sanft machten meine Füße wieder Bekanntschaft mit dem Boden. Etwas traurig löste ich mich von Patrick und blickte auf zu seinen wunderschönen Augen, die mich verliebt betrachteten. Jaja, verliebt. Als könnte dich jemals jemand lieben. Vergiss es!

Die Stimme hatte recht, niemand würde mich jemals lieben können. Schließlich war ich bloß ein schwuler Krüppel, der zu hässlich für diese Welt ist.

Seufzend entfernte ich mich von meiner großen Liebe, die ich noch nicht mal richtig kannte, und schlurfte ins Wohnzimmer. Dort ließ ich mich einfach aufs Sofa fallen und dachte weiter nach.

Wieso hatte ich mich in ihn verliebt? Anfangs hatte ich ihn noch gehasst, jetzt glaubte ich, ihn zu lieben. Nur weil er mir geholfen hatte. Außerdem kannte ich ihn doch nicht mal. Ich wusste wenig über ihn. Woher kam er? Hatte er eine Freundin? Wie wohl seine Eltern sind? Hatte er überhaupt Eltern? Wie alt war er? Wieso mochte er mich?

,,Alles ok? Du siehst so traurig aus", erklang die sanfte Stimme dieser Person. Ich öffnete meinen Mund, wollte ihm antworten. Doch da fiel mir wieder ein, ich konnte es nicht. Du kannst gar nichts!

So zuckte ich einfach mit den Schultern und schaute auf, geradewegs in das schöne Gesicht Patricks. ,,Hast du Hunger? Willst du etwas trinken?", fragte er einfach und setzte sich neben mich. Als Antwort schüttelte ich einfach meinen Kopf und musterte den Jungen neben mir. Seine Augen lagen auf mir, seine Lippen zu einem Lächeln gezogen. Seine Haare saßen wie immer einfach perfekt. Kurzerhand streckte ich meine Hand aus und wuschelte durch diese, sodass sie in alle Richtungen abstanden. Patrick warf mir einen gespielt bösen Blick zu und fing an zu lachen, wo ich wenig später einstieg.

Als wir uns beruhigt hatten stand Patrick auf und schien etwas in einem Regal zu suchen. Wenig später hielt er triumphierend einen Block in die Höhe und kam mit diesem zu mir zurück. Zusammen mit einem Stift drückte er mir diesen in die Hand und begann zu erklären. ,,Also. Da wir uns so gut wie gar nicht kennen, erzähl ich dir jetzt ein bisschen von mir. Im Gegenzug erwarte ich, dass du dich ebenfalls vorstellst. Und bitte, das bleibt unter uns. Ok?"

Gespannt nickte ich und lauschte. ,,Also mein Name ist Patrick. Aber du kannst mich gerne Palle, Pat oder so nennen. Ich bin 18 Jahre alt und komme ursprünglich aus Hamburg. Meine Eltern sind schon lange tot und ich wohne alleine. Und..." Er stockte und warf mir einen unsicheren Blick zu. Nervös spielte er mit seinen Fingern und flüsterte etwas wie "Soll ich es ihm sagen?"

Wovor auch immer er so viel Angst hatte, er musste es nicht sagen. Auch wenn ich es gerne wissen würde. Also schrieb ich mit zitternder Hand 'Du musst es nicht sagen' auf den Block und zeigte es Patrick. Dieser las es und schaute mir unschlüssig in die Augen. ,,Irgendwann mal", flüsterte er mir zu und lächelte dankbar.

Da ich nun an der Reihe war, begann ich zu schreiben. 'Ich heiße Manuel, du kannst mich natürlich auch Manu nennen. Ich bin 16 Jahre alt und seit zirka 6 Jahren stumm. Ich komme und wohne in Essen. Meine Mutter ist tot und mein Vater im Gefängnis. Naja und ich bin schwul, aber das weißt du ja schon'

Palles Augen flogen gespannt über das Blatt Papier. Mit traurigem Gesichtsausdruck sah er mich an. ,,Das tut mir so leid für dich!", flüsterte er und schloss mich in seine Arme. Lächelnd drückte ich ihn an mich. Seine Hand strich mir sanft über den Rücken und ich vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge.

,,Komm, du bist sicher müde. Lass uns schlafen gehen." Patrick löste sich von mir, zog mich auf die Beine und führte mich in sein Schlafzimmer. ,,Oh. Ich schlaf auch der Couch, du kannst hier schlafen!" Er kratzte sich am Hinterkopf und wollte schon wieder verschwinden, doch ich umschloss sein Handgelenk und zog ihn zu mir. Ich nahm den Block wieder zur Hand und schrieb 'Bleib bitte bei mir' drauf. Palle grinste, als er das las und wurde leicht rot. Stumm kichernd drehte ich mich zum Bett und legte mich müde auf dieses. Davor zog ich mir noch meine Hose aus, den Pullover behielt ich sicherheitshalber an. ,,Willst du vielleicht ein T-Shirt von mir?", fragte mich Palle, doch ich lehnte ab.

Wenig später spürte ich auch schon, wie sich die Matratze neben mir senkte und ich drehte mich auf die Seite. Sogleich spürte ich zwei starke Arme um mich und einen wärmenden Oberkörper hinter mir. Fest aneinander gekuschelt schlief ich auch schon ein.

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