Maskierte Menschen schwebten durch die Straßen Venedigs. Touristen waren zwischen drin verteilt und machten angeregt Fotos von den aufwändigen Kostümen. Ich packte meinen Bruder fester bei der Hand und zog ihn durch die Menge. Immer wieder schaute ich mich nach unserem Verfolger um, doch vorerst konnte ich ihn nicht erkennen. Wir eilten an einem Stand mit einfach und billigen Masken vorbei und unauffällig ließ ich zwei in meine Tasche gleiten. Der Verkäufer bemerkte es gar nicht, so tief war er in ein Kundengespräch vertieft. In einer Seiten Gasse machte ich einen abrupten Stopp und drehte mich zu Noah um. Ich drückte ihm eine dunkel grüne Maske in die Hand und zog mir selber eine bordeauxrote an. Meine langen braunen Haare verschwanden hinter eine Kapuze die ich tief ins Gesicht zog. Noahs erdbeerblonde Haare versteckte ich mit einer alten Cap, die ich aus meinem Rucksack kramte. Schnell nahm ich wieder an die Hand und zog ihn schon über die nächste Brücke. Kurz schweifte mein Blick übers Wasser und ich hätte schwören können, dass ich etwas gesehen hätte. Etwas Grünliches mit Fischschwanz, doch dieses Mal hatte ich keine Zeit, meinen hirngespenstern nachzugehen. Wir wollten gerade um eine Ecke biegen, als ich ihn sah. Für eine einzige Sekunde starrte ich in seine Augen, die kurz rot aufglühten, dann drehte ich mich auf dem Absatz um und rannte los. Ich weiß nicht wie lange wir so rannten, aber als wir stoppten, war die Sonne gerade am Untergehen. Der Markusplatz wurde von tausend Laternen erleuchtet und der Trubel schien nur noch mehr zu zunehmen. Wir bogen in eine Straße mit nur wenig Verkehr, wo wir erst einmal nach Luft schnappten. Kurz dachte ich über die roten Augen nach, schüttelte dann jedoch den Kopf. Das war nur Einbildung gewesen, eine Illusion der untergehenden Sonne die sich in seinen Augen wiederspiegelte. Bis zum kompletten Einbruch der Dunkelheit versteckten wir uns in einer Seitengasse. Erst dann gingen wir auf die Suche nach einem Versteck. „Riley?" „Hm?" „Ich habe Hunger." Ich seufzte, denn ich wusste, dass wir kein Essen mehr hatten. Hilfesuchend schaute ich mich um und erkannte eine Bäckerei, die kurz vor Ladenende stand. „Du bleibst hier", befahl ich Noah, der gehorsam stehen blieb. Ich schlenderte unauffällig in die Bäckerei. Der Verkäufer befand sich in einem hinteren Teil des Ladens und verstaute dort Kartons. „Uno Momento, Signora", rief er. Heimlich begann ich Brötchen in meine Tasche gleiten zu lassen. „Ah lassen sie sich Zeit, ich wollte im Übrigen nur fragen, ob sie wüssten wo das Palace Bonvecchiati liegt", erklärte ich lachend, als wäre ich nur ein Tourist. Der Bäcker kam hervor und merkte nicht einmal, das etwas fehlte. „Natürlich Signora, gleich in der Nähe des Markusplatzes. Sie müssen von dort aus nur rechts abbiegen", erklärte er mir freundlich mit einem Lächeln. „Grazie", bedankte ich mich und ging schnell zur Tür hinaus. Ich war schon draußen als mich jemand anrempelte. „Hey! Passen sie doch...", mein Blick wanderte nach oben und ich erkannte ihn. Ich ließ meine Tasche mit Brötchen fallen und sprintete los. Bei der nächsten Ecke traf ich auf Noah. „Was..." „Los beeil dich!", schrie ich nur und er rannte gleich hinter mir. Ich hörte wie die Schritte unseres Verfolgers hinter uns hallten und wir hasteten durch die Dunkelheit. Direkt vor uns teilte die Straße sich auf und ich schubste Noah unsanft nach rechts. „Los! Ich lenk in ab!", schrie ich. Kurz wollte mein Bruder etwas erwähnen, aber als er meinen Blick sah, machte er den Mund zu und flitzte weiter. Ich sah wie unser Verfolger näher kam. Ein Mann, Mitte 40, pechschwarzes Haar und stechend grüne Augen. „Komm schon! Mich kriegst'e sowieso nicht!", schrie ich und streckte provokant die Zunge heraus. Dann hetzte ich nach links, der Mann mir dich auf den Fersen. Ich war gerade dabei ihn abzuhängen, als ich ein Fehler machte und in eine Sackgasse abbog. Mit offenem Mund starrte ich die Wand an, als wäre sie gerade aus dem Boden gewachsen. Ein raues Lachen ertönte hinter mir. Ich drehte mich um und funkelte die ihn böse an. „Gerard", knurrte ich. „Riley liebes, du weiß du kannst dich nicht vor mir verstecken. Geschweige denn fliehen", grinste er dreckig. Ein silberner Dolch erschien in seiner Hand und er ging damit bedrohlich auf mich zu. „Das werden wir ja sehen", flüsterte ich mehr zu mir selbst und sprang. Mit einem eleganten Kick mit meinem rechten Fuß beförderte ich den Dolch auf den Boden und rammte Gerard meine Faust ins Gesicht. Blut strömte seine Nase herunter, doch davon ließ er sich nicht abbringen. Er griff wieder nach dem Dolch, aber ich konnte ausweichen und rammte ihm mit meinem Knie volle Kanne ins Gesicht. Gerard ging zu Boden und ich eilte davon. Nach einer Weile fand ich eine leere Gasse. „Noah? Noah bist du hier?", fragte ich leise und flüsternd. Vorsichtig lugte mein 11- jähriger Bruder über eine Mülltonne und als er mich sah, stürzte er zu mir. Fest drückte ich ihn in meine Arme. „Mir geht es gut. Alles wird gut", flüsterte ich beruhigend in sein Ohr. Als wir uns wieder losließen, sah sich Noah um. „Riley wo sind wir?" „Keine Ahnung", gab ich immer noch aus der Puste zur Antwort. „Hört sich so an als hättet ihr euch verlaufen", sagte das plötzlich eine männliche Stimme. Ruckartig drehte ich mich zu ihm um und schob Noah hinter mich. Es war ein junger Mann, ich schätzte ich auf höchstens 18. Er hatte dunkelbraune, etwas längeren Haare, einen langen schwarzen Mantel und eine schwarze Vogelmaske mit langem Schnabel. Prüfend sah ich ihn an. „Ihr könntet meine Hilfe gebrauchen", erzählte er weiter. „Wir brauchen keine Hilfe", spuckte ich giftig zurück. „Riley", flüsterte Noah panisch hinter mir. „Nicht jetzt", zischte ich zurück. „Wo sind eure Eltern? Oder seid ihr Waisen?" „Das geht dich nichts an!" „Riley." „Ich habe gesagt, nicht jetzt!" „Ich kann euch helfen", bot der Fremde an. Ich wollte schon antworten als Noah meinen Arm schüttelte. Energisch drehte ich mich zu ihm um. „Was ist denn?" „Du blutest!"; rief er panisch. Erschrocken sah ich an mir herunter und sah wie an meiner rechten Seite ein roter Fleck bildete. Gerard musste mich doch erwischt haben, was ich bis jetzt gar nicht bemerkt hatte. Schnell presste ich meine Jacke dagegen. „Mir geht's gut", flüsterte ich zu Noah, sodass auch nur er es hören konnte. Doch der Unbekannte hatte meine Wunde bereits gesehen und streckte mir seine Hand aus. „Ich kann euch helfen", wiederholte er sich. „Wir brauchen keine Hilfe und nebenbei kennen wir dich nicht einmal", giftete ich. Ein leichtes Grinsen schlich über seine Lippen. „Ich? Ich bin der einzig wahre Herr der Diebe", erklärte er. Ich musterte ihn, doch Noah ging einfach zu ihm. „No..." Ich seufzte und ging meinem Bruder nach, der dem Herrn der Diebe ohne Bedenken folgte. „Ich bring euch in mein Sternenversteck", erklärte unser maskierte Freund, während er uns durch Venedig führte. Meine Seite schmerzte immer mehr, doch ich ließ mir nichts anmerken. Noah löcherte ihn solange mit Fragen, die der Herr der Diebe mit Stolz beantwortete. „Ist es noch weit?", schnaufte ich und hielt mich an einer Hauswand, als alles begann zu drehen. Beide drehten sich schnell zu mir um. Noah war gleich an meiner Seite, ich allerdings winkte ab. „Nein, wir sind gleich da", erklärte der Herr der Diebe mit Besorgnis in der Stimme. „Schaffst du es noch?", fragte er schon fast vorsichtig. Ich nickte schnell und stemmte mich weg von der Wand, doch alles drehte sich. „Riley?", rief mein Bruder bestürzt. Ich sah noch wie etwas Schwarzes vor meinem Gesicht auftauchte, wie ein Rabe mit Schnabel, dann wurde alles schwarz...
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Königin der Nacht
Hayran KurguRiley und ihr Bruder Noah sind auf der Flucht durch Venedig und treffen dort den berüchtigten Herr der Diebe. Mit ihm und seiner Gang gehen die beiden Geschwister auf ein Abenteuer, dass größer ist als erwartet... "There are streets where poems were...