"Du bist mein Held"

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Unter normalen Umständen, hätte Stiles es sich niemals gewagt, Derek so lange in die Augen zu sehen. Doch noch immer hielt er ihn fest. Stiles hatte praktisch keine Wahl und sein Herz schlug mit jeder Sekunde schneller. Seine Atemzüge wurden kürzer. Wie von selbst glitt sein Blick zu Dereks Lippen. Sein Mund war leicht geöffnet und es juckte Stiles in den Fingern, ihn zu berühren. Oder seinen Bart, zu gern würde Stiles seine Finger darüber gleiten lassen, um zu wissen, wie es sich anfühlte. Sein Hals wurde immer trockener, er immer nervöser. Was wollte Derek von ihm? Was wollte er tun? Solange Stiles das nicht wusste, konnte er nichts tun.
Derek nahm Stiles' Veränderung wahr und beobachtete ihn eingehend. Alles deutete auf Stress hin, nur wusste er nicht, was den Jüngeren grade so stresste. Die Nervostät stieg mit seinem Herzschlag an. Kurz fragte Derek sich, ob er Angst hatte, aber das passte nicht ganz. Dazu fehlten weitere Anzeichen. Er stich über Stiles' Kinn, doch scheinbar verschlimmerte es seinen Zustand nur.
Der Alpha wusste nicht, was er davon nun halten sollte.
Er ließ von seinem Beta ab, rührte sich jedoch keinen Zentimeter.
»Du kennst meinen Geruch«, sagte er leise. Stiles erschrak dennoch. »Wenn du ihn jetzt wahrnimmst, wirst du merken, dass er anders ist, dass etwas dazugekommen ist.«
Stiles kniff enttäuscht die Augen zusammen. Eine vorgezogene Unterrichtsstunde, nichts anderes war das hier. Er versuchte sich zu konzentrieren und nickte.
»Dieser Geruch, der dazugekommen ist, kommt von dem, was ich grade empfinde. Das was du grade riechst, ist Erleichterung, weil du dich mir wieder angeschlossen hast und die Zuneigung, die ich für dich, als meinen Beta empfinde.«
Bei dem Wort Zuneigung geriet Stiles Herz kurz aus dem Takt. Ihm war, als wäre eine ganze Kolonie Ameisen, gradewegs in seinen Bauch einmaschiert und das Gefühl erstarb sogleich wieder, als Derek sagte, dass er es nur empfand, weil Stiles sein Beta war.
»Gefühle zu deuten, dass ist wie eine andere Sprache zu lernen. Nur fängst du nicht bei Null an. Jede Emotion, hat ihren Geruch. Du hast es bereits unterbewusst wahrgenommen, immer wenn jemand eine Emotion gezeigt hat. Der Geruch ruft die Erinnerungen in deinem Kopf ab und so kannst du es einordnen. Je öfter du es tust, desto einfacher wird es. Irgendwann machst du es nicht mal mehr bewusst und mit ein bisschen Training, bist du in der Lage, gegenwärtige Emotionen von vergangenen zu unterscheiden.«
Stiles öffnete die Augen wieder und starrte Derek an. Bedeutete das etwa, dass Derek wusste, was er grade empfunden hatte? Falls ja, ließ er es sich nicht anmerken. Er brachte etwas Abstand zwischen sie, aber ohne den Blick von ihm zu nehmen.
»Man kann es unterdrücken«, erklärte Derek weiter. »Manchmal ist es schwer. Ich zum Beispiel bin ganz auf dich fixiert. Ich nehm deine Emotionen fast automatisch wahr und muss mich anstrengen, es nicht zu tun. Manchmal sind die Gefühle eines Menschen aber auch so verworren, dass er selbst nicht weiß, was er grade fühlt. Dann ist es sehr schwirige, Emotionen zu deuten, denn es gibt zu viele wiedersprüchliche.«
Stiles nickte, klang ganz danach, als hätte er nochmal Glück gehabt.

Nachdem sie reingegangen waren, versuchte Stiles Derek die Vorzüge von Videospielen näherzubringen. Allerdings stellte Derek sich nur halb so dumm an, wie Stiles gehofft hatte und der Werwolf schlug ihn nach wenigen Runden ohne Ausnahme. Stiles nahm es frustriert zur Kenntnis, genauso wie Dereks permanenten Blick zur Uhr.
»Halt ich dich von irgendwas ab?«, fragte er. »Musst du noch irgendwo hin?«
»Ich hatte vor gleich zu gehen«, stimmte Derek zu.
»Lass dich nicht aufhalten« Stiles lächelte gezwungen, dann startete er eine Runde als Einzelspieler. Gegen den Computer hatte er sowieso bessere Chancen. Er wirkte niedergeschlagen, fast schon traurig.
»Ich hab noch was vor, aber wenn du willst komm ich danach wieder«, bot Derek an.
Stiles sah auf und schon im nächsten Moment blinkte Game over auf dem Fernsehr. Frustriert schmiss er den Kontroller weg. Klang ganz so, als hätte Derek eine Verabredung. Stiles konnte sich auch schon vorstellen, mit wem. Am Ende wurde sein Traum doch noch zur Realität.
»Nein, du hast schon genug Zeit mit mir verschwendet«, winkte Stiles ab. »Viel Spaß mit ihr.«
Verwirrt zog Derek die Augenbrauen zusammen. »Mit ihr?«
»Klingt als hättest du ein Date«, erklärte Stiles.
»Mit wem?«, fragte Derek so verwirrt, dass Stiles lachen musste.
»Keine Ahnung. Diese Stella aus der Mall? Woher soll ich wissen, mit wem du alles was am Laufen hast?« Allein die Vorstellung schmerzte mehr, als Stiles jemals für möglich gehalten hätte. Es war wirklich erträglicher, Derek nicht zu mögen.
»Da läuft nix... Mit niemandem«, stellte Derek klar. Nicht, dass es Stiles etwas anging aber er brauchte auch nicht zu denken, dass er ihn für jemand anderen stehen ließ. Schließlich stand Stiles derzeit an der Spitze, seiner Proritäten Liste.
»Aber du hast dich mit ihr getroffen«, sagte Stiles nachdenklich. Derek tat es als so unvorstellbar ab, dass es Stiles nun doch überraschte.
Derek kratzte sich am Kopf, kaute unentschlossen auf seiner Lippe und sah Stiles mit einem unsicheren Grinsen an. »Ich hab dich angelogen«, gestand er. »Als ich dich zu spät von der Schule abgeholt hab, hab ich einfach nur verpennt.«
Stiles prustete los. Dann erinnerte er sich an etwas und wurde wieder skeptischer. »Wieso hast du dann so gut ausgesehen?«
Dereks Augen weiteten sich verblüfft. Der Zweifel in Stiles' Stimme zeigte, dass er ihm nicht ganz glaubte. »Ich bin wirklich nur aufgestanden, hab mir Jacke und Sonnenbrille geschnappt und bin zu dir gekommen. Also keine Ahnung...«, rechtfertigte sich der Alpha und grinste einen Moment später über beide Ohren. »Aber danke, für das Kompliment.«
»Was?« Stiles klappte der Mund auf. »Das war kein Kompliment!«
»Was dann?«
»Eine Feststellung« Stiles verschränkte die Arme und zog eine schmollende Schnute. »Und jetzt geh, bevor du zu spät kommst.«
Dereks Blick glitt sofort zu Uhr. Er schien es wirklich eilig zu haben, denn mit einem kurzen Handzeichen verabschiedete er sich und war die Tür raus. Stiles hörte, wie auch die Haustüre zuknallte und gab einen missfallenden Laut von sich. Scheinbar hatte Derek diesen Türentick nur bei seinem Auto.


Derek fuhr zur Kreuzung am Reservat. Jeden Tag, um die selbe Uhrzeit, musste der fremde Werwolf dort vorbei kommen. Derek roch ihn. Doch wie immer verlor sich die Spur an dieser Stelle, bevor er jemanden ausmachen konnte. Er verstand es nicht. Dieser fremde Wolf spielte mit ihm. Noch immer hatte Derek nicht herausgefunden, was er wollte. Er verhielt sich ruhig. Beinahe schien es so, als wolle er nicht auffallen . Ergebnislos machte Derek sich wieder auf den Weg. Bevor er zurück zu seinem Beta fuhr, hatte er noch was zu erledigen. Er hatte mit einem Schrotthändler gesprochen, der nun alle Teile für Stiles' Jeep zusammen hatte. Derek war zwar fast hinten übergekippt, als er den Preis gehört hatte, aber Stiles musste davon ja nichts erfahren. Er würde ihm einfach einen anderen Preis nennen. Am besten ließ er eine Null weg, dann klang das ganze nicht nach neuem Auto, sondern wirklich nach Ersatzteilen. Derek hatte einfach den Fehler gemacht und zu deutlich gezeigt, wie wichtig ihm die Teile waren. Er hatte Stiles einen Gefallen tun wollen. Dafür war ihm nichts zu teuer, außerdem musste er sich um Geld keine Sorgen machen.
Mit einem Karton, voller dreckiger Ersatzteile, machte er sich wieder auf dem Weg zum Haus des Sherrifs. Stiles' Vater war noch immer nicht zu Hause. Vermutlich machte er wieder Überstunden. Irgendwie tat es Derek leid, dass er so wenig Zeit für seinen Sohn hatte. Er konnte nur nicht sagen, für wen es ihm mehr leid tat.
Er stieg aus, klingelte und in windeseile hatte Stiles die Türe geöffnet. Ganz so, als hätte er bloß auf Dereks Rückkehr gewartet. Bevor der Alpha soch jedoch darüber lustig machen konnte, zog Stiles ihn ins Haus. Er wirkte ängstlich und Derek sah sich alarmiert um.
»Was ist passiert?«, wollte er wissen.
»Als du mir im Kaufhaus gesagt hast, die nimmst einen anderen Werwolf wahr, war das ernst gemeint, oder?«
Besorgt trat Derek näher und roch an Stiles. Niemand war ihm zu Nahe gekommen und doch musste der andere Wolf hier gewesen sein.
»Ja, und ich bin seit einpaar Tagen auf der Suche nach ihm.«
»Ich glaube ich hab ihn gerochen«, erklärte Stiles. »Zumindest reagiert mein Wolf auf diesen Geruch und ist dabei sehr aufmerksam.«
»Wo hast du ihn wahrgenommen?«
»Heute in der Schule und grade eben hier im Haus«, sagte Stiles. Derek versuchte sofort, den Geruch aufzuspüren, aber Stiles schüttelte den Kopf. »Es ist immer nur ein Hauch, er ist fast sofort wieder weg.«
Derek ging zur Sicherheit nochmal jeden Raum ab, dann blieb er ratlos vor Stiles stehen. Diese Sache gefiel ihm ganz und gar nicht. Vor allem nicht, wenn der Wolf Kontakt zu seinem Beta suchte.
»Ist er gefählich?«, fragte Stiles.
»Ich weiß es nicht«, entgegnete Derek. Das Gefühl, Stiles nicht beschützen zu können, nagte an seinem Ego. Hatte der Fremde es nun schon zum zweiten Mal in Stiles' Nähe geschafft. »Er zeigt sich mir nicht, obwohl ihm bewusst sein muss, dass ich ein Alpha bin. Das spricht nicht für ihn.« Bisher hatte er aber niemanden verletzt; weder Mensch, noch Werwolf. Also war er vielleicht nur auf der Durchreise und weil er ohne Rudel war, trieb es ihn in die Nähe von anderen Werwölfen. Derek ging aber nunmal lieber direkt vom Schlimmsten aus.
»Mach dir keine Sorgen, ich pass auf dich auf«, sagte er, als er Stiles Unruhe wahrnahm. »Und ich hab die perfekte Ablenkung.«
»Ach und welche?«, fragte Stiles skeptisch.
»Wir können deinen Jeep reparieren. Ich hab die Ersatzteile.« Stiles schnappte überglücklich nach Luft. Er umarmte Derek kurz, dann lief er hinaus. Kopfschüttelnd griff Derek nach einer Jacke, die an der Gaderobe hing und zog die Tür zu. Da hatte es jemand verdammt eilig. Er warf Stiles die Jacke zu und schloss sein Auto auf. Stiles zog sofort den Karton auf seinen Schoß und kramte darin herum.
»Mach bloß nichts kaputt. Die Teile sind echt schwer zu bekommen«, ermahnte ihn Derek.
»War es teuer?«
»Kaum der Rede Wert... aber schwer zu bekommen, also Finger weg!« Derek griff rüber und schloss den Karton. Beleidigt stieß Stiles die Luft aus.
»Sei nicht immer direkt so eingeschnappt«, lachte Derek und hielt Stiles Hände fest, als er sich erneut an den Sachen zu schaffen machte. »Lass es!«
Lachend versuchte Stiles irgendwie den Karton zu öffnen, bis ihm klar wurde, das Derek grade seine Hand hielt. Seine gebräunte Haut setzte sich etwas von Stiles' ab, aber ihm gefiel dieses Bild. Er konnte dem Drang nicht wiederstehen, fast von allein schoben sich seine Finger zwischen Dereks. Der Alpha zog seine Hand erschrocken zurück und warf einen irrtierten Blick zum Beifahrersitz. Das war verdammt zweideutig gewesen. Er konzentrierte sich wieder ganz aufs Fahren, hielt beide Hände am Lenkrad und wollte das gerade zu verstehen, ohne Stiles Gefühle wahrzunehmen. Peinlich berührt, verkroch sich Stiles in seinen Sitz und versuchte, keinerlei Aufmerksamkeit mehr zu erregen.

Als sie am Haus ankamen, sprang Stiles mit dem Karton aus dem Auto und lief auf seinen Jeep zu. Wenn es wirklich klappte und sie ihn wieder ans Laufen kriegen würde, wäre Stiles seinem Alpha auf ewig dankbar.
Sie schraubte fast drei Stunden an dem Jeep. Nun Derek schraubte und Stiles hielt ihm das Werkzeug hin, aber als der Ältere wieder unter dem Wagen hervorkam, schien er ganz zuversichtlich.
»Okay, lass ihn an«, sagte er zu Stiles. Hoch erfreut sprang der Jüngere zur Fahrertür, riss sie auf.
Stiles versuchte es sofort. Er drehte den Schlüssel rum, aber es tat sich nichts. Sein Jeep sprang einfach nicht an. Derek kam zu ihm, beugte sich rüber und griff nach dem Schlüssel.
»Komm schon«, murmelte er, »dafür hab ich jetzt nicht zwei Stunden, unter dir gelegen.«
»Wo liegst du denn sonst?«, fragte Stiles wie aus der Pistole geschossen.
»Immer oben«, antwortet Derek konzentriert, mit einem leichten Grinsen. Stiles stimmte mit ein. Dann sprang der Jeep endlich an. Stiles jubelte und Derek zog sich wieder zurück. »Jetzt die Kupplung«, sagte er. Stiles ließ die Kupplung kommen, doch würgte den Wagen ab.
»Ein bisschen mehr Gefühl«, forderte Derek. Stiles tat es, mit demselben Ergebnis. Hastig versuchte er es nochmal, dann spürte er Dereks Hand auf seinem Oberschenkel. »Langsam«, sagte der Alpha. Stiles schluckte und versuchte es, wobei es ihm durch das Kribbeln, welches Derek Hand da verursachte, nur schwerer fiel.
Der Wagen wurde erneut abgewürgt und Derek warf Stiles einen belustigten Blick zu. »Nochmal«
Stiles tat es. Er startete den Wagen, ließ die Kupplung kommen und ein leichtes pulsieren in seinem Unterleib stellte sich ein, als Dereks Griff sich ohne Vorwarnung verstärkte. Er schluckte, konzentrierte sich und endlich klappte es. Derek nahm die Hand weg und schloss die Tür. Dann schloss er auch die Motorhaube und ließ Stiles eine Runde drehen.
Überglücklich sprang sein Beta aus dem Wagen. »Du bist mein Held!«, rief er ihm zu. »Egal auf welche Art und Weise das nun lächerlich klingt, aber es ist so.«
Derek lächelte zufrieden. Er hatte alles richtig gemacht.
»Wie viel schulde ich dir?«, fragte Stiles plötzlich und Derek erstarrte.
»Lass gut sein«, eilig lief er an seinem Beta vorbei und sammelte das Werkzeug ein. Stiles konnte es ihm sowieso nicht zurückzahlen.
»Sag schon! Ich schulde die noch einen Zehner vom Frühstück aus der Bäckerei. Nach der Aktion im Diner und dem Einkauf letztens, will ich es dir wiedergeben.«
Derek schluckte. So gesehen hatte Stiles ihn, bis jetzt, wirklich viel Geld gekostet. Die Sonderanfertigung seiner Haustüre noch nicht mitberechnet.
»Behalt dein Geld«, sagte Derek und drehte sich um. »Sieh es meinetwegen als vorzeitiges Geburtstagsgeschenk an.«
Stiles hob skeptisch die Augenbraue. »Das war scheiße teuer, hab ich recht?« Er sah Derek durchdringend an. »Deshslb deine Großzügigkeit, weil du weißt, ich kann es dir nicht zurückgeben.« Derek nickte, blieb ihm schließlich nichts anderes übrig, wenn er Stiles nicht das blaue vom Himmel lügen wollte.
»Warum tust du das?«, wollte der Jüngere nun wissen.
»Ich weiß, was dir der Jeep bedeutet und das du totunglücklich wärst, wenn er verschrottet werden würde«, gestand Derek. »Ich will nicht, das du traurig bist.« Derek überlegte nochmal. Wenn man es genau nahm, dann wollte er ihn glücklich machen. War das dasselbe?
»Und warum?«
Derek zuckte ratlos mit den Schultern. Das wusste er selbst nicht.
»Das hat aber nicht wirklich geklappt«, bemerkte Stiles. »Jetzt fühl ich mich nämlich schlecht, weil ich dir Geld schulde.«
»Du schuldest mir nichts«, sagte Derek schnell. Stiles gab nur einen missmutigen Laut von sich. »Du kannst es ja auch abarbeiten«, schlug Derek vor.
„Wie bitte?", fragte Stiles und starrte den Werwolf schockiert an. Das konnte doch jetzt unmöglich sein ernst sein. Das klang nach einem verdammt unmoralischem Angebot, dass er so niemals von Derek erwartet hatte. Derek zuckte jedoch nur belanglos mit den Schultern.
»Das Haus«, erklärte er, »zusammen geht es schneller.«
»Achso«, stieß Stiles erleichtert aus.
»Was dachtest du, was ich meine?«
»Etwas anderes«, mehr sagte der Beta nicht. „Aber ich hab zwei linke Hände«, warf er hinterher.
Derek lachte auf. »Das dachte ich mir schon.«

Als das geklärt war, fuhren sie in Stiles' Jeep zurück. Glücklich parkte er ihn auf der Auffahrt und strahlte übers ganze Gesicht. Ein zufriedenes Lächeln konnte Derek sich nicht verkneifen. Während sie reingingen wurde Derek eins immer bewusster: Es machte ihn glücklich, Stiles glücklich zu machen. Wann hatte ihn das letzte Mal etwas glücklich gemacht?
In Stiles Zimmer angekomnen, nahm Derek den vergangenen Geruch von Eifersucht wahr. Und der war da, weil Stiles gedacht hatte, Derek würde sich mit jemandem treffen. Nachdenklich beobachtete er den Jüngeren. Warum reagierte er mit solch einer Intensität?
»Was?«, natürlich fiel Stiles auf, dass er beobachtet wurde.
»Ich hab mich nur was gefragt«, murmelte Derek. Denn wenn Stiles an ihn solche Besitzansprüche stellte, wie sah es dann bei einem Mädchen aus, für das er etwas empfand?
»Und was?« Stiles kam auf ihn zu und blieb abwartend von ihm stehen. Noch immer dieses Strahlen im Gesicht.
»Gibt es jemanden, in deinem Leben?«, fragte er, »Jemanden, mit dem du zusammen sein willst?«
Stiles stockte der Atem. Hatte Derek doch etwas gemerkt? Er betete, dass es nicht so war.
»Ich will mich nicht einmischen«, sagte Derek schnell, als er Stiles' Unwohlsein bemerkte. »Ich will nur wissen, ob es jemanden gibt, auf den wir achten sollten. Der nächste Vollmond wird kommen und manchmal bringt er uns zu den seltsamsten Handlungen.«
Stiles sah zerknirscht auf. Er verstand Dereks Sorge und würde er nun sagen, dass es niemanden gab, würde Derek wissen, dass er ihn belog. Das war zu offensichtlich.
»Möglicherweise gibt es jemanden«, begann Stiles, »aber ich bin mir da selbst noch nicht sicher. Abgesehen davon, gibt es da einiges, was dagegen spricht und ob diese Person überhaupt das gleiche Interesse an mir hat, ist nochmal eine ganz andere Sache.«
»Ist es diese Frau aus der Mall?« Derek fragte das so ernsthaft und aufrichtig, dass Stiles beinahe losgelacht hätte.
»Gott nein, bist du verrückt?«
»Ich dachte nur...« Derek war irritert. »Du warst immer so eifersüchtig, wenn es um sie ging.«
»Ich bin ganz sicher nicht an ihr interessiert«, erklärte Stiles und ignorierte die Bemerkung mit der Eifersucht. Derek nickte erleichtert. Das war gut, das machte es einfacher. Blieben nur die üblichen Kontrollschwierigkeiten.

Nachdem dieses merkwürdige Gespräch vorüber war, brauchten sie eine andere Beschäftigung. Und Stiles hatte wirklich gedacht, dass Derek ihn verarschen wollte, als er vorschlug, sie könnten Verstecken spielen.
Es war kein Witz! Mit verbundenen Augen tapste Stiles nun durchs Haus und suchte nach Derek. Immer der Nase nach, nur leider stieß er dabei gegen sämtliche Hinderniss und Türrahmen. Dass Dereks Geruch noch überall im Haus hing, machte es nicht einfacher. Es entstand wieder dieser Drang, nach Derek zu rufen. Den hatte Stiles inzwischen schon einige Male verspürt. Er wusste nur nicht, wie er das zu bewekstelligen hatte. Er würde ihn fragen, wenn er ihn fand. Und so lief Stiles weiter. Stieß mit dem Zeh gegen einen Schrank und jaulte auf. Fast zeitgleich hörte er ein Rascheln. Derek musste sich bewegt haben. Nun etwas sicherer, konzentrierte er sich weiter und zwar auf die Geruchsquelle, die sich änderte. Ein Gefühl mischte sich zu Dereks Geruch, Stiles konnte es nur noch nicht deuten. Er tastete sich mit den Fingern vor und stieß gegen etwas Hartes. Es war undefinierbar. Er versuchte sich zu erinnern, wo er gerade war. Was stand in der Ecke, im Flur, denn normalerweise? Neugierig tastete Stiles weiter. Es war kein ebenmäßiger Gegenstand und mit irgendwas bedeckt. Er fuhr weiter hoch und spürte sowas wie kleine Knoten. Sie lagen ein Stück auseinander, aber auf gleicher Höhe. Nachdenklich kaute Stiles auf seiner Lippe. Er hatte das Gefühl zu wissen, was es war. Es wollte ihm nur nicht einfallen. Es war schon lustig, blind in Haus herumzurennen und das Gefühl zu haben, alles neu zu entdecken.
»Weißt du, wenn du dich deiner anderen Sinne bemächtigen würdest, würdest du auch wissen, was du vor dir hast«, sagte Derek. Seine Stimme klang seltsam rau und Stiles zuckte erschrocken zusammen. Als Derek ihm die Augenbinde abnahm und er sah, wo seine Hände lagen, wich er peinlich berührt zurück.
»Sorry«, nuschelte er.
Die kleinen Knötchen, Dereks Brustwarzen, hatten sich zusammengezogen und malten sich deutlich unter dem Shirt ab. Trotz all der Peinlichkeit, musste Stiles aber zugeben, dass es sich toll angefühlt hatte. Derek hatte ihn einfach machen lassen.
»Du musst lernen, auf deine anderen Sinne zu achten, wenn einer wegfällt. Und zwar auf alle«, erklärte Derek. »Wenn ein Jäger dich blendet, kannst du nichts sehen, aber hören und riechen. Das sind die zwei wichtigsten Sinne, die du brauchst, um dich in Sicherheit zu bringen.«
Stiles nickte verstehend. Ihm gingen zwar grade ganz andere Sachen durch den Kopf, aber er versuchte, Derek zu folgen.
»Manchmal hab ich den Drang nach dir zu rufen«, fiel es Stiles plötzlich wieder ein. »Ich weiß nur nie, wie ich das tun soll.«
»Was tun Wölfe, wenn sie nach ihren Artgenossen rufen?«
»Sie heulen«, antwortete Stiles. Er brauchte einen Moment, bis er merkte, dass das die Antwort war. »Was, das will ich tun?«
Derek lachte. Stiles schien regelrecht schockiert darüber.
»Ja, dein innerer Wolf zumindest«, erklärte er.
»Und wie mach ich das?«
»Du tust es einfach«, entgegnete Derek. Er wüsste nicht, dass man das trainieren könnte. Es war wie ein Reflex, man tat es einfach.

Später am Abend, sah Derek es an der Zeit für Stiles ins Bett zu gehen. Dem Beta fielen aber immer neue Sachen ein, die er noch erledigen musste.
»Wieso willst du nicht schlafen gehen?« Derek musterte ihn durchdringend. Stiles hatte Angst.
»Ich will ja, ich muss nur vorher-«
»Und gleich hast du wieder eine neue Ausrede, also sag schon, was ist los?«
Ergeben ließ Stiles die Hände sinken. »Ich hab Angst«, gestand er. »Im Schlaf kann ich mich nicht kontrollieren. Was ist, wenn ich wieder halb verwandelt umherirre und jemanden angreife? Ich tu das doch nicht bewusst.« Somit hatte er auch keine Chance sich zurück zu verwandeln. Derek ging ein Stück auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Das wird schon nicht passieren.«
»Und falls doch?«, fragte Stiles.
Derek zuckte unbeholfen mit den Schultern. Er würde wieder da sein und ihn aufhalten. Aber wenn er ihm das sagte, würde es nur unangenehme Fragen aufwerfen.
»Kannst du hier bleiben?«, fragte Stiles zögernd. Derek hob erstaunt den Kopf.
»Die ganze Nacht?« Stiles nickte knapp. Es war ihm unangenhem, danach zu fragen. Aber wenn Derek bei ihm war, fühlte er sich sicherer.
Derek schien darüber nachzudenken, dann stimmte er zu. Warum ihm das so schwer fiel, wusste er selbst nicht. Schließlich hatte er die letzten Nächte alle in der Nähe des Hauses verbracht. Eine Nacht, in der er nicht darußen, in der Kälte sitzen, dafür aber trotzdem ein Auge auf Stiles haben konnte, war ein verlockendes Angebot.
Nach kurzem Hin- und Her lagen sie zusammen in Stiles' Bett. Ein Gästezimmer gab es nicht, ebenso wenig wollte Stiles Derek auf dem Boden schlafen lassen oder es selbst tun.
Sie hatten sich noch einen Film angemacht, aber Stiles schaffte es kaum, die Augen offen zu halten. Er war müde und Dereks vetrauter Geruch war so intensiv, weil er neben ihn lag. Stiles war so dermaßen entspannt, dass er sich wie auf einer Wolke fühlte. Er lächelte, drehte sich zu Derek und dämmerte immer tiefer in den Schlaf.

Derek sah noch eine Weile zum Fernseher, dann hörte er John nach Hause kommen. Es war bereits kurz vor zwölf. Entweder der Sheriff hatte sich in seinen Büro hingelegt, oder er hatte einen verdammt langen Tag hinter sich. Vorsichtig setzte Derek sich auf, warf einen Blick auf Stiles und erhob sich. Er wollte seinem Vater wenigstens Bescheid geben, dass er dort blieb. Aber eigentlich wollte Derek reden und er hatte das Gefühl, mit John konnte er das. Sicher es ging um seinen Sohn, aber das war nicht der Grund, warum Derek das Gefühl hatte, mit ihn reden zu können. John hatte etwas Vertrauenserweckendes, Fürsorgliches. Etwas das Derek vermisste. Wenn er Probleme hatte, dann gab es niemanden zum Reden. Leise schlich er die Treppe herunter und machte den Älteren im Wohnzimmer aus.
Johns Augenbrauen zogen sich erstaunt hoch, als er Derek sah.
»Stiles hat mich gebeten zu bleiben«, erklärte der Werwolf schnell. Er setzte sich unsicher auf den Sessel. Nur weil er reden wollte, hieß es ja nicht, dass John es auch wollte. Dann sah er dem Aktenstapel. Den wollte er doch nicht jetzt noch durchgehen?
Der Sheriff lächelte den Alpha aufmunternd an. Er schien zu wissen, das Derek etwas wolllte. Der verfluchte siebte Sinn eines Vaters.
»Stiles hatte heute Probleme«, begann Derek zu erzählen. »Und ich hab meinen Teil dazu beigetragen. Wir sind mal wieder aneinander geraten und ich hab ihn sich selbst überlassen.«
»Ich dachte, es läuft gut zwischen euch?«, fragte John erstaunt.
»Mal läuft es gut, dann schlägt es wieder um. Ich versteh Stiles nicht und ich kann nie abschätzen, wie er reagiert. Und wenn er sich so gegen mich stellt... Ich glaub, ich bin nicht dafür gemacht, für jemandem verantwortlich zu sein.«
Das John nach dieser Aussage loslachte, hatte Derek nicht erwartet. Als er ihm dann erklärte, dass man sich als Stiles' Vater permanent so fühlte, verstand er es. Nach anfänglichem Zögern, erzählte Derek alles, was in der Nacht und am Morgen geschehen war. John hörte zu, zwischendurch sah er ihn prüfend an, aber er unterbrach Derek nicht.
»Weist du, Stiles ist ein Teenager, kurz vor dem Erwachsenwerden. Privatsphäre ist ihm wichtig. Er will sich abkapseln und selbständig werden, das ist ganz normal. Und dann tauchst du grade in diesem Abschnitt seines Lebens auf. Er ist auf dich angewiesen, er kann nichts vor dir verbergen. Das ist schwer für ihn.«
Derek nickte verstehend. Das war einleuchtend, aber half ihm nicht.
»Ich denke am Besten wäre es, ihm seine Privatsphäre zu lassen und wenn du doch mal etwas mitbekommst, behalte es für dich. Wenn Stiles sagt, dass er zu dir kommt, wenn er Probleme hat, dann wird er das auch tun. Vertrau ihn... und wenn er mal impulsiv reagiert, denk einfach daran, dass er es vielleicht in diesem Moment ernst meint, aber in zehn Minuten wieder ganz anders darüber denkt.« Derek nahm sich jedes Wort zu Herzen. Der Sheriff schien recht gut über seinen Sohn bescheit zu wissen, obwohl er nicht viel Zeit für ihn hatte. Das musste an diesem unsichtbaren Band liegen, dass Eltern und Kinder verband, welches ihm so gewaltsam entrissen wurde.
»Du darfst nicht versuchen, ihn zu bevormunden«, sagte John.
»Ich will ihn nur beschützen«, entgegnete Derek gekränkt. Wieso verstand das denn hier in diesem Haus niemand?
»Du kanbst ihn nicht vor allem schützen. Lass ihn Fehler machen, lass ihn daraus lernen. Das ist wichtig.« Das hatte John selbst erst lernen müssen und wenn er ehrlich war, konnte er es bis heute nicht gut.
»Aber wenn er die falschen Fehler macht und etwas passiert, dann ist es meine Schuld. Ich bin sein Alpha.«
»Ich bin sein Vater«, sagte John. »Und wenn Stiles über eine rote Ampel läuft, und dabei überfahren wird, dann ist es nicht meine Schuld. Jeder Fehler könnte der falsche sein, aber das können wir nicht vorhersehen. Deshalb können wir nicht anfangen, den Menschen, die uns wichtig sind, die Erfahrung des Lebens zu verweigern.« John seufzte laut, dann musste er lachen. »Wenn ich so an dich denke damals, dann müsstest du dich doch gut in Stiles' Lage hinein versetzen können. Du Derek, warst ein kleiner Unruhestifter.« John zwinkerte ihm zu und Derek grinste zurück. Wie oft hatte er schon vor dem Sheriff gesessen und seine Taten bereut? Meistens ging es um Vandalismus oder Belästigung. In Polizeisprache klang es schlimmer, als es eigentlich gewesen war. Derek hatte es irgendwann einfach satt gehabt, nach diesen strengen Regeln zu leben.
»Wie geht es dir sonst?«, fragte der Sheriff nun ernster.
»Gut«, antwortete Derek knapp.
»Wirklich? Du baust das Haus wieder auf, da kommen keine schlechten Erinnerungen hoch?« John musterte den Werwolf intensiv. »Nachdem ich dich damals hab laufen lassen, nachdem ich beide Augen zugedrückt habe, hab ich mich immer gefragt, mit wen du redest.«
Derek wich dem Blick aus. Mit niemandem, war die ernüchternde Antwort. Es gab schließlich niemandem mehr.
»Das dachte ich mir...«, murmelte der Sheriff.
»Ich muss mit niemandem reden«, sagte Derek trocken.
»Du hast dich daran gewöhnt mit niemandem reden zu können«, berichtigte der Sheriff. »Das ist jetzt anders. Du bist nich mehr allein.«
Der Sheriff ließ seine Worte sacken. Er wusste, Derek würde ihm jetzt nicht sein Herz ausschütten. Das erwartete er auch nicht. Aber er sollte wissen, dass er diese Option hatte. Wenn John an den 17 jährigen Derek zurückdachte, fragte er sich, ob er richtig entschieden hatte. Es war Dereks Wunsch gewesen, aber wusste ein Junge in dem Alter, was gut für ihn war? Hatte er so nicht seinen Teil zu Dereks Leben in Abgeschiedenheit beigetragen?
Schwerfällig stand er auf und klopfte Derek auf die Schulter. »Geh schlafen, es ist schon spät.«
Der Sheriff verschwand in der Küche, während Derek überlegte, ob er mit seinen 25 Jahren wirklich noch von jemandem ins Bett geschickt werden durfte. Er erhob sich trotzdem und stieg die Treppe hoch.
Als er das Zimmer betrat, saß Stiles kerzengrade in Bett.
»Du schläfst ja gar nicht«, stellte Derek fest. Stiles schaute müde zu ihm auf, wirkte wie im Dämmerzustand. Er hatte vermutlich gemerkt, dass Derek gegangen war.
»Ich wollte bloß deinem Vater bescheid geben, dass ich hier bleibe«, erklärte er, während er sich aufs Bett setzte. Stiles sagte nichts, sondern kuschelte sich einfach an ihn und war innerhalb von Sekunden eingeschlafen. Lächelnd strich Derek ihm über den Rücken. Die Nähe tat gut und doch war es falsch sie zuzulassen. Jedenfalls nachdem er das vorhin zugelassen hatte. Er hätte Stiles sofort sagen sollen, was er da grade abtastete, doch er hatte ihn weitermachen lassen. Es war lange her, das sein Körper von anderen Händen erkundet wurde. Es war Jahre her. Und Stiles neugierige, unschuldige Finger, die über seinen Körper wanderten, hatten ein lang verdrängtes, körperliches Bedürfnis geweckt. Er hätte es nie soweit kommen lassen dürfen. Er war für Stiles verantwortlich. Stiles vertraute ihm und er war kurz davor gewesen, es auszunutzen, nur um wieder etwas körperliche Zuwendung zu erfahren. Das durfte ihm nicht nochmal passieren.

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