"Das kann doch nicht sein ernst sein"

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Scott folgte seiner Mutter, die sich mitten in der Nacht auf den Weg ins Krankenhaus gemacht hatte. Er hatte gehört, wie sie mit dem Sheriff gesprochen hatte. Es ging um Stiles und heute Nacht sollte etwas getan werden. Scott wollte wissen, was es war. Er sorgte sich um seinen besten Freund und als seine Mutter ihm erzählt hatte, dass es ihm besser ging, wollte er es nicht glauben. In den letzten Wochen hat sie ihn darauf vorbereitet, dass Stiles sterben würde und nun sollte es ihm besser gehen? Das konnte Scott nicht glauben, schon gar nicht ohne eine Erklärung. Da ihm diese jedoch verweigert wurde, wollte er der Sache selbst nachgehen.
Vor dem Krankenhaus sah er seine Mutter und den Sheriff stehen. Sie schlichen hinein und Scott folgte. Langsam überquerte er die Flure und konnte sich grade noch rechtzeitig verstecken, als die beiden mit Stiles aus seinem Zimmer kamen. Sie liefen in die obere Etage. Hier befanden sich keine Patienten, nur Behandlungsräume. Kein Licht brannte, aber der Vollmond spendete Scott genügend Licht. Er schlich weiter hinter der kleinen Gruppe her und stand bald vor einer Tür mit der Aufschrift MRT.
Was wollten sie hier? Nachts wurden keine Untersuchungen gemacht und seine Mutter führte diese schon gar nicht durch. Irgendwas ging da vor sich, wovon andere nichts mitbekommen sollten. Da Scott nicht unbemerkt in den Raum gelangen konnte, wartete er vor der Tür, bereit seine Mutter zur Rede zu stellen.

Stiles konnte die Anspannung im Raum spüren. Sein Vater und Melissa waren nervös und es übertrug sich auf ihn. Er hätte schwören können, dass ihnen jemand folgte, aber wann immer er sich umdrehte, war da niemand gewesen.
Stiles fühlte sich, als würde sein ganzer Körper unter Strom stehen. Sein Herz raste unaufhörlich und er konnte nicht still stehen bleiben. Wie sollten sie da ein vernünftiges MRT hinbekommen.
Während Melissa alles vorbereitete, warteten Stiles und sein Vater vor der Röhre. Stiles fragte sich, ob sein komisches Gefühl mit dem Vollmond zusammen hing. Würde es fortan immer so sein?
Ein Geräusch vom Flur ließ Stiles zusammenzucken und Melissa alarmiert aufsehen. Sie wurde hektischer und Stiles konnte ihr rasendes Herz und ihre Angst riechen. Sie riskierte hier ihren Job für ihn. Lange konnte Stiles an diesem Gedanken nicht festhalten. Immer Interessanter wurde der Geruch, den sie verströmte. Ihre hektischen Bewegungen ließen Stiles grinsen und er ging immer weiter auf sie zu.
Er wusste nicht genau, was er vorhatte, aber er wollte mehr von ihrer Angst riechen. Ihr Herz sollte noch schneller schlagen, bis sie vor Angst erzitterte.
»Stiles?« Melissa sah den Jungen auf sich zukommen, völlig auf sie fixiert. Sein Augen leuchteten ihr golden entgegen und sie wich zurück. Je weiter sie zurückwich, desto mehr geriet sie in Stiles Visier. »John!«, rief sie panisch. Es war Vollmond und Stiles ein Werwolf. Warum bloß hatte sie das nicht bedacht.
Der Sheriff kam, zog Instinktiv seine Waffe und zögerte. Er konnte nicht auf seinen Sohn schießen. Auch dann nicht wenn er heilen würde.
Ein seltsamer Laut verließ Stiles Kehle und er war nur noch eine Armlänge von Melissa entfernt. Wenn er nichts tat, könnte es schlimme Folgen haben. Trotz dieses Wissens konnte er nicht mal einen Warnschuss abgeben.

»John, tu doch was!« Scott hörte die panische Stimme seiner Mutter und war kurz davor das Zimmer zu betreten, als ihn eine dunkle Gestalt zur Seite schubste.
Er hörte ein animalisches Knurren, das ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Trotzdem rappelte er sich wieder auf und lief hinterher.
Kein Tier war weit und breit zu sehen. Dafür stand ein Mann, den er nicht kannte, mitten im Raum und schien seinen besten Freund anzuknurren.
Scott öffnete den Mund und schloss ihn wieder, als er Stiles Gesicht sah. Seine Augen leuchteten. Mit Klauen statt Fingern, stand er viel zu nah bei seiner Mutter.
»Was zum...?« Scott sah ungläubig zu seinem Freund.
Sofort fixierte sich Stiles auf ihn. Er trat ein Stück von Melissa weg und näherte sich Scott. John stand wie gelähmt da, Melissa versuchte die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken, doch Stiles wollte nun Scott.
Er war jetzt schon außer Atem und würde leichte Beute abgeben. Und er hatte diesen unglaublich großen Drang, jemanden zu jagen.
Er machte einen Schritt, setzte gleichzeitig zum Sprung an, doch wieder stellte sich der Alpha in seinen Weg und knurrte ihn an. Stiles verstand es nicht. Wieso gönnte er ihm den Spaß nicht, wenn genug für sie beide da war. Er wollte nicht auf ihn hören und trat noch einen Schritt auf Scott zu.
Derek packte ihn am Arm und schubste ihn zurück. Er versuchte ihn in die Ecke zu drängen, doch Stiles wich gekonnt aus. Derek zeigte seine Fänge, knurrte, versuchte alles um Stiles seine Stärke zu demonstrieren und ihn dazu zu bringen sich zu unterwerfen, aber Stiles war nicht gewillt dem nachzukommen. Er spielte mit ihm, forderte ihn heraus. Dereks Erfahrung mit jungen Werwölfen beschränkte sich auf das, was er als Kind mitbekommen hatte, wenn wieder ein junger Werwolf bei ihnen aufgetaucht war. Er selbst war so geboren. Er hatte von Anfang an gelernt, wie man damit umging und er hatte nie die Rangordnung in Frage gestellt.
Er konnte spüren, dass Stiles immer sicherer wurde. Drei Menschen im Raum, ein Werwolf außer Kontrolle und auch wenn Derek ein Alpha war, er konnte Stiles nicht einschätzen und war nicht in der Lage drei Menschen zu gleichzeitig zu beschützen. Zumindest nicht dann, wenn er dem Angreifer nichts tun wollte.
Derek versuchte ein letztes mal seinen Beta zur Besinnung zu bringen, doch Stiles vermittelte ihm eindeutig, dass er sich nicht so leicht beeindrucken ließ.
»Mach das Fenster auf!«, rief er Melissa zu. Verwirrt sah sie zu Derek. »Los!«, brüllte er.
Erschrocken drehte sie sich zum Fenster. Durch die plötzliche Bewegung animiert, wollte Stiles sich sofort auf sie stürzen, aber Derek sprang dazwischen, packte ihn am Arm und zog ihn mit sich durchs Fenster.
Er federte ihren Sprung aus dem zweiten Stock ab, doch sofort, als Stiles festen Boden unter den Füßen spürte, riss er sich los und rannte. Derek verdrehte genervt die Augen. »Das kann doch nicht sein ernst sein«, sagte er zu sich selbst und rannte hinterher. Er trieb ihn raus aus der Stadt, Richtung Wald. Als Stiles knurrend in den Schatten der Bäume verschwand, wurde Derek langsamer. Hier konnte er sich ruhig austoben, es genügte, wenn Derek ihm in Auge behielt und verhinderte, dass er zurück in die Stadt lief.
Derek atmete tief ein und lehnte sich an einen Baum. Es würde ein hartes Stück Arbeit werden, bis Stiles sich unter Kontrolle hatte. Er wollte sich von Derek nichts sagen lassen und wenn Derek ehrlich war, dann hatte er noch nie einen Beta erlebt, der sich so gegen seinen Alpha auflehnte. Wenn er nicht anfing, Derek zu akzeptieren, würde es die ganze Sache nur schwerer machen. Es war einfacher sich im Rudel, mit einem Alpha, unter Kontrolle zu haben. Wenn Stiles sich für den Weg des Omegas entschied, bevor er Dereks Hilfe angenommen hatte, würde das kein gutes Ende nehmen. Nicht für die Bewohner von Beacon Hills. Was hatte Derek sich bloß dabei gedacht, einen Teenager zu verwandeln?


»Ähm... Mom?«, fragte Scott vorsichtig. Er war sich immer noch nicht sicher, ob er grade träumte. Das konnte nur ein Traum sein.
Melissa biss sich auf die Lippe, sah zu John und danach besorgt zu ihrem Sohn.
»Was war das?«, wollte er wissen.
»Das waren Stiles und Derek«, antwortete sie. Zusammen mit John erzählten sie ihm auch den Rest der Geschichte. Melissa berichtete über Talia und Cora, John erklärte, warum er so gehandelt hatte. Doch Scott sah noch immer nicht überzeugt aus. Traum. Traum, Traum, Traum... Nur ein Traum, dachte er.
»Ich weiß, dass das alles schwer zu glauben ist,« ging Melissa auf ihren überforderten Sohn ein, »aber du musst mir versprechen aufzupassen, wenn du in Stiles Nähe bist. Es wird dauern, bis er sich wirklich kontrollieren kann.«
Scott nickte abwesend. Sein bester Freund – ein Werwolf? Wenn das alles wirklich passiert war, dann hätte sein bester Freund keine Sekunde gezögert ihn zu töten oder seine Mom. Vermutlich hätte er nicht mal vor seinem Vater Halt gemacht. Und wenn er wieder bei Sinnen gewesen wäre, dann hätte er mit der Schuld leben müssen. Wie konnte John das für seinen Sohn wollen?
Scott sah vom Sheriff zu seiner Mutter. Wieso half sie ihm? Er wollte zwar nicht, dass sein bester Freund Probleme bekam, aber wie konnte seine Mutter so dahinter stehen?
Werwölfe. Scott schüttelte den Kopf. »Ich werde nach Hause fahren«, murmelte er. Das war zu viel Wahrheit auf einmal gewesen. Er hätte seiner Mutter nicht geglaubt, wenn sie ihm davon erzählt hätte, aber all die Jahre so etwas zu verheimlichen, dass war als hätte sie ihn belogen. Sie erzählten sich alles und nun das.
»Sei vorsichtig«, rief Melissa ihm hinterher.
»Und erzähl es niemandem«, wies der Sheriff ihn an.
Scott sah sich nochmal zu ihnen um. »Ich werde Stiles sicher keine Probleme machen«, sagte er. »Dafür haben Sie ja schon gesorgt.«

»Das meint er nicht so«, sagte Melissa schnell, als sie Johns Gesicht sah. »Er ist nur überfordert.«
»Aber er hat Recht«, entgegnete der Sheriff. »Ich habe nach einer Lösung gesucht, die verhindert das ich meinen Sohn verliere. Und auch wenn ich mir über die Konsequenzen im Klaren war, ich habe nicht wirklich drüber nachgedacht. Ich habe nur an mich gedacht.«
John ließ die Schultern hängen und setzte sich auf einen Stuhl. »Ich habe Stiles eine riesige Bürde aufgelegt, von der ich nicht weiß, ob er sie tragen kann«, sprach er weiter. »Er hätte dir etwas tun können... Er könnte anderen etwas tun und ich bin nicht in der Lage ihn aufzuhalten. Ohne Derek wäre das ganz anders ausgegangen. Ich habe dich und deinen Sohn in Gefahr gebracht. Das tut mir so leid.«
Melissa ging mit einem warmherzigen Lächeln auf John zu. Sie drückte seine Schulter und wartete bis er aufsah. »Das unsere Kinder vor uns sterben, ist von der Natur nicht vorgesehen. Das bringt uns dazu, unvorstellbare Dinge zu tun. Wir greifen nach jeden noch so winzigen Strohalm. Wir nutzen jede Chance, die sich uns bietet. Ich kann dich verstehen«, redete Melissa beruhigend auf ihn ein. »Stiles wird lernen damit zurecht zu kommen und ich bin mir sicher, auch er wird irgendwann anders über die Sache denken.«
John war dankbar für ihre Worte, doch dass Stiles ihn irgendwann nicht mehr dafür verurteilen würde, konnte er sich nicht vorstellen. Nicht jetzt, nicht nachdem was eben vorgefallen war. Er blickte gedankenversunken aus dem Fenster. Es begann langsam zu dämmern. Wo Stiles wohl war? Würde er zurückkommen?

»Stiles?« Derek stapfte durch das Unterholz und suchte nach seinem Beta. »Stiles!«, rief er nun etwas lauter. Der Jüngere müsste ihn längst gehört haben. Da er keine Antwort erhielt, lief er weiter und entdecke ihn wenige Meter weiter an einen Baum gelehnt. Er war fast wieder er selbst. Seine Augen glühten noch ein wenig und seine Fangzähne hatten sich noch nicht zurückgebildet, der Rest von ihm war jedoch wieder menschlich. »Kannst du mir nicht antworten?«, blaffte Derek ihn an.
Stiles hob den Blick und sah den Alpha finster an. Er wollte niemanden sehen, Derek schon gar nicht. Er hatte sich aufgeführt wie ein Monster. Er hätte beinahe seinen besten Freund und dessen Mutter getötet. Würde Scott ihm verzeihen? Ohne ihn stand er allein da. Er hatte alles mit angesehen. Er schämte sich für sein Verhalten, dafür dass er keine Kontrolle über sich gehabt hatte. So wollte er nicht leben.
»Komm ich bring dich zurück.« Derek streckte ihm seine Hand entgegen, doch Stiles rührte sich nicht. Derek sollte einfach verschwinden, nur wegen ihm war er so. Er sah demonstrativ zur Seite und ignorierte den Alpha. Doch Derek schien das nicht akzeptieren zu wollen. Er packte Stiles am Arm, riss ihn hoch und schleifte ihn hinter sich her. »Du solltest dringend was an deinem Verhalten mir gegenüber ändern«, legte Derek ihm nahe, ohne locker zu lassen. »Ich versuche dir zu helfen... dich vor dir selbst zu schützen...«
Stiles blieb fast die Spucke weg. Das klang beinahe so, als sollte er dankbar sein. Seine Augen färbten sich wieder intensiver und er sah auf Dereks Hand, die seinen Arm fest umschloss. Ohne darüber nachzudenken, hob er den Arm etwas an und zog ihn zurück. Derek, darauf nicht vorbereitet, taumelte leicht gegen ihn und spürte einen brennenden Schmerz in seinem Unterarm. »Ah... Scheiße!«, fluchte er und ließ los. »Hast du mich jetzt ernsthaft gebissen?« Derek besah sich die Wunde und konnte es nicht glauben.
»Jetzt weißt du wenigstens wie es ist«, verteidigte sich Stiles. »Aber hey, gute Nachricht: Für dich hat es keine lebensverändernden Konsequenzen!« Er stolzierte an Derek vorbei und verströmte dabei einen leichten Geruch von Genugtuung.
Derek schäumte vor Wut.

Reborn - Mit dieser Entscheidung musst du lebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt