Sieben.

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Ich lehnte meinen Kopf gegen die Wand und schloss meine Augen.

Ich vergaß den Klang seiner Stimme.

Ich vergaß immer mehr wie er redete, wie er dabei seine Hände bewegte.
Ich vergaß ihn.

Und ich wollte es, ich wollte nicht ununterbrochen an ihn denken, aber jetzt brach ein Stück meines längst gebrochenen Herzen heraus.
Und ich wollte es festhalten.
Ich wollte genau wissen wie sich seine Worte anhörten.
Ich wollte sein fast tonloses Lachen hören.
Jede kleinste Betonung wollte ich kennen.

Aber ich vergaß sie, mehr und mehr.

Ich wollte wissen wie es sich angehört hat wenn er meinen Namen sagte.
Aber ich konnte diese Erinnerung nicht festhalten, wenn ich die grausamen loswerden wollte.

Ganz oder gar nicht.

Und ich rebellierte. Mein Herz rebellierte, wollte diese kleinen lebendigen Stücke von ihm behalten. Doch ich ertrug es nicht.
Ich wollte das leise sorry nicht mehr hören, doch zugleich wollte ich jedes andere Wort das je seine weichen Lippen verlassen hatten auswendig kennen.

Oh gott.
Seine Lippen.

Mein Kopf schlug gegen die Wand und eine weitere Träne brannte ihren Weg über meine Haut.

Ich vergaß seine Lippen.
Wie sie sich auf meinen angefühlt hatten.
Wie weich und wie sanft sie waren.

Unaufhaltsam und unwiderruflich verschwand er mehr und mehr aus meinem Leben.

Ich konnte ihn nicht festhalten, nichtmal die Erinnerungen an ihn.

Meine Lippen bebten, ich wollte schreien, wollte mir Klingen in die Haut drücken, wollte Gläser gegen Wände werfen und Messer in mein Herz rammen.
Ich wollte alles aufhalten.
Kein Tag sollte mehr vergehen, keine Sekunde.
Ich wollte die Welt anhalten, sie hatte Felix schon zurückgelassen, meine Erinnerungen an ihn durften nicht verloren gehen.

„Es tut mir so leid"

Ich öffnete meine Augen nur um die Tränennassen Stellen zu trocknen, doch ich erblickte eine Figur im Türrahmen.
„Was willst du hier?",war meine zitternde und zugleich wütende Antwort.
„Sebastian, in welchem Ton redest du mit mir?"
Ich atmete widerwillig ein und blickte meiner Mutter in die kalten Augen.
„Was machst du hier?"
„Dich besuchen, offensichtlich und ich habe mal mit deiner Psychologin über deine Entlassung geredet."
„Meine Entlassung?"
„Das ganze hier kostet mich eine Menge an Geld und wir wissen beide, dass du nur noch hier bist weil du nicht zur Schule willst."
„Bitte?"
„Jedenfalls, deine Psychologin hat gesagt dass du nicht Entlassen werden kannst weil du momentan labil bist-",ihr Tonfall kotzte mich an. „Weil dein Mitbewohner gestorben ist."
Ihr typisches lächerlich-Schnauben ertönte.

Es ertönte als einer meiner Lehrer sagte dass ich depressiv sein könnte.
Es ertönte als der Arzt sagte dass ich versucht hatte mich mit einer Überdosis umzubringen.
Es ertönte als sie den Tod von Felix Hardy, den ich ein Jahr lang unendlich geliebt hatte, für unwichtig hielt.

Ich blickte sie starr an.
Gott wie ich sie hasste.
„Er war ein Freund von mir."
„Ja Gott sei dank war, ich will nicht dass du mit psychisch gestörten deine Zeit verbringst."
„Das hier ist eine Psychiatrie, was erwartest du?"
„Der Junge hat sich mit einer Schere umgebracht! Du kannst froh sein dass er dich nicht umgebracht hat!"
„Hat er! Er hat mein fucking Herz zerrissen!"

Nun stand ich vor ihr. Wie ich sie hasste.

„Wie bitte?"
„Ja tut mir leid Mama, aber dein Sohn hat sich verliebt und zwar nicht in ein Mädchen."

Der scharfe Schmerz zog wie ein Blitz durch meinen Körper. Erst konnte ich nicht deuten ob es der typische Herzschmerz war, der mich tagtäglich verfolgte oder die flache Hand meiner Mutter.
Und dann sah ich in ihren Augen wie sehr sie mich hasste.

„Ich glaube Sie sollten gehen."
Zwei Hände umfassten meine zitternden Schultern, als meine Mutter wutentbrannt das Zimmer verließ.
„Alles okay?",fragte Patrick und ich nickte, obwohl ich innerlich schrie.
„Du hast gesagt dass du ihn liebst."

Zwar hatte ich es endlich laut ausgesprochen, doch es war zu spät.

Seine Antwort war verloren.

let me forget | Psychiatrie IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt