"Er zahlt"

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Am Samstag Abend, war Stiles endlich wieder zu Hause. Er hatte sich jedes Mal, wenn er Melissa sah, entschuldigt. Sie hatte die Entschuldigung bereits beim ersten Mal angenommen, aber er hatte sich unglaublich schlecht gefühlt.
Sie hatte ihnen trotzdem geholfen. Alles war nach Plan verlaufen – die Ärzte glaubten nun, dass die MRT Bilder vertauscht wurden, weil man dass von Stiles' Mutter als Vergleich hinzuziehen wollte. Melissa hatte das Blutbild ausgetauscht und offiziell hatte Stiles nun an irgendeinem schweren Infekt gelitten, den er selbst auskurieren musste, weil das Krankenhaus einen Fehler gemacht hatte. Die neue Blutprobe – die seines Vaters – zeigte, dass er völlig gesund war. Abgesehen von seinem Cholesterinwert, der war zu hoch. Man hatte Stiles bei der Entlassung nahegelegt, auf tierische Fette zu verzichten. Er hatte versichert, zusammen mit seinem Vater, ab jetzt gesünder zu essen.
Seitdem Vollmond Freitag Nacht, hatte Stiles auch keinen Drang mehr verspürt, jemanden zu jagen. Derek hatte ihn in Ruhe gelassen, nur Scott meldete sich nicht. Auf keinen Anruf, keine SMS reagierte er. Melissa hatte Stiles beruhigt und gesagt, er bräuchte nur Zeit, aber Stiles hatte Angst. Er wollte ihn nicht in Ruhe lassen. Er wollte zu ihm hingehen und ihn auf Knien um Entschuldigung anflehen. Er würde ihn sogar anbetteln, sein bester Freund zu bleiben. Er brauchte ihn, jetzt mehr denn je. Ohne Scott könnte er das nicht durchstehen. Aber Stiles hatte zu große Angst davor, dass Scott mit ihm brach, also ließ er ihn in Ruhe und schickte ihm stattdessen Nachrichten. Wie hatte er bloß seinen besten Freund angreifen können? Sie waren seit über dreizehn Jahren beste Freunde. Stiles hatte beinahe sein ganzes Leben mit Scott verbracht und ohne ihn, hätte er den Tod seiner Mutter bis heute nicht verarbeitet.

»Stiles, ich halte das für keine gute Idee«, sagte John.
Stiles hatte ihm erzählt, dass er Montag wieder zur Schule gehen wollte. Er wusste sowieso nichts mit sich anzufangen, ein bisschen Ablenkung würde bestimmt gut tun. Aber hauptsächlich hoffte er, mit Scott reden zu können.
»Dad, du wolltest das ich weiter lebe«, entgegnete Stiles. »Dann musst du mich auch leben lassen.«
Stiles war bereit, seinem Vater wenn nötig ein schlechtes Gewissen einzureden. Er wollte sich nicht von seinem Plan abbringen lassen. Wenn Scott erstmal sah, dass Stiles ganz normal weitermachen konnte, fand er die ganze Sache vielleicht gar nicht mehr so schlimm und sprach wieder mit ihm. »Oder willst du mich etwa hier einsperren? Hast du mich deswegen gerettet?«
»Nein, natürlich nicht«, antwortete der Sheriff sofort. »Ich denke nur es wäre vielleicht besser, wenn du dir noch etwas Zeit gibst?«
Da es eher nach einer Frage, als Aussage klang, schüttelte Stiles den Kopf. »Mir geht es gut, solange wir keinen Vollmond haben. Es gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen.«
Stiles war sich seiner Sache sicher und es wirkte auch nicht so, als müsste er sich zusammenreißen auf jemanden loszugehen. Doch die Vollmondnacht steckte dem Sheriff noch in den Knochen. Trotzdem wollte er seinen guten Willen zeigen und Stiles beweisen, dass er ihm noch immer vertraute. »In Ordnung, aber sobald du eine Veränderung an dir bemerkst...«
»... komm ich nach Hause«, beendete Stiles den Satz und grinste zufrieden.


Den Rest des Wochendes wartete Stiles nur darauf, dass die Schule endlich wieder begann. Er packte seine Tasche schon am Sonntag und ging früh schlafen. Pünktlich um 6 Uhr morgens sprang er aus dem Bett. Er fühlte sich großartig. Er machte Frühstück, kochte seinem Dad sogar Kaffee und verließ überpünktlich das Haus. Die Aussicht auf Scott zu treffen, ließ wieder etwas Normalität in sein Leben fließen.
Vor der Schule wartete er ungeduldig. Die erste Stunde hatten sie gemeinsam Unterricht. Es war die perfekte Gelegenheit, aber sein bester Freund tauchte nicht auf. Als es klingelte, ging Stiles ernüchtert in den Klassenraum. Der Lehrer hatte seinen Unterricht grade begonnen, da klopfte es und Scott kam mit einer einfach daher gesagten Entschuldigung in den Klassenraum. Er sah ziemlich gestresst aus. Kurz blieb sein Blick überrascht an Stiles hängen, dann setzte er sich auf den letzten freien Platz, vorne in der ersten Reihe.
Stiles saß in der letzten Reihe und konnte trotzdem Scotts Herzschlag hören. Er roch sogar den Schweiß, der seine Stirn feucht glänzen ließ. Stiles Brust zog sich zusammen, während er gespannt darauf wartete, dass Scotts Herz noch schneller schlug. Vielleicht sollte ich nachhelfen, dachte er sich.
Erschrocken riss er seinen Blick von Scott los.
Es fing schon wieder an!
Ohne die Rufe seines Lehrers zu beachten, sprang er auf und verließ das Klassenzimmer. Er flüchtete sich zu den Toiletten und hoffte, dass er allein dort sein würde. Er stieß die Tür auf, sah kurz in die Kabinen und verschwand in der letzten. Ohne abzuschließen ließ er sich auf dem Toilettendeckel nieder. Er versuchte das Gefühl, was Scott in ihm ausgelöst hatte zu ignorieren und konzentrierte sich stattdessen auf die Gerüche um ihn herum. Urin, WC-Steine... Nichts was man gerne roch, aber half Stiles dabei sich abzulenken.
Er hatte sich grade wieder im Griff, als sich die Tür öffnete. Er kniff die Augen zu – das konnte er nun überhaupt nicht gebrauchen.
»Stiles, alles okay?«, fragte Scott und blieb vor der Kabine stehen.
»Ich glaub schon«, antwortete er. Er wischte sich über die Stirn und öffnete die Tür. Scott war wirklich da.
»Was war los?« Scott blickte ihn fragend an, doch Stiles schüttelte den Kopf. Er konnte ihm nicht sagen, dass er es schon wieder auf ihn abgesehen hatte. Sein bester Freund nickte verstehend.
»Tut mir leid«, flüsterte Stiles.
»Schon gut«, sagte Scott unsicher. »Ich hab mich ehrlich gesagt gewundert, dass du sofort wieder in die Schule kommst.«
»Ich wollte mit dir reden«, antwortete Stiles zögerlich. »Ich dachte wenn du siehst, dass ich noch normal sein kann, verzeihst du mir.«
Dass das gründlich schief gegangen war, musste er wohl nicht erwähnen. Er blickte seinen besten Freund reumütig an. »Ich wollte wirklich nicht...« Kopfschüttelnd ließ Stiles sich wieder auf den Toilettensitz nieder. Das war eigentlich eine Lüge, ein Teil von ihm sah Scott als leichte Beute an.
»Hey,« Scott ging auf ihn zu und kniete sich vor ihn. »Wir beiden haben schon so viel zusammen durch. Denkst du, dass das jetzt einen Unterschied macht?« Er sah einen besten Freund prüfend an, aber Stiles schien zu zweifeln. »Ich weiß halt nur nicht, wie ich mich jetzt verhalten soll. Ich will es dir nicht schwerer machen, als es ist.«
Das Scott ihm trotz allem den Rücken stärkte, ließ Stiles hoffen. Vielleicht würde doch noch alles normal werden. Halbwegs normal.

Als letztes an diesem Tag stand das Lacrosse-Training an. Stiles hatte sehr wohl gemerkt, dass Scott versucht hatte, es ihn auszureden, aber Stiles wollte es probieren. Noch immer war sein größter Wunsch, einmal in der ersten Reihe auf dem Spielfeld zu stehen, von Beginn an und nicht als Ersatzspieler.
Insgeheim hoffte er, dass seine neue Situation ihm dabei behilflich sein könnte.
In der Umkleidekabine roch es seltsam. Stiles konnte die Gerüche noch nicht alle zuordnen. Angst war prägnant, da brauchte ihm niemand zu sagen, dass es noch Angst roch. Alles andere waren nur Vermutungen. Die ganzen Gerüche, das Gerede und all die anderen Geräusche reizten Stiles. Er versuchte sich so schnell wie möglich umzuziehen und verließ die Umkleide. Besorgt ging Scott hinterher und zog sich noch während des Laufens an.
»Bist du wirklich sicher?«, fragte er seinen Freund.
»Es geht schon. Du siehst doch, dass ich merke wenn zu viel wird«, tat Stiles barsch ab und lief aufs Feld. Er wusste selbst nicht ob das stimmte. Sein Herz raste so schnell und er hatte ein merkwürdiges Gefühl. Etwas war da in ihm.
Er begann einfach schonmal einpaar Runden um das Feld zu laufen. Tatsächlich half die Anstrengung.
»Seht euch Stilinski an«, rief der Coach den anderen zu. »Das ist Arrangement, sowas will ich sehen und nicht so einen Haufen lustloser Idioten!«
Das Raunen das durch die Menge ging, war keinesfalls Zuspruch. Stiles merkte es und sofort stellten sich seine Nackenhaare auf. Er stellte sich zu seinen Teamkollegen und versuchte alles Wahrnehmbare zu ignorieren.
»Stilinski, du gehst ins Tor!«, wies Coach Fintstock an. Danny, der eigentliche Torwart, blickte irritiert auf und Jackson lachte hämisch.
Mit wachliegen Knien ging Stiles auf seine Position. Die Spieler, die sich um Jackson versammelt hatten und die Köpfe zusammen steckten, würden es ihm sicher nicht leicht machen.
Der Coach pfiff und der erste Ball flog auf Stiles zu. Reflexartig hob er den Arm und fing den Ball auf.
»Stilinski!«, brüllte Fintstock sofort. »Willst du mich verarschen? Wofür, meinst du, hast du einen Schläger in der Hand?«
Stiles nickte knapp, ließ den Ball fallen und konzentrierte sich auf den nächsten. Er kam nicht weniger schnell auf Stiles zu, doch diesmal fing Stiles ihn mit dem Schläger auf.
Er ließ keinen einzigen rein. Die anderen schauten teils anerkennend, teils verwirrt. Jackson, der als nächstes dran war, schien gar nicht erfreut über die Tatsache. Er rannte aufs Tor zu, setzte zu einem Täuschungsversuch an und schmetterte den Ball mit aller Kraft aufs Tor. Trotzdem landete er, wie alle anderen Bälle zuvor, bloß im Netz von Stiles' Schläger. Das trieb Jackson beinahe zur Weißglut. Er gönnte es Stiles nicht, gut zu sein und besser als alle anderen erst recht nicht.

Der Coach teilte alle Spieler in zwei Teams auf. Zu Stiles bedauern musste er gegen Scott, dafür aber mit Jackson spielen. Der Coach pfiff und noch bevor der Spieler aus dem anderen Team reagieren konnte, hatte Jackson den Ball an sich genommen und rannte auf das gegnerische Tor zu. Er machte den ersten Punkt und den zweiten. Dann erzielte das gegnerische Team einen Punkt. Reines Glück! Trotzdem brachte es Jackson aus dem Konzept, sodass er immer wieder den Ball verlor. Bald wurde es Stiles zu bunt und er trat hervor. Was Jackson konnte, konnte er auch. Außerdem wollte er nicht verlieren. Kampfgeist war in ihm erwacht und er wollte das Spiel an sich reißen.
Der Pfiff ertönte, Jackson wollte den Ball an einen Teamkollegen abspielen, aber Stiles sprang dazwischen und nahm den Ball an sich. Er rannte aufs Tor zu – und traf!
Stiles riss das Spiel immer mehr an sich. Sein Herz hämmerte in seiner Brust und doch verspürte er nicht den Drang, jemanden zu jagen. Es reichte, dem Ball hinterher zu jagen.
Stiles Mannschaft gewann mit deutlichem Abstand. Euphorisch lief er auf Scott zu, doch Jackson hielt ihn zurück.
»Was denkst du dir eigentlich?«, fragte er. »Das ist ein Teamsport. Dein Auftritt hatte nichts mit Team zu tun!«
Irritiert drehte Stiles sich um. Sie hatten gewonnen, das reichte doch aus.
»Wenn du nochmal so eine Egonummer abziehst, sorg ich dafür, dass der Coach dich auf die Bank schickt!«
»Ach, die Egonummer ist dir vorbehalten?«, fragte Stiles gereicht. »Wenn du nicht die Nummer 1 auf dem Spielfeld bist, darf es keiner sein?«
»Ich bin immer die Nummer 1!«, regte Jackson sich auf. »Denkst du, nur weil du heute einen guten Lauf hattest, ändert das was Stilinski? Du bleibst ein Versager!«
Vielleicht hätte Stiles es ignoriert. Vielleicht hätte er drüber gestanden. Aber er konnte deutlich spüren, dass Jackson das Gesagte auch wirklich so meinte. Er hielt ihn für einen Versager.
Stiles spürte, wie sich ein Knurren seine Kehle hinauf zog, aber er biss die Zähne zusammen. Er ballte die Hände zu Fäusten und die Gelassenheit, die er nach diesem Spiel verspürt hatte, war fort.
»Vielleicht hast du sie heute beeindruck«, sagte Jackson und deutete auf die Tribüne, wo einpaar Schüler platz genommen hatten, »aber beim nächsten mal, lachen sie wieder über dich.«
Stiles spürte, wie sich ein Grollen in seinem Körper ausbreitete. Er hörte es ganz deutlich, außer ihm aber anscheinend niemand. Einbildung?
Er versuchte seine Atmung zu kontrollieren, aber je mehr er sich darauf konzentrierte, umso hektischer wurde sie. Er wollte Jackson sagen, dass nie wieder jemand über ihn lachen würde. Von nun an würde er immer besser sein, als alle anderen.
Plötzlich traf ihn etwas hartes am Kopf. Er riss den Kopf herum und sah Jacksons Freunde, die sich lachend den Bauch hielten. Sie hatten ihm einen Ball an den Kopf geworfen und das ziemlich fest. Augenblicklich fühlte er sich herausgefordert. Das Knurren konnte er nun nicht mehr zurückhalten. »Was für ein Freak!«, rief Jackson. Er hob den Ball auf und warf ihn zurück zu seinen Freunden.
Stiles' Wut stieg mit jeder Sekunde weiter an. Er wusste, er war kurz davor die Kontrolle zu verlieren, aber er wollte es auch nicht aufhalten. Er wollte die Stärke, die körperliche Überlegenheit die eine Verwandlung mit sich brachte.
»Stiles!« Scott trat neben ihn und sah ihn an. »Ich denke wir sollten gehen.«
Stiles schüttelte den Kopf. Er wollte nicht. Er wollte hier und jetzt...
»Stiles, komm schon«, forderte Scott einfühlsamer und griff nach Stiles Arm.
Stiles hörte, wie Scotts Herz raste und er roch seine Angst. Er wusste, was grade mit Stiles passierte und trotzdem stand er so dicht neben ihm. Stiles sah zu Jackson und wieder zu Scott. Was war ihm wichtiger? Scotts Freundschaft oder Rache an Jackson?
»Bitte«, mehr sagte Scott nicht.
Stiles ignorierte die lachenden Schüler, er ignorierte Jackson und ließ sich von Scott Richtung Umkleide ziehen.
»Das war knapp, oder?«, wollte er wissen.
Stiles nickte und wagte es nicht aufzusehen. Er hatte einen Fehler gemacht. Er hatte sich provozieren lassen.

Die beiden beeilten sich, noch vor den anderen die Umkleide wieder zu verlassen. Stiles wollte es nicht nochmal drauf ankommen lassen. Im schlimmsten Falle verletzte er Scott.
Als sie auf den Weg zu ihren Schließfächern waren, kribbelte es plötzlich in Stiles ganzem Körper. Er schüttelte sich, doch das Gefühl ließ nicht nach.
»Was meinst du wie lange es dauern wird, bist du das alles kontrollieren kannst?«, fragte Scott.
»Keine Ahnung«, entgegnete Stiles achselzuckend. »Ist ja nicht so das es eine Schule für junge Werwölfe gibt.«
»Na das vielleicht nicht...«, sagte Scott. »Aber einen Lehrer.«
Stiles überlegte kurz. So ein wenig Nachhilfeunterricht könnte wirklich nicht schaden, aber wer... »Was, meist du etwa Derek?«, fragte er.
Scott nickte und Stiles gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.
»Vergiss es. Der Typ hat doch Schuld an dem ganzen.« Stiles verstaute die Bücher, die er nicht brauchte, im Spind und lief mit Scott zum Ausgang.
»Aber wenn es hilft?«, versuchte Scott weiter. »Immerhin wolltest du meine Mom töten.«
Stiles ließ sofort wieder den Kopf hängen. Scotts Stimme klang nicht vorwurfsvoll, aber das musste sie auch nicht, damit Stiles sich schlecht fühlte. »Ich überleg's mir«, versprach er.

Als sie grade hinaus traten, verstärkte sich das Kribbeln in Stiles Körper. Wie aus dem Nichts kam ein schwarzer Wagen vor dem Eingang zum stehen und die Tür würde aufgestoßen.
»Steig ein!«, befahl Derek.
Stiles erster Impuls war, ihn einfach stehen zu lassen. Doch er musste zugeben, dass er Dereks Hartnäckigkeit ein wenig bewunderte. Er ließ sich von nichts abhalten. Stiles hatte ihn rausgeworfen, abblitzen lassen und gebissen – trotzdem war Derek da.
Er holte tief Luft, sah Scott mit hochgezogenen Augenbrauen an und setzte sich in Bewegung. Jeder der Schüler bekam es mit. Selbst Jacksons Porsche konnte mit Dereks Wagen nicht mithalten.
Er setzte sich auf den Beifahrersitz und knallte die Tür zu. Sofort riss Derek den Kopf zu ihm rum.
»Ja, sorry... Bei meinem Jeep klemmt die Tür«, entschuldigte sich Stiles.
»Willst du meinen Wagen jetzt mit deinem Schrotthaufen vergleichen?«
»Vorsicht, ja?«, zischte Stiles. »Mach dich nicht unbeliebter, als du bist.«
Derek wollte zunächst etwas erwidern, ließ es dann aber kopfschüttelnd und startete den Wagen. Wortlos fuhr er vom Parkplatz und Stiles erkannte schnell, dass er ihn nicht nach Hause fahren würde.
»Wo fahren wir hin?«
»Siehst du gleich«, antwortete Derek knapp.
»Ich hab nicht viel Zeit.«
Das stimmte zwar nicht ganz, aber Stiles fühlte sich jetzt schon unwohl in Dereks Gegenwart. Dieses Kribbeln in seinem Körper wurde immer präsenter und Stiles wusste, dass Derek der Auslöser war. Vermutlich zeigte es ihm, dass Derek in der Nähe war. Umso besser, dann konnte er schnell verschwinden, wenn sich dieses Gefühl einstellte.
»Warum nicht?« Derek wendete den Blick keine Sekunde von der Straße, trotzdem besaß Stiles seine volle Aufmerksamkeit.
»Weil ich was essen muss... Ich hab Hunger.« Am liebsten hätte Stiles sich die Hand gegen den Kopf geschlagen. Eine dämlichere Ausrede hätte er nicht finden können.
»So?« Derek nahm den Blick nun doch kurz von der Straße ab und sah seinen Beta an. »Kein Problem.« Er wendete und fuhr das Diner an, an dem sie kurz zuvor vorbei gefahren waren. »Gehen wir was essen.«
Obwohl Derek versuchte sich nichts anmerken zu lassen, spürte Stiles dass er sauer war. Vermutlich wusste er sogar, dass er ihn belogen hatte. Aber gut, wenn Derek es schaffte gute Mine zum bösen Spiel zu machen, dann würde es an ihm nicht scheitern.
Sie setzten sich und als die Kellnerin kam, bestellte Stiles fast die ganze Speisekarte. Und er freute sich darüber.
Derek wusste nicht, was das nun zu bedeuten hatte. Er wusste, das Stiles nicht wirklich Hunger hatte. Und selbst wenn, würde er diese Masse niemals herunter bekommen.
»Du solltest froh sein, dass das bei einem Werwolf nicht wirklich ansetzt«, ließ Derek verlauten als Stiles bereits den dritten Burger verschlungen hatte und sich über die Pommes hermachte.
Stiles warf ihm einen vernichtenden Blick zu, bei dem auch Derek's beschwichtigende Geste nicht half. Für das 'Werwolf-Thema' waren sie wohl noch nicht bereit.

Während Stiles in gemäßigtem Tempo weiter aß, starrte Derek aus dem Fester. Egal wie verfahren die Situation grade war, Derek fühlte sich wohl, wenn er Stiles in seiner unmittelbaren Nähe wusste. Er war sein Beta. Derek hatte nicht geahnt, was das bedeuten würde, bis er es gespürt hatte. Es war beinahe ein bisschen wie Familie. Zwar war Stiles derzeit eher sowas wie der unbeliebte Onkel, auf den man gern verzichten würde, aber das könnte sich vielleicht noch ändern. Zumindest war Derek nicht mehr einsam.
»Du solltest kein Lacrosse spielen«, sagte Derek gedankenverloren. »Nicht jetzt... So lange alles noch neu für dich ist.«
Augenblicklich schlug ihm Stiles Unmut entgegen.
»Du hättest heute beinahe die Kontrolle verloren«, wies Derek ihn zurecht. »Zwei Mal.«
Stiles hörte auf zu Kauen, zwang das Essen seine Kehle hinunter und schlug die Hände fassungslos auf den Tisch. »Stalkst du mich etwa?«
»Ich passe auf dich auf.«
»Nenn es wie du willst... In Polizeisprache nennt man das stalking!«
Stiles starrte. Derek starrte zurück.
»Zeig mich an«, sagte er unbeeindruckt.
»Könnte ich«, drohte Stiles, »mein Dad wird...«
»Versuchs doch.« Derek grinste siegessicher. Er war sicher den Sheriff, in diesem speziellen Fall, auf seiner Seite zu haben.
Stiles ließ die Schultern hängen. Wenn sein Vater davon erfahren würde, dann dürfte er nicht mehr in die Schule.
Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Ich bin fertig«, sagte er und deutete auf den Tisch.
Stiles hatte nicht mal ein Drittel von dem gegessen, was er bestellt hatte. Aber es hätte Derek auch wirklich verwundert. Das war nicht nur unmenschlich, sondern auch untypisch für Werwölfe.
Derek deutete der Kellnerin an zu kommen. »Zahlen, bitte.«
Sie kam mit ihrem Block in der Hand zum Tisch und rechnete alles zusammen. Die Rechnung legte sie auf den Tisch. Pfeifend sah Stiles von der Rechnung auf das ganze Essen vor ihm. Dann stand er auf, packte seine Jacke und lächelte die Kellnerin an. »Er zahlt«, dabei deutete auf Derek und lief zur Tür, auch wenn er das Gesicht des Alphas zu gern gesehen hätte.
Als die Türglocke ertönte wurde Derek erst bewusst, dass sein Beta das wirklich ernst meinte. Er schloss kurz die Augen, weil er spürte, dass sie rot aufflammten und ballte die Händen zu Fäusten.
»Das macht dann-«
»Schon gut!«, unterbrach Derek sie schroff. Er griff nach seinem Portemonnaie, zog einen Schein heraus und reichte ihn ihr. »Stimmt so.«
Mit einem Puls, der dem Flügelschlag eines Kolibris gleichkam, ging er hinaus.

Reborn - Mit dieser Entscheidung musst du lebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt