"Ein anderer Werwolf"

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Um fünf Uhr morgens riss Stiles' Wecker ihn aus dem Schlaf. Er hatte sich vorgenommen, pünktlich bei Derek aufzutauchen. Er freute sich sogar ein bisschen darauf, ihn wiederzusehen. Wenn Derek einen anlächelte, war es nämlich ziemlich schwer, ihn zu hassen. Das änderte nichts, versuchte er sich einzureden. Aber wenn er ehrlich war, dann hatte sich in den letzten Tagen schon etwas geändert. Er hasste ihn nicht mehr ganz so sehr oder nicht mehr ganz so oft. Anfangs war das ja ein Dauerzustand gewesen. Nun fing er an, sich zu verändern. Sie beide änderten sich. Stiles kam etwas mehr auf Derek zu und dieser wurde ein wenig bestimmender, was Stiles seltsamerweise nicht störte. Eher im Gegenteil und es gab ihm zudem das Gefühl von Sicherheit.
Er griff nach seinem Handy. Ob Derek davon ausging, dass er kam? Er würde an Dereks Stelle zweifeln. Seine Finger schnellten zum Nachrichtensymbol.
'Ich glaub wir lassen das mit dem Training. Ich kann doch nicht verschwitzt zur Schule fahren.'
Er schickte die SMS an Derek und wartete ab.
'Dann geh danach duschen!', erschien auf dem Bildschirm, als sein Handy vibrierte. Derek war also bereits wach.
'Zu viel Hin- und Herfahrerei', schrieb er.
'Dann duschst du bei mir', antwortete Derek.
'Nein!' Stiles grinste sein Display an.
'...'
Wenige Minuten, nachdem Derek ihm die leere Nachricht geschickt hatte, klingelte sein Telefon.
»Ja, bitte?«, fragte er gespielt freundlich.
»Du wirst deinen Hintern heute hierher bewegen, ansonsten schleif ich ihn eigenhändig her«, drohte Derek.
Stiles grinste weiter.
»Hey, ich hatte nicht vor, nicht zu kommen. Also beruhig dich wieder.«
Nun bereute er es irgendwie, dass er Derek gegen sich aufgebracht hatte. Denn allem Anschein nach gab Derek so wenig auf sein Wort, dass er ihm zutraute, sich nicht daran zu halten.
»Ich bin in zwanzig Minuten da«, versicherte er ihm und legte auf.

Er hatte sich selbst in diese Situation gebracht und doch störte es ihn wahnsinnig, dass Derek ihm nicht zu vertrauen schien. Er hatte keinen Grund dazu, das wusste Stiles selbst, aber Derek sollte wissen, dass er zu seinem Wort stand. Auch wenn ihr Verhältnis zueinander schwierig war. Er ging zum Schrank und zog sich eine Jogginghose an. Ein frisches T-Shirt und eine Jeans nahm er zum Wechseln mit, um nicht in den verschwitzten Klamotten zur Schule zu fahren. Wobei, schwitzten Werwölfe überhaupt? Stiles schüttelte den Kopf. Worüber man sich nun alles Gedanken machen konnte.
Er lief die Treppe hinunter und schnappte sich noch eine Flasche Wasser aus der Küche. Derek hatte auspowern gesagt. Stiles war sich ziemlich sicher, dass ihm das einiges abverlangen würde.
Während er zu Derek fuhr, schaltete er das Radio an. Die Musik, der frühe Morgen, mit der aufgehenden Sonne und der kühlen Luft, versetzten Stiles in eine euphorische Stimmung.
Er hielt noch kurz an der Tankstelle, besorgte zwei Kaffee und fuhr die restlichen Meter zum Reservat.
Derek war bereits draußen. Mit freiem Oberkörper trainierte er vor dem Haus. Stiles besah es sich einen Moment und stellte dann fest: Werwölfe konnten schwitzen.
Als Derek den letzten Liegestütz hinter sich gebracht hatte, kam er mit feucht glänzender Brust auf ihn zu. Stiles starrte ihn an. Er war sich dessen vollends bewusst, aber er konnte nicht wegsehen. Bevor es jedoch peinlich wurde, schnappte er sich die Kaffeebecher und stieg aus.
»Hier«, er reichte Derek einen.
Der Alpha besah sich den Becher.
»Ich...«, begann Stiles und war plötzlich selbst überrascht von sich, »keine Ahnung...«
»Du wirst trotzdem laufen«, prophezeite Derek.
»Das war auch kein Bestechungsversuch!« Stiles verschränkte die Arme und sah seinen Alpha an. Sein Blick glitt wieder zu der nackten, verschwitzten Brust. Diesmal riss er sich aber sofort wieder davon los.
»Was ist los? Hast du nichts mehr zum Anziehen?«, fragte Stiles genervt und ging zur Veranda. Er setzte sich auf die oberste Stufe und trank seinen Kaffee. Irgendwas machte ihn nervös.
Derek sah ein wenig fragend an sich herab. Nach Stiles Worten klang es so, als würde er nackt dastehen. Aber wenn es das Einzige war, das ihn störte, konnte er das ändern. Derek ging an ihm vorbei, verschwand im Haus und kam in einem grauen Unterhemd wieder raus. Das ließ seine Brust noch breiter wirken und war nicht ganz das, was Stiles mit seiner Aussage bezwecken wollte.
»Können wir?«, fragte Derek. Er trank den Kaffee in wenigen Zügen leer und stellte den Becher auf die Veranda.
»Ja.«
Stiles stand auf und betrachtete den Werwolf. Diesmal fiel es ihm leichter.
Vermutlich würde er nicht mit Derek mithalten können.
»Wir laufen eine große Runde durch den Wald«, erklärte Derek. »Du folgst mir und beschreitest die Hindernisse so, wie ich es dir vormache.«
Stiles atmete tief ein.
»Das fördert nicht nur deine Kondition, sondern auch deine Geschicklichkeit.« Derek rieb sich die Hände, voller Tatendrang, während Stiles ehr skeptisch dreinblickte.
»Ich hab Kondition«, murrte er.
»Dann schaffst du es ja bestimmt, dich nicht zurückfallen zu lassen.« Derek grinste ihn an. »Falls doch werden wir das ganze Wochenende damit verbringen, deine Ausdauer zu steigern.«
Mit diesen Worten lief Derek los und Stiles beeilte sich, ihm zu folgen. Schnell merkte er, dass Derek das Tempo immer weiter steigerte. Der Alpha sprang über einen dicken Baumstamm, lief ohne abzubremsen, eine kleine Böschung hinunter und dann wieder hinauf. Oben angekommen schien er endgültig auf Werwolfsmodus zu laufen.
Während Stiles noch versuchte, die Böschung heil hinunter und vor allem wieder hinauf zu kommen, wurde Dereks Gestalt immer kleiner. Mit seinem normalen Tempo konnte er nicht mithalten.
»Hey, warte!«, rief Stiles ihm hinterher. Er wusste nicht, wie man schneller lief. Doch dann merkte er, wie er von selbst schneller und schneller wurde. Überrascht starrte Stiles auf seine Füße. Grade in dem Moment, in dem Derek sich zu ihm umdrehte, verlor Stiles die Koordination. Er stürzte zu Boden und keuchte auf. Er hörte ein seltsames Knacken und drehte sich sofort auf den Rücken, aber unter ihm lag kein Ast.
»Ist das dein Ernst?«, fragte Derek. Er war in Sekundenschnelle bei Stiles gewesen.
»Ich dachte wir trainieren... Du hast nicht gesagt, dass ich mir dabei den Hals brechen kann«, jammerte Stiles.
Als Derek nach seinem Arm griff, wimmerte er. Auf den ersten Blick sah Derek, dass er gebrochen war.
»Weißt du, ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich dir auch noch das Laufen beibringen muss«, höhnte Derek.
Stiles lief rot an und entgegnete etwas, aber Derek wartete nur ab, bis er sich in Rage geredet hatte und zog den Arm in die richtige Stellung. Stiles schrie auf und goldene Augen starrten ihn wütend an.
»Tut mir leid«, sagte er, »ich musste den Arm in die richtige Position brigen, damit er heilen kann.«
»Ich kann laufen!«, wiederholte Stiles frustriert und ließ sich ganz zu Boden sinken.
»Ich weiß, ich wollte dich nur ablenken.«
Derek lächelte und erneut musste Stiles es erwidern.
»Ich kann nur nicht so schnell laufen, da kommt mein Kopf nicht mit«, gestand er.
»Du darfst nicht nachdenken«, Derek stand auf und zog Stiles hoch, »wenn du normal läufst, denkst du doch auch nicht über den Bewegungsablauf nach.«
Stiles nickte zögernd.

Sie beendeten die Runde im normalen Tempo, trotzdem war Stiles total aus der Puste, als sie wieder am Haus ankamen.
Derek sah ihn verwundert an. Selbst für einen Menschen hätte er eine schlechte Kondition.
»Ich fahr jetzt zur Schule«, sagte Stiles. Er schien aber auf etwas zu warten.
Erst nach Dereks Zustimmung setzte er sich in Bewegung.
Er startete seinen Jeep, doch der Motor sprang nicht an. Stiles versuchte es mehrere Male, bis er frustriert auf das Lenkrad einschlug.
»Was hast du gemacht?«, fragte er Derek verärgert.
»Gar nichts!« Derek trat näher an den Wagen heran. »Ich hab ich dir heil wieder gebracht.«
»Scheinbar nicht«, dementierte Stiles.
»Ich hab den Tankinhalt komplett gewechselt, dass Auto ist keinen Meter mit dem Wasser gefahren. Das kann nicht davon kommen«, stellte Derek klar. »Und was anderes hab ich nicht gemacht.«
»Du hast ihn gefahren«, sagte Stiles wie aus der Pistole geschossen. Er stieg wieder aus und öffnete die Motorhaube. Er hatte zwar keine Ahnung davon, aber ein Versuch war es wert.
»Willst du mir jetzt sagen, ich kann kein Auto fahren?«, fragte Derk empört.
Stiles zuckte mit den Schultern. Er deutete auf den Camaro, der mit seinem schwarzen Lack in der Sonne glänzte. »Du bist doch nur sowas gewöhnt«, sagte er.
»Und sowas fährt sich von selbst?«
»Nein, aber du musst sicher nicht so aufpassen bei der Kupplung oder beim Bremsen.« Stiles sah zwischen den Wagen hin und her. Dazwischen lagen Welten, nicht nur optisch.
»Du kannst dich ja mal hinters Steuer setzen, dann wirst du merken, dass es einfacher ist deinen Schrotthaufen vorwärts zu treten«, entgegnete Derek.
Stiles zog eine Schnute. Die Bezeichnung Schrotthaufen fiel zu oft. »Ich will mich überhaupt nicht in so einen Wagen setzen«, schmollte Stiles.
Derek grinste. Das war ganz eindeutig eine Lüge. »Vielleicht irgendwann mal, wenn du dich benimmst«, sagte Derek wissend.
Stiles schmollte noch mehr. Derek nicht belügen zu können, war schrecklich. Andauernd konnte der Werwolf ihn auflaufen lassen. Er sah wieder in den Motorraum und versuchte Derek zu ignorieren. Der Alpha ließ sich jedoch nicht ignorieren. Er stellte sich neben Stiles.
»Warum all das Klebeband?«, fragte er.
»Einpaar kleine Altersmängel die repariert werden mussten«, antwortete Stiles.
Derek hob überrascht die Augenbrauen an. Dass der Wagen überhaupt noch gelaufen war, grenzte vermutlich an ein Wunder.
»Wenn du willst schau ich ihn mir an«, bot er an.
Stiles nickte und seufzte dann gequält auf. »Da hätte ich auch gestern kommen können. Jetzt muss ich doch laufen.« Er holte den Rucksack aus dem Jeep und warf ihn lustlos über die Schulter.
»Komm«, Derek zog ihn mit sich und öffnete den Camaro. Stiles setzte sich ohne Widerworte. Inzwischen war ihm der Geruch des Wagens vertraut. Fast so vertraut wie Dereks.

Auf dem Schulparkplatz angekommen, zog Stiles den Rucksack auf seine Beine. »Danke«, sagte er leise. »Holst du mich auch wieder ab?« Es war ihm unangenehm danach zu fragen, aber so wäre es am praktischsten, schließlich musste er nach der Schule zu Derek.
»Wenn du das willst«, antwortete der Ältere ein wenig verwundert.
»Ich weiß noch nicht, ob ich zum Lacrosse-Training gehe.« Stiles sah Derek mit großen traurigen Augen an. Es weckte Dereks Beschützerinstinkt und ließ ihn unruhig auf dem Sitz rum rutschen. Für Stiles schien es so, als wollte Derek nicht länger warten. Also öffnete er die Tür einen Spalt und schnallte sich ab. »Ich schreib dir einfach«, sagte er, während er ausstieg.
»Okay, bis später«, sagte Derek geistesgegenwärtig. Stiles schlug mitten im Satz die Tür zu, Dereks Augenbrauen zogen sich sofort ein Stück zusammen. Diesmal war es jedoch keine Provokation gewesen. Stiles drehte sich nochmal um, blickte Derek entschuldigend an und lief mit hängenden Schultern ins Schulgebäude.
Derek sah ihm nach, bis er verschwunden war. Das Stiles die Sache mit seinem Jeep so zusetzte, wunderte ihn. Er war wirklich traurig deswegen. Wenn man bedachte, dass es das Auto seiner Mutter gewesen war, konnte man es nachvollziehen. Doch Stiles musste klar sein, dass er den Wagen nicht den Rest seines Lebens in Ehren halten konnte.

Während der Schulzeit versuchte Scott, seinen besten Freund aufzumuntern. Es klappte nicht. Genauso wenig, wie Stiles es schaffte, sich abzulenken. Er konnte selbst nicht sagen, warum es ihn so traurig machte. Immer wieder schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass man seiner Mom nicht helfen konnte, seinem Jeep nicht – nur ihm. Er wollte nicht dabei zu sehen, wie alles aus seinem Leben verschwand. Wie alles verfiel, nur er nicht.
Er beschloss, nicht zum Lacrosse zu gehen und schrieb Derek nach der Schule, dass er ihn abholen könne. Fast eine Stunde wartete er auf ihn und trotzdem war er froh, dass Derek kam. Dass er bei ihm sein konnte, denn er fühlte sich in seiner Gegenwart besser. Irgendwie zumindest. Meistens.
Er hörte den Camaro schon von weitem. Der Werwolf fuhr auf den fast leeren Schulparkplatz und Stiles stieg schnell ein.
»Und?«, fragte er.
Derek sah in das hoffnungsvolle Gesicht des Jüngeren und fühlte sich noch ein wenig schlechter. Er wollte ihm keine schlechten Nachrichten überbringen und schon gar nicht diese Hoffnung zerschlagen, die er grade zeigte.
»Weißt du...«, druckste Derek herum, »Es wären einpaar Ersatzteile nötig, um ihn wieder ans laufen zu bekommen.«
Stiles schien von dieser Aussage nicht sehr getroffen. Also musste Derek präziser werden.
»Du solltest dir gut überlgen, ob du das Geld wirklich in Ersatzteile investieren willst, denn dafür würdest du einen neuen Gebrauchtwagen bekommen, in weit besserem Zustand.«
Stiles schluckte, Ersatzteile klang erstmal nicht gravierend, doch nun hatte er eine gewisse Vorstellung, von welcher Summe sie sprachen. Er atmete tief ein – das war nicht drin, grade jetzt nicht, wo Stiles ziemlich viel Geld für Essen ausgab.
»Wir könnten natürlich auch versuchen, an gebrauchte Ersatzteile zu kommen. Wenn wir die einbauen, sparen wir eine Menge Geld und könnten dem Jeep noch ein paar Jahre verschaffen. Allerdings wirds etwas dauern, bis wir alles zusammen haben«, schlug Derek vor. Er konnte diese Traurigkeit in Stiles Blick schlichtweg nicht ertragen, selbst wenn er der Meinung war, dass Stiles mit einem anderen Auto besser dran war.
Stiles musste lächeln. Ein wenig verwirrt blickte Derek ihn an.
»Du sagst die ganze Zeit wir«, erklärte Stiles.
»Du kannst es natürlich auch alleine machen«, sagte Derek schnell. Er wollte sich Stiles nicht aufdrängen oder über seinen Kopf entscheiden.
»Ich reparier mein Auto mit Klebeband«, er sah Derek an und lachte. »Du kennst dich nicht zufällig auch mit Fahrrädern aus?«
»Warum?«
Derek startete den Wagen, ließ seinen Blick aber auf seinem Beta ruhen.
»Naja ich brauch irgendein Fortbewegungsmittel und meins ist nicht mehr Fahrtauglich«, erklärte er.
Derek kannte sich zwar besser mit Autos aus, aber er stimmte zu, sich das Fahrrad wenigstens mal anzuschauen.
Sie fuhren bei Stiles ran. Er wollte noch etwas essen und Derek beschloss, in der Zeit nach dem Fahrrad zu sehen. Als Stiles es ihm zeigte, wartete Derek darauf, dass er lachte oder es als Witz abtat.
»Ich glaub da ist nichts mehr zu reparieren«, entgegnete er, als klar war, dass es kein Witz war und Stiles kein anderes Fahrrad in der Garage versteckt hatte. »Ich bin nicht mal sicher, ob du da noch drauf passt... Wie alt ist das Teil?«
Stiles kaute auf seiner Lippe. Er hatte das Rad anders in Erinnerung. Die Speichen waren verrostet, der Sattel aufgeplatzt und auf dem Gestell, dass früher mal silbern glänzte, waren einige Roststellen zu finden. Die Kette war durch und die Reifen platt.
»Ich glaube ich hab es zu meinem 14. Geurtstag bekommen«, erinnerte sich Stiles, »Nein, warte... Mit 11 hab ich es bekommen. In dem Jahr konnte ich meinen Geburtstag mit Dad zusammen feiern.«
Derek kratzte sich am Hinterkopf und stellte das Rad so vorsichtig wie möglich zurück. Es sah aus, als würde es gleich in Staub zerfallen.
»Ich denke, damit wirst du niergendwo mehr hinfahen«, mutmaßte er.
Stiles ließ den Kopf hängen. Also musste er vermutlich jeden Tag zur Schule laufen. Zumindest wenn sein Dad keine Zeit hatte und Scott kein Auto.
»Ich kann dich auch bringen«, schlug Derek vor. »Wir sehen und eh morgens und nach der Schule.«
Stiles Blick glitt langsam an Derek hinunter. Das war nett, aber... »Ich will dir nicht auf die Nerven gehen.«
»Ach nein?«, fragte Derek voller Überraschung. Stiles ließ sich ziemlich viel dafür einfallen.
»Naja«, Stiles musste grinsen, »jedenfalls nicht mit sowas.«
»Wenn ich es dir anbiete, geht es in Ordnung, also überlge es dir«, sagte Derek.
Er schob sich an Stiles vorbei und berührte ihn kurz an der Hüfte.
Nachdenklich zog Stiles die Stirn kraus. Das tat Derek oft, eigentlich immer, wenn sich Gelegenheit bot. Allerdings schien dem Alpha das gar nicht so bewusst zu sein.
Stiles folgte ihm, ging ins Haus und durchsuchte die Schränke nach Essbarem.
Mit einem lauten Seufzen schloss er den Kühlschrank wieder.
»Wenn ich nicht vorhab, richtig zu kochen, hab ich wohl nix da.«
Er blickte zu Derek und zog ein Gesicht, das diesen veranlasste, wieder alle Pläne über Bord zu werfen.
»Dann fahren wir einkaufen«, sagte er.
Skeptisch lief Stiles an ihm vorbei.
»Stört dich das jetzt?«
»Irgendwie ja.« Derek presste die Lippen aufeinander und ging hinaus. Auf diese Weise würden sie niemals ein vernünftiges Training absolvieren.

An der Kasse starrten alle Kunden, auf die zwei vollen Einkaufswagen. Derek hatte so ziemlich alle Lebensmittel in die Wagen geworfen, die er normalerweise vermied. Fett und Eiweiß schien das Grundnahrungsmittel von Werwölfen. Von gesunden Kohlenhydraten war man weit ab. Stiles sah in den Wagen. Drei Dutzend Eier und so viel Speck, dass er sich gleich ein Schwein in den Garten stellen könnte.
»Ich werd an zu hohem Cholesterinspiegel sterben«, spekulierte Stiles.
»Nein wirst du nicht«, entgegnete Derek.
Als die Kassiererin den Preis nannte, musste Stiles hart schlucken. So viel hatte er nicht dabei und auch nicht mehr auf seinem Konto.
Vollkommen unerwartet zog Derek seine Kreditkarte hervor und zahlte. Eingeschüchtert lief Stiles hinter ihm her. Wie sollte er ihm bloß sagen, dass er das nicht zurückzahlen konnte?
»Sieh es einfach als meinen Beitrag zu dieser ganzen Werwolfsache an. Ich hab dich verwandelt, also bin ich auch schuld, dass dir das Geld für Lebensmittel ausgeht«, sagte Derek locker.
Stiles war kurz davor zu sagen, dass Derek ihm nichts schuldete, weil er ihm das Leben gerettet hatte. Doch kein Wort kam ihm über die Lippen. Es war das erste Mal, dass er so dachte.
»Wir holen uns in der Mall was zu essen«, sagte Derek beiläufig. »Dann bringen wir den Einkauf zu dir und sehen zu, dass wir wenigstens noch ein bisschen trainieren können.«
Stiles verstaute den Einkauf im Camaro. Der Wagen besaß keinen großen Kofferraum. Einpaar der Sachen mussten auf den Rücksitz. Dann liefen sie quer über den Parkplatz zur Mall. Bei all den Gerüchen, die auf ihn einschlugen, war Stiles zunächst überfordert. Manchmal passierte es einfach, dass sich seine Werwolfsnase meldete.
»Konzentrier dich auf meinen Geruch«, sagte Derek. Er lief vor Stiles, drehte sich nicht mal um und schien trotzdem zu wissen, was los war. Stiles tat es. Er holte so weit zu Derek auf dass er seinen Geruch deutlich wahrnahm und blendete nach und nach alles andere aus. Als der Werwolf stehen blieb, rannte Stiles in ihn rein. Derek stolperte ein Stück nach vorne und drehte sich zu Stiles um. Er bedachte ihn mit einem strengen Blick, der ihn mahnte etwas aufmerksamer zu sein.
»Sorry«, nuschelte Stiles. Er lief sicher nicht blind durch die Gegend, aber Dereks Geruch versetzte ihn immer in eine solche Ruhe, dass er kaum auf etwas reagierte.
»Asiatisch oder Burger?«, fragte der Ältere.
»Bourito«, sagte Stiles.
Genervt lief Derek weiter. Eigentlich hatte er nicht durch die ganze Mall rennen wollen, aber Stiles musste es natürlich wieder kompliziert machen.
Stiles lief hinter ihm her, nahm der leicht veränderten Geruch wahr und fragte sich unweigerlich, ob Derek auf alle Menschen so attraktiv wirkte. Sein Geruch – Stiles meinte natürlich nur seinen Geruch.
»Derek du sagtest doch, dass du gut riechst...«, begann Stiles, »und das das nicht nur daran liegt, dass es für mich so ist, weil ich dein Beta bin.«
Der Ältere drehte sich langsam um. Skeptisch besah er sich Stiles. »Ich dachte, wir wollten das nie wieder erwähnen?!«
»Du solltest es nie wieder erwähnen«, bemerkte Stiles. Dann lief er vor und sah sich um. »Das bedeutet, ich könnte hier jeden fragen und er würde bestätigen, dass du gut riechst?«
Derek zog die Stirn kraus. Wie kam der junge Werwolf jetzt wieder auf sowas? Derek war kurz davor 'Ja' zu sagen, dann hatte er eine gewisse Vermutung, in welche Richtung dieses Gespräch lief. »Nein!«
»Komm schon Derek, ich will wissen, ob es wirklich stimmt«, bettelte Stiles.
»Nein«, sagte Derek erneut. »Und was versprichst du dir überhaupt davon?«
»Entweder beweist es, dass du wirklich gut riechst und ich nicht durchdrehe«, erklärte Stiles, »oder ich finde jemanden, der nicht dieser Meinung ist und kann deine Aussage damit entkräften, dass du für jeden gut riechst!« Stiles grinste Derek an und blickte sich suchend um. »Außerdem ist es lustig.«
Derek stand bloß kopfschüttelnd da. Das konnte doch nicht sein ernst ein. Am liebsten würde er Stiles aus der Mall schleifen, aber es war das erste Mal, dass er grade nicht traurig aussah, sondern sich freute. Vielleicht würde Stiles den Tag ja in guter Erinnerung behalten und wäre Derek etwas aufgeschlossener. Aber er wollte es nicht und er wollte auch nicht, dass Stiles Spaß auf seine Kosten hatte.

»Hey, entschuldigen Sie«, Stiles hatte sein erstes Opfer ausgemacht, »würden Sie an dem Mann da riechen?«
Die Frau sah Stiles total perplex an und auch Derek konnte nichts tun, als fassungslos zu seinem Beta zu starren. Das konnte er doch nicht wirklich tun.
Die Frau schien wenig angetan von dem Gedanken, auch wenn sie Derek interessiert ansah.
»Ist für ein Schulprojekt«, sagte Stiles knapp. »Es geht um Körpergerüche, Pheromone und Anziehungskraft. Mein Freund hier hat sich freiwillig zur Verfügung gestellt«, erklärte Stiles. »Er ist übrigens Single.«
Stiles zwinkerte Derek zu. Der Alpha schüttelte noch immer den Kopf. Das konnte doch einfach nicht wahr sein. Er könnte Stiles auffliegen lassen, die Frau verscheuchen, die sich ihm grade zuwandte. Aber irgendwie wollte er, dass Stiles ihn mochte und er hatte das Gefühl, dass er ihm so einen Schritt näher kam.
Die Frau stimmte zögernd zu und Stiles führte sie breit grinsend zu Derek. Recht zurückhaltend stand sie vor ihm. Derek konnte es nur zu gut nachvollziehen. Wer roch schon einfach so an fremden Personen?
»Vielleicht gehen Sie etwas näher ran«, sagte Stiles und schob sie näher zu dem Alpha. »Keine Sorge, der beißt nicht.«
Er musste wirklich an sich halten, nicht laut loszulachen. Derek sah alles andere als begeistert aus und sein Geruch hatte eine ganz seltsame Nuance bekommen. Ob die Frau es auch riechen konnte?
Sie stand noch immer unschlüssig vor Derek. Stiles betrachtete das Bild, das sie abgaben. Sie könnten ein Paar sein, zumindest optisch passten sie gut zusammen. Vermutlich waren sie sogar im selben Alter. Plötzlich überkam Stiles das Gefühl, die beiden sofort wieder voneinander zu trennen.
»Ich bin Stella«, stellte die junge Frau sich vor.
»Derek«, der Werwolf ergriff ihre entgegengestreckte Hand und lächelte. Stiles konnte grade noch ein genervtes Stöhnen unterdrücken.
»Also ich soll jetzt wirklich...?«, fragte sie unsicher.
Derek sah zu Stiles. Dann begann er langsam zu nicken. »Ja, am besten bringen wir es schnell hinter uns.« Derek lächelte sie wieder an. Es löste ein seltsames Druckgefühl in Stiles Magen aus. Plötzlich fand er gar nichts Spaßiges mehr an dieser Aktion.
Die Frau trat näher, warf noch einen fragenden Blick zu Derek, dieser nickte ihr zu und sie kam noch näher mit seinem Gesicht. Stiles hörte sie einatmen. Dann wartete er gespannt auf ihr Urteil.
Sie sah wieder zu Derek. Sah ihn auf merkwürdige Weise an und schien ihren Blick gar nicht mehr lösen zu wollen.
»Und?«, fragte Stiles ungeduldig.
»Er riecht wirklich... außergewöhnlich«, sagte sie nachdenklich.
»Und das heißt?«
»Er riecht gut«, lachte sie.
»Aha«, kam es trotzig von Stiles.
Derek sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihm. Da der Jüngere aber nichts weiter sagte, verabschiedete er sich bei der Frau und bedankte sich für die Hilfe. Sie gab ihm ihre Karte und ging. Drehte sich dabei noch einige Male um, als wollte sie sicherstellen, dass Derek ihr nachsah. Der Werwolf tat es und Stiles Druckgefühl wurde immer stärker.
»Hey, das ist keine Verkupplungsaktion«, blaffte er, »komm weiter!«
Nun war Derek wirklich irritiert. Als Stiles an ihm vorbei lief, schlug ihm die Eifersucht förmlich entgegen. Kurz wollte er ihn darauf ansprechen, dann verwarf er den Gedanken schnell wieder. Das könnte unter Umständen nach hinten losgehen. Und was wollte er ihm denn sagen? Dass die Frau sowieso zu alt für ihn wäre und bestimmt nicht auf Schüler stand?
Während Derek so in Gedanken war, stand Stiles plötzlich mit einem Mann, im Alter seines Vaters vor ihm. Verwundert riss Derek die Augen aus.
»Ich brauch doch Vergleichdmöglichkeiten«, sagte Stiles.
Der Mann schien weniger Berührungsängste zu haben. Er packte Derek an den Oberarmen und roch an ihm. Derek musste mit sich kämpfen. Er wollte knurren, er wollte ihn wegstoßen. Er wollte noch ganz andere Dinge mit dem Kerl machen. Was erlaubte er sich denn?
Einzig und allein die Tatsache, dass Stiles der Grund für diesen Überfall war, ließ ihn innehalten. Er konnte den Mann für nichts verantwortlich machen, was eindeutig auf Stiles Konto ging. Diesmal schien sein Beta auch wieder mehr Spaß an der Sache zu haben.
Obwohl es diesmal ein Mann war, fiel die Entscheidung wieder zu Dereks Gunsten aus. Stiles wollte es trotzdem nicht einsehen. Er sprach noch einige Passanten an. Manche lehnten ab, andere halfen Stiles bei seinem Schulprojekt.
»Reichts langsam?«, fragte Derek, als er wirklich keine Lust mehr hatte.
»Einmal noch«, sagte Stiles grinsend. »Und dann werd ich deine wirkung auf die Umwelt nie wieder in Frage stellen.«
Er verschwand in der Menschenmenge und Derek fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Konnte Stiles sich nicht vorstellen, wie anstrengend es war? Fremde an sich ranzulassen und angreifbar zu sein, lag nicht in der Natur eines Alphas.
Er hörte, wie Stiles Herzschlag sich wieder näherte. Er wurde lauter und bald schon sah Derek ihn. Dann fiel ihm beinahe alles aus dem Gesicht. Er stütze eine alte Frau und führte sie gradewegs auf ihn zu. Sie zitterte leicht und gab sich alle Mühe, mit Stiles mitzuhalten.
Derek formte ein stummes 'Nein' mit den Lippen, doch Stiles nickte nur bekräftigend.
»So, dass ist er«, sagte Stiles, als er mit der alten Dame vor Derek stand. »Vielen Dank nochmal für Ihre Hilfe.«
»Ach so stattlichen jungen Männern helf ich immer gern«, antwortete sie mit hoher, zitternder Stimme.
Derek schnappte nach Luft und verbiss sich jeden Kommentar.
»Was soll ich jetzt tun?«, fragte die Frau und drehte sich zu Stiles. Sie wankte so sehr dabei, das Stiles besorgt die Arme hob.
»Einfach an ihm riechen«, sagte Stiles.
Sie drehte sich wieder zu Derek. Sah zu dem Werwolf auf und erinnerte Stiles dabei an ein kleines Lamm, dass dem Löwen zum Fraß vorgeworfen wurde.
»Derek, jetzt komm doch mal ein Stück runter«, sagte Stiles streng.
Derek tat es, ließ Stiles aber keine Sekunde aus den Augen und versuchte ihn mit seinen Blicken zu erdolchen. Die alte Frau packte erstaunlich kräftig an Dereks Schultern und atmete tief ein. Dann wie aus und wieder ein. Begleitet von einem pfeifenden Geräusch in ihren Lungen. Plötzlich musste sie niesen. Derek zuckte so erschrocken zusammen, dass Stiles lachen musste. Die Frau ließ los und Derek wischte sofort sämtliche Körperflüssigkeiten von seiner Haut, die ihr aus Mund und Nase gekommen waren.
Vorsorglich führte Stiles die alte Dame von Derek weg. Er wusste nicht, was mit Menschen passierte, die ausversehen einen Alpha bespuckten und bevor Derek knurrte oder sie mit roten Augen ansah, brachte er sie lieber fort. Sie würde vermutlich einen Herzinfarkt bekommen oder Derek für den Teufel halten.
Doch selbst die alte Dame sagte, dass Derek gut roch. Genau wie jeder andere. Es machte keinen Unterschied ob jung oder alt, Mann oder Frau.

Als Stiles wieder zu Derek gehen wollte, war der Alpha verschwunden. Suchend blickte er sich um, aber er sah ihn nicht. Stiles versuchte, seinen Geruch wahrzunehmen. Nichts.
Er ging einfach in Richtung Burrito-Stand. Vielleicht war er vorgelaufen, weil sie nun wieder viel Zeit verschwendet hatten. Es war ein komisches Gefühl, von Derek stehen gelassen zu werden. Vielleicht war diese Stella nochmal vorbeigekommen und Derek war mit ihr gegangen?
Stiles spürte das Grollen in sich hochkommen und suchte sich schnell etwas, worauf er sich konzentrieren konnte. Derek hatte ihn bestimmt nicht für eine Frau stehen lassen. Schließlich hatten sie noch etwas vor und Derek nahm das sehr genau.
Er blieb stehen und blickte sich nochmal um. Kein Derek.
Plötzlich wurde er von hinten in einen Klammergriff genommen und mit einem leisen Knurren begrüßt. Sein Herz machte einen Hüpfer und er musste lachen.
»Kannst du nicht mal zwei Minuten auf mich warten?«, fragte Derek.
»Wo warst du?«, Stiles versuchte, sich zu Derek zu drehen, aber er hielt ihn zu fest. »Ich hab dich gesucht.«
»Ich war bei de Toiletten und hab mir den Hals abgewaschen«, knurrte Derek.
Sofort verfiel Stiles in Gelächter.
Derek ließ ihn, musste selbst schmunzeln und schob ihn vorwärts. Dann hielt er inne und spannte sich an.
»Was ist?«, fragte Stiles alarmiert.
»Ein anderer Werwolf«, sagte Derek.
»Ist das ein Problem?« Stiles begann unruhig zu tänzeln. Er wusste nicht, ob das nun Gefahr bedeutete oder nicht.
»Nein, aber wenn wir ihn finden, schmeiß ich dich ihm entgegen und renn weg. Dann hab ich wieder meine Ruhe und du wolltest doch schließlich einen anderen Lehrer.«
»Nein, ich will keinen anderen-«, Stiles brach ab und verspannte sich. Das war selbst ihm neu.
»Ach«, Derek ließ etwas lockerer. Stiles drehte sich zu ihm und presste die Lippen aufeinander.
»Weißt du Derek, dass ist echt mies«, sagte er und entzog sich seinem Griff. »Du bist ein manupulativer... Alpha... Vollidiot... Du hast mir ne Grhirnwäsche verpasst.«
»Ja klar«, Derek sah ihn argwöhnisch an. »Willst du deinen Burrito trotzdem noch?«
»Ich nehm drei.«
Derek lief grinsend hinter Stiles her, blickte sich aber trotzdem immer wieder um. Das mit dem Werwolf war nicht gelogen gewesen. 

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