Kapitel 10

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Kapitel 10

Chat Noir hockte auf dem Fenstersims und blickte durch das Zimmer.
„Darf ... darf ich reinkommen?"
Marinette nickte ihm zu und so sprang er auf leisen Sohlen ins Zimmer. Schnell stellte er sich neben das Bett und wusste anscheinend nicht so richtig, was er sagen sollte. Sie musterte ihn genau. Wenn sie ihn als Ladybug traf, hatte er stets einen Spruch auf Lager oder machte irgendwelche Wortwitze. Doch nun stand er da, warum auch immer, wie ein Häufchen Elend und sah, verlegen auf den Boden. Sie konnte sich das nicht mehr mit ansehen und ergriff daher das Wort.
„Na, was treibt dich denn in diese Gegend? Falls das Kätzchen Hunger hat, muss ich passen. Heute kann ich leider nichts Essbares für dich besorgen. Wie du siehst, kann ich hier nicht weg."
Sie deutete auf die Kabel und Schläuche, was ihm ein schiefes Grinsen entlockte.
„Eigentlich ... eigentlich wollte ich dich fragen, wie es dir geht."
„Mir ging es ehrlich gesagt schon mal besser."
Sie senkte ihren Blick und zupfte verlegen an der Bettdecke herum. Die Worte ihrer Mutter hallten ihr plötzlich, wie ein Echo, durch ihren Kopf und unweigerlich stellte sie sich Chat Noir, wie er besorgt vor dem Behandlungszimmer herumlief, vor.
„Vielen ... vielen Dank übrigens, dass du mich ins Krankenhaus gebracht hast", flüsterte sie leise und hielt ihren Kopf gesenkt.
„Nicht dafür ... Wegen ..."
Verwundert sah sie wieder auf. Warum brach er denn mitten im Satz ab? Er ballte seine Hände zu Fäusten und sah sie nicht mehr an.
„Wegen?"
„Weswegen bist du eigentlich hier? Also, warum bist du denn überhaupt umgekippt?"
Kurz erstarrte sie. Was sollte sie ihm denn nun sagen? Die Wahrheit fiel schon mal aus. Dann könnte sie ihm gleich um die Ohren hauen, dass gerade seine Partnerin vor ihm im Bett lag. Schnell entschied sie sich daher für die Badewannenstory und berichtete ihm diese absurde Geschichte.
„Und nun liege ich hier, wie du weißt", beendete sie ihre Erzählung und wartete, wie er reagieren würde.
Doch zu ihrer Überraschung stellte er gar keine Fragen oder Ähnliches, sondern nickte bloß.
„Ich bin halt ein richtiger Tollpatsch."
Ohne etwas zu sagen, drehte er sich zum Fenster und sah hinaus.
„Die Hauptsache ist doch, dass du wieder gesund wirst."
Marinette runzelte ihre Stirn. Das war ja schon fast gruselig, wie ernst ihr Partner war. Warum war er so? Hatte ihre Mutter etwa recht und er machte sich Sorgen um sie? Aber warum sollte er das tun? Sie kannten sich doch kaum, also so. Marinette und er.
Keiner der beiden sagte etwas und Chat Noir sah weiterhin aus dem Fenster.
„Wenn ich Glück habe, werde ich morgen auf die normale Station verlegt", erzählte sie schnell, damit wenigstens irgendjemand etwas sagte.
Warum war das denn so krampfig plötzlich zwischen ihnen? Doch dann drehte er sich wieder zu ihr herum und lächelte ihr wieder ins Gesicht.
„Das ist gut."
Zögerlich nickte sie. Er schien wirklich erleichtert zu sein dies zu hören. Sie beobachtete ihn, wie er dort vor dem Fenster stand, und konnte nicht verhindern, dass sie anfing zu gähnen. Die Müdigkeit schien sie zu überrollen und müde rieb sie sich ihre Augen.
„Ich glaube, du solltest besser schlafen."
„Ich denke auch", flüsterte sie und ihr fielen schon halb die Augen dabei zu.
Mit einem Satz stand er mit einem Mal auf dem Fensterbrett und hielt sich an dem Rahmen fest.
„Also, wenn du etwas Ablenkung vom Krankenhausalltag brauchst, kann ich dich gern ein wenig Ablenken kommen."
Er zwinkerte ihr zu und sie konnte nur darüber schmunzeln. Da war er wieder, Chat Noir, wie er leibt und lebte. Aber irgendwie war sie auch froh darüber. Stand ihm das doch viel besser.
„Ich glaube, streunende Katzen werden hier aber nicht so gerne gesehen."
„Vielleicht kommt diese Katze ja auch nur bei Nacht heraus, wenn alle anderen schlafen."
Ohne auf eine Antwort von ihr zu warten, winkte er ihr kurz zu und sprang davon.
Sie sah nur noch einen Schatten auf dem anderen Dach davon huschen, bevor ihr auch schon die Augen zufielen und sie einschlief.



Müde saß Adrien am nächsten Morgen, wie immer alleine, an dem großen Tisch und stupste mit seinem Finger gegen seine Brotscheibe. Plagg lugte unter seinem Shirt hervor und sah ihn fragend an.
„Gar keinen Hunger heute Morgen?"
Seufzend schüttelte er seinen Kopf und schob seinen Teller von sich weg.
„Ich bin viel zu müde, um etwas zu essen."
Mit einem Ruck rutschte er mit dem Stuhl vom Tisch weg und stand auf. Kopfschüttelnd verschwand Plagg wieder unter dem Shirt.
„Wie kann man denn keinen Hunger haben. Selber schuld, wenn du dir die Nächte um die Ohren haust."
„Du weißt genau warum."
Er verließ das Esszimmer und steuerte die Treppe, auf die er seine Schultasche gestellte hatte, an.
„Ah Adrien, hier bist du", ertönte eine Stimme hinter ihm.
Innerlich stöhnte er, wenn Nathalie ihn abfing, verhieß das eigentlich nie etwas Gutes.
„Ja?"
Langsam drehte er sich zu ihr herum und da sah er auch schon das Tablet in ihren Händen.
„Hier, deine Termine. Nimm dir bitte die nächsten Tage nichts weiter vor. Eine große Fotostrecke für die neue Kollektion deines Vaters steht an. Er möchte die neuen Fotos für seine Verhandlungen benutzen, daher müssen sie schnell im Kasten sein."
Er überflog die Termine und bekam große Augen.
„Aber da habe ich ja überhaupt gar keine Zeit mehr zwischen dem Fechten und dem Chinesischunterricht."
„Es ist doch nur für ein paar Tage."
Er gab Nathalie das Tablet zurück und hob seine Hände in die Luft.
„Eine Freundin von mir liegt im Krankenhaus. Ich wollte sie dort besuchen."
„Das muss eben warten. Die Fotostrecke ist sehr wichtig für deinen Vater."
„Sie ist im Krankenhaus."
Wild wedelte er mit seinen Händen herum. Was hatte Nathalie daran nicht verstanden? Man war doch nicht einfach so, weil es einem Spaß machte, in einem Krankenhaus. Die blöden Fotos konnten doch auch mal warten.
„Ich befolge nur die Anweisungen deines Vaters. Und die waren eindeutig. Trödel nun nicht herum. Die Schule beginnt bald."
Wütend griff er nach seiner Tasche. Da er sie allerdings noch nicht richtig zu gemacht hatte, rutschte sein Smartphone heraus und flog nun im hohen Bogen durch die Luft. Scheppernd landete es auf den harten Steinboden. Eilig bückte er sich und hob es wieder auf. Dem Display war aber leider nicht mehr zu helfen, es war total zersplittert.
„Na toll, das auch noch."
Nathalie hielt ihm ihre Hand entgegen und nickte ihm zu.
„Komm, gib her. Ich kümmere mich darum."
Immer noch wütend drückte er ihr das Handy in die Hand und stampfte Richtung Haustür. Er hatte gehofft, wenn sein Vater schon einfach abreiste, dass er dadurch wenigstes Mal etwas mehr Zeit für sich hatte. Aber er hatte jetzt sogar noch weniger.
Eilig verließ er das Haus. Das Auto, welches ihn zur Schule bringen sollte, stand schon bereit, doch er lief vorbei. Er wollte einfach mal ein paar Minuten für sich haben und zu Fuß zur Schule gehen. Weit kam er allerdings nichts, da Nathalie ihm hinter her rief.
„Steig ins Auto. Du weißt, was dein Vater gesagt hat. Oder willst du etwa, dass er dich nicht mehr zur Schule lässt?"
Abrupt blieb er stehen, kehrte um und stieg in den Wagen. Das bisschen Freiheit, was er hatte, wollte er dann auch nicht verlieren.



So nah und doch so fern [Miraculous]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt