Kapitel 23

637 35 2
                                    

Kapitel 23

So schnell Marinette das Zimmer auch betreten hatte, so abrupt blieb sie nun allerdings mitten im Raum stehen und blickte herüber zu der Liege, auf der Adrien lag. Er starrte gerade die Decke an und hatte sie offenbar noch nicht bemerkt. Nervös betrachtete sie ihn und augenblicklich begann ihr Herz, wie wild in ihrer Brust zu schlagen. Vorhin war sie so in Sorge um ihn gewesen, dass sie alles andere ausgeblendet hatte. Aber nun übernahm die Nervosität wieder die überhand. Eigentlich war sie zur Schule gelaufen, um sich bei ihm zu entschuldigen und sich mit ihm auszusprechen. Was war aber, wenn er nun gar nichts mehr von ihr wissen wollte? Wenn sie ihn vergrault hatte? Angespannt überlegte sie, wie und was sie ihm überhaupt sagen wollte. Sie bemerkte dadurch gar nicht, dass er mittlerweile zu ihr herüber sah.
„Hey."
Erschrocken zuckte sie zusammen, wobei sie beinahe das Gleichgewicht verlor. Wild wedelte sie mit ihren Armen herum, um nicht auf dem Hintern zu landen.
Nachdem sie sich wieder gefangen hatte, entwich ihr ein leises Stöhnen. Sie schaffte es auch immer wieder sich in solch peinliche Situationen zu bringen.
„H-hey", flüsterte sie mehr, als dass sie es laut aussprach, „W-wie geht es dir? ... Der Arzt durfte mir nichts sagen."
Verlegen stupste sie mit ihrer Fußspitze auf dem Boden herum und wusste nicht so recht, was sie mit ihren Händen anstellen sollte.
„Halb so wild. Morgen darf ich auch schon wieder nach Hause. Bis auf eine Gehirnerschütterung, etliche Prellungen und diese Platzwunde hier, ist nichts passiert."
Schief grinsend deutete er auf das große Pflaster auf seiner Stirn, doch sofort verzog sich sein Gesicht, als er auf seine Hand sah.
„Naja ... wenn man davon absieht, dass ..."
Sie merkte, wie er mit den Wörtern rang und sofort musste auch sie schwer schlucken. Es war wirklich eine Katastrophe. Und Katastrophe war wirklich noch gar kein Ausdruck dafür, was passiert war. Sie musste seinen Ring unbedingt zurückholen.
Sofort begann sie zu überlegen, wie sie das anstellen konnte. Doch sie hatte absolut keine Ahnung. Allein auf ihren Glücksbringer konnte sie dieses Mal nicht vertrauen. Außerdem wusste sie nicht, wie er und sie jetzt zueinanderstanden. Wollte er möglicherweise gar nichts mehr von ihr wissen?
Sie war so vertieft in ihren Gedanken, dass sie erst gar nicht mitbekam, dass er mit ihr sprach. Erst als er etwas lauter wurde, drang es wirklich zu ihr hindurch.
„Marinette. Hey. Alles in Ordnung?"
„Ja ... Ich ... ähm ... ich wollte ... Ich hab nur ... Es ... Es tut mir alles so leid", platzte es auf ein Mal aus ihr heraus und seufzend senkte sie ihren Blick.
Aus Angst, wie er reagieren würde, traute sie sich nicht mehr ihn anzusehen.
„Es war doch nicht deine Schuld. Lila ist einfach durchgedreht und ..."
Abrupt blickte sie wieder auf und sah ihm nun tief in die Augen.
„Nein ... ja. Aber, das meine ich gerade nicht ... Was du in dem Brief geschrieben hast. Du hast vollkommen recht damit. Ich hätte nicht einfach so weglaufen sollen und dir zuhören müssen. Auch, dass ich mich nicht mehr bei dir gemeldet habe. Es tut mir so leid. Ich war so blöd. Und dann hätte ich dich heute auch noch beinahe verloren. Wenn du ... wenn du nun nichts mehr von mir wissen möchtest, dann ..."
Langsam stiegen ihr die Tränen in die Augen. Sie wollte das nicht, aber sie konnte gar nichts dagegen machen.
„Was? Wie kommst du denn auf so etwas?"
„Naja, weil ..."
Mit großen Augen sah er sie an, doch gleich darauf begann er zu grinsen.
„Na komm her ... Ich würde ja jetzt gern zu dir, aber ich darf leider noch nicht aufstehen."
Zwinkernd streckte er seinen Arm in die Höhe und hielt ihr seine Hand entgegen. Zögerlich nickte sie darauhin, setzte einen Fuß vor den anderen und überwand die wenigen Meter, die die beiden trennten.
Zitternd legte sie ihre Hand in seine, und als sie bemerkte, dass er etwas zur Seite rutschte, setzte sie sich zu ihm auf die Liege.
„Glaubst du ernsthaft, dass du mich so schnell los wirst?"
Immer noch mit Tränen in den Augen zog sie ihre Schultern in die Höhe. Sie wusste doch einfach nicht, was er nun von ihr dachte.
„Marinette. Was ich dir geschrieben habe, war mein ernst. Ich liebe dich. Sowohl ohne Maske, als auch mit ... Du weißt gar nicht, wie eifersüchtig ich war, als du mir sagtest, dass du noch in jemand anderen verliebt bist. Und wie überglücklich ich letztendlich war, als ich die ganzen Fotos von mir an deiner Wand gesehen habe und dadurch wusste, dass ich dieser jemand bin."
„Oh mein ..."
Prompt ließ sie seine Hand los, lief rot an und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Ihr war das immer noch so unsagbar peinlich die ganze Sache und am Liebsten wäre sie jetzt vor Scham im Erdboden versunken.
„Das ist so peinlich. Du denkst bestimmt, ich bin total verrückt", murmelte sie zwischen ihren Händen hindurch und schüttelte dabei ihren Kopf.
Doch dann spürte sie auf ein Mal seine Hände auf ihren. Behutsam zog er sie wieder von ihrem Gesicht herunter und lächelte sie an.
„Also ... Wenn du dein Zimmer nicht mit meinen Bildern tapeziert hättest, wüsste ich immer noch nicht, dass ich der Glückliche bin und wir würden uns immer noch das Leben schwer machen. Und so lang du nur verrückt nach mir bist, kann ich damit gut leben."
Grinsend zwinkerte er ihr zu und sie konnte nicht anders als schmunzelnd mit ihren Augen zu rollen. Das war so typisch Chat Noir. Nicht, dass ihr sein freches Mundwerk nicht mittlerweile gefiel. Sie hatte sich nur noch nicht so ganz daran gewöhnt, es auch von Adrien zu hören zubekommen.
Grinsend sah sie zu ihm herunter, strich ihm eine verwirrte Strähne aus dem Gesicht und wurde schlagartig wieder ernst.
„Ich werde dir dein Miraculous zurückholen."
„Aber nicht alleine. Wir werden gemeinsam gegen Volpina kämpfen."
Stirnrunzelnd legte sie ihren Kopf schief und sah ihn eindringlich an.
„Wie stellst du dir das vor? Du kannst dich nicht mehr verwandeln. Außerdem bist du verletzt."
Besorgt zeigte sie dabei auf das große Pflaster auf seiner Stirn.
„Du bist auch verletzt. Ich lass dich bestimmt nicht alleine gehen. Du hast gesehen, wie stark sie ist. Wir machen das zusammen. Wir sind doch das Katzen-Käfer-Team."
„Käfer-Katzen-Team, meinst du wohl eher", verbesserte sie ihn und beide begannen zu lächeln,„Trotzdem, du kannst mir dieses Mal nicht helfen. Keine Diskussion. Ich mach das alleine."
Langsam hob Adrien seinen Arm und legte seine Hand auf ihre Wange.
„Dickköpfig, wie eh und je", murmelte er und streichelte ihr sanft mit seinem Finger über die Wange.
Keiner der beiden sagte mehr etwas. Sie sahen sich stattdessen einfach nur tief in die Augen. Wie automatisch beugte sie sich langsam herunter, wobei sich ihre Gesichter immer näherkamen. Ihr Herz begann erneut, wie wild in ihrer Brust zu schlagen, als Adrien seine andere Hand ebenfalls zur ihr ausstreckte und ihren Kopf somit in beide Hände nahm. Wenige Millimeter trennten die beiden nur noch und es würde vermutlich nur noch einen Atemzug dauern, bis seine Lippen auf ihre trafen.
Nervös schloss sie ihre Augen. Es war zwar nicht das erste Mal, dass sie sich küssten, und trotzdem war sie so nervös, als wäre es ihr erster Kuss.
Keiner der beiden war im Moment ein Superheld und versteckte sich hinter einer Maske. Sie waren gerade einfach nur Adrien und Marinette. Nie im Leben hätte sie noch vor ein paar Tagen gedacht, dass sie mal so mit ihm hier sitzen würde.
Sie spürte seinen warmen Atemhauch auf ihrer Haut und keine Sekunde später, lagen seine Lippen schon auf ihren.
Abertausende Marienkäferchen flogen ihr auf einem Schlag, wie wild durch ihren Bauch. Überglücklich darüber, dass Chat Noir und Adrien ein und dieselbe Person waren und es keine Geheimnisse mehr zwischen ihnen gab, rutschte sie noch weiter an ihn heran.
Die Zeit schien still zu stehen. Es gab nur ihn und sie. Alle Probleme waren für einen kleinen Moment verblasst und in weite Ferne gerückt.
Doch schneller als ihnen lieb war, holte das Quietschen der Tür, gefolgt von einer lauten Diskussion zweier Personen, die beiden zurück ins Hier und Jetzt. Erschrocken fuhren sie auseinander und blickten verlegen zu den beiden Frauen herüber, die sich offenbar stritten.
„Mir sind, wie schon gesagt, die Hände gebunden."
„Monsieur Agreste besteht darauf. Sehen Sie zu, dass Sie es einrichten."
Irritiert blickte sie kurz zu Adrien, der nur mit seinen Schultern zuckte, und so sah sie wieder zurück. Sie beobachtete die Krankenschwester, wie sie seufzend das Zimmer verließ.
„Nathalie? Was machst du denn hier?"
„Adrien. Wir haben einen Anruf vom Krankenhaus erhalten, dass du einen Unfall hattest. Wie geht es dir?"
Eilig lief Nathalie auf ihn zu, blieb dann aber ein Stück von der Liege entfernt stehen. Stirnrunzelnd starrte sie auf Marinette und verschränkte die Arme dabei vor der Brust.
„Und wer bist du? "
„Ich ... ähm."
Verärgert über sich selber, dass sie keinen vernünftigen Satz herausbekam, atmete sie tief ein. Diese Nathalie schüchterte sie irgendwie mit ihrem Auftreten ganz schön ein. Bevor sie jedoch erneut antworten konnte, griff Adrien plötzlich nach ihrer Hand, lächelte ihr zu und blickte dann wieder zu Nathalie.
„Das ist Marinette. Meine Freundin."
Sofort bildete sich ein leichter Rotschimmer auf ihrem Gesicht. Damit war sie nun wohl ganz offiziell seine Freundin.
„Deine Freundin? ... Nun gut, darüber können wir auch noch später sprechen. Der Arzt hat gesagt, dass du jetzt Ruhe brauchst. Am Besten du schläfst etwas. Dein Vater sollte auch bald hier eintreffen."
Kurz schielte Nathalie zu ihr herüber und sofort verstand sie, was diese damit sagen wollte. Langsam rutschte sie daher von der Liege herunter und kratzte sich verlegen an ihrem Kopf.
„Ich ... äh, wollte sowieso gerade los."
„Du musst nicht gehen."
Sofort griff Adrien nach ihrer Hand und hielt sie damit auf.
„Schon gut. Alya wartet sowieso draußen auf mich ... Außerdem muss ich ohnehin noch etwas erledigen."
Sie merkte, wie er ihre Hand fester drückte, und versuchte daher seinen Blick auszuweichen.
„Wenn du das damit meinst, was ich denke, versprich mir, dass du nichts ohne mich unternimmst."
Nervös sah sie ihm wieder ins Gesicht, vermied es aber, ihm direkt in die Augen zu sehen. Genau das war es nämlich, was sie vorhatte. Sie wollte sich Volpina stellen und seinen Ring zurückholen. Wie sollte sie ihm nun also versprechen, dass sie nicht alleine zu ihr gehen würde? Sie wollte ihn doch nicht anlügen.
„Ich muss jetzt wirklich los."
Schnell versuchte sie ihre Hand wegzuziehen, doch er ließ sie einfach nicht los.
„Marinette. Versprich es mir, bitte."
Irritiert sah Nathalie zwischen ihnen hin und her.
„Könntet ihr mir mal erklären, wovon ihr sprecht?"
„Hausaufgaben", sprachen sie gleichzeitig, fast wie abgesprochen, und lächelnd sahen sie sich an.
Doch sofort verzog sich Adriens Miene wieder und sah sie wieder ernst an.
„Bitte."
„Na schön. Ich verspreche es dir ... Vorerst", murmelte sie leise den Schluss und hoffte, dass er es nicht gehört hatte.
Da sie immer noch von Nathalie angestarrt wurde, winkte sie ihm nur noch schnell zu und verschwand dann aus dem Zimmer.
Sofort sprang Alya auf, als sie sie sah und ging aufgeregt auf sie zu.
„Wie geht es ihm?"
„Er hat großes Glück gehabt. Soweit geht es ihm ganz gut. Er soll sich jetzt ausruhen."
Alya legte ihren Arm um sie herum und zog sie mit.
„Ich bring dich erst mal nach Hause."



Kurze Zeit später saßen sie schweigend in ihrem Zimmer.
Sie wusste ganz genau, was nun kommen würde. Seufzend atmete sie daher aus und nickte Alya zu. Sie konnte ihre Freundin ja verstehen. Sie war, seit Ladybug das erste Mal aufgetaucht war, ein großer Fan. Nun hatte sie endlich die Möglichkeit alles aus erster Hand zu erfahren.
„Na, leg schon los. Du platzt doch gleich. Also, was willst du wissen?"
Alya sprang plötzlich von dem Sofa auf und wedelte wild mit ihren Armen.
„Einfach alles ... Ich meine, wie ist das passiert? Warst du das schon immer? Woher bekommt ihr eure Kraft? Wie ist das so? Du verwandelst dich mit deinen Ohrringen? Du musst mir auf jeden Fall, als Ladybug, ein Exklusivinterview für meinen Blog geben und ..."
„Langsam. Eins nach dem anderen. Also, weißt du noch, an dem Tag, als Ivan zu Stoneheart wurde, und somit die erste Person akumatisiert wurde?"
Nickend setzte sich ihre Freundin wieder neben sie und sah sie mit großen Augen an.
„Aus irgendeinem Grund, den ich bis jetzt selbst nicht verstehe, wurde ich ausgewählt. Als ich nach der Schule wieder nach Hause kam, lag plötzlich dieses seltsame Kästchen in meinem Zimmer. Ich öffnete es und fand dann diese."
Sie deute auf ihre Ohren und wollte schon weiter sprechen, als auch Alya auf ihre Ohrringe zeigte.
„Und das ist dein Miraculous. Mit ihnen verwandelst du dich und erhältst deine Kraft?"
„Nicht ganz. Ein kleiner wichtiger Teil fehlt noch. Ohne ihn würde es nicht funktionieren."
Flink zog Marinette ihre kleine Tasche auf ihren Schoß und öffnete sie.
„Ohne meinen kleinen Kwami hier würde ich mich nicht verwandeln können. Tikki komm raus. Es ist okay."
Tikki flog heraus und setzte sich auf ihre Schulter.
„Alya das ist Tikki. Sie ist stets in meiner Nähe, falls ich mich plötzlich in Ladybug verwandeln muss. Außerdem ist sie eine sehr gute Freundin."
Tikki winkte Alya zu.
„Hallo Alya. Schön dich mal richtig kennenzulernen."
„Wahnsinn. Absoluter Wahnsinn", quietschte Alya und kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, „Deshalb hast du diese kleine Tasche ständig bei dir. Und Adrien? Hat er auch so ein kleines Ding, einen Kwami?"
Traurig stand sie von dem Sofa auf, lief herüber zu ihrem Schreibtisch und holte einen Keks für Tikki.
„Ja ... hatte er."
„Oh das tut mir leid. Ich habe gerade nicht daran gedacht, dass ... Was wirst du denn jetzt machen Du bist doch noch verletzt."
Schulterzuckend überreichte sie Tikki den Keks und lief zurück zum Sofa.
„Ich habe gar keine andere Wahl. Hawk Moth darf unter keinen Umständen den Ring in seine Finger bekommen."
Kurz hing jeder in seinen eigenen Gedanken und sie überlegte krampfhaft, wie es nun weitergehen sollte. Doch ihre Gedanken endeten immer damit, dass sie Volpina suchen sollte und alles versuchen musste, sie zu besiegen und den Ring zurückzuholen.
Stöhnend raufte sie sich ihre Haare, stand wieder auf und lief zum Fenster herüber. Seufzend sah sie hinaus.
„Ich muss die Stadt doch beschützen. Wer weiß, was Volpina vorhat."
Sie spürte auf ein Mal Alyas Hand auf ihrer Schulter.
„Und das wirst du auch dieses Mal. Ich glaube ganz fest an Ladybug."
Sie sah weiterhin aus dem Fenster und drehte sich nicht zu ihrer Freundin herum.
„Auch, wo du jetzt weißt, wer unter der Maske steckt?"
„Besonders jetzt. Ich kenne dich gut und weiß, dass du alles schaffen kannst. Ich bin für dich da, egal was passieren wird."
Tikki kuschelte sich an ihre Wange.
„Alya hat recht. Du schaffst das Marinette. Wir glauben ganz fest an dich."
Tränen sammelten sich in ihren Augen und abrupt drehte sie sich zu ihrer Freundin herum, die sie sofort in den Arm nahm.
„Was würde ich nur ohne euch machen."
„Total aufgeschmissen sein."
Alya ließ sie wieder los und grinste ihr ins Gesicht.
„So und nun überlegen wir, was wir gegen Volpina machen."
Nickend wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Ihre Freundin hatte recht. Sie brauchte einen Plan.

So nah und doch so fern [Miraculous]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt