Teil 5

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Claire erstarrte, sobald sie mich sah, und auch ich spürte eine Welle des Zorns in mir aufwallen. Was zum Henker tat sie hier? Sie sollte mich nicht so sehen, so hilflos! Sie war diejenige, die gemobbt wurde, nicht ich! Sie sollte wieder verschwinden und vergessen, dass sie hier war!

...aber irgendwie freute ich mich auch, dass wenigstens ein Mensch -warte, war sie wirklich ein Mensch? Eher ein Häufchen Dreck- mich besuchen kam, wenn es mir schlecht ging.

"Hey. Ich bin Marco, Zues Zimmernachbar, und du?", grüßte er sie höflich, wahrscheinlich dachte er, sie sei ein Familienmitglied von mir. Erst seine Worte lösten das dumme Ding aus seiner Schockstarre.

"Ähm, ich... Claire. Ich... In... Klasse..." Es kam nur wirres Zeug aus ihrem Mund gestammelt. Am liebsten hätte ich sie ausgelacht, aber wie?

Marco musste den Zorn in meinen Augen sehen, denn er fragte: "Zue, was ist los? Stört es dich, dass sie da ist?"

Ich wusste nicht, wieso, aber ich blinzelte zwei Mal. Nein. Sie würde hierbleiben. Warum? Ich brauchte Gesellschaft. Jemanden außer diesem verrückten Marco.

"Wieso antwortest du nicht?", fragte Claire mich verunsichert. Ich rollte genervt die Augen und schoss ihr böse Blicke zu, woraufhin sie sofort den Kopf einzog wie ein scheues Reh.

Wie dumm.

"Sie lag drei Monate im Koma, Claire, und hat fast keine Muskeln mehr. Sie kann nicht mal alleine atmen", antwortete er für mich.

Alter, lass das! Ich will dieses bescheuerte Mitleid nicht, vorallem nicht von Claire.

Doch diese dachte zum Glück auch gar nicht daran, mich zu bemitleiden.

"Achso. Mach dir deshalb keine Sorgen, bei meinem Vater war das auch mal so und dem geht es jetzt wieder super", startete sie einen verkrampften Versuch, mich aufzuheitern. Wie oft hatte ich heute diesen Satz schon gehört: "Mach dir keine Sorgen"?

Ich blinzelte nur, um zu Verstehen zu geben, dass ich mir ihre Worte zu Herzen nahm. Was ich natürlich nicht tat.

"Und wie ist dein Zimmernachbar so?", fragte Claire beiläufig. "Hältst du es aus mit ihm?" Marco tat ganz schockiert: "Was? Natürlich! Ich bin ihr einziger Freund hier! Aber naja... Jetzt komm doch mal rein, irgendwie ist das ungemütlich, wenn du da so in der Tür stehst."

Herzlichen Glückwunsch, die Dummheit betritt gerade dein Zimmer, dachte ich mir. Was tat ich hier überhaupt?! Ich ließ mich von einem Menschen, den ich überhaupt nicht kannte, und einem, den ich noch nie leiden konnte, betüddeln. An allem war doch bloß Claire Schuld! Wäre sie nicht gewesen, wäre mein Leben ruhig verlaufen, ohne den ganzen Stress hätte ich nicht immer trinken müssen (wobei, gemacht hätte ich es natürlich trotzdem) und dementsprechend wäre ich an dem Samstagabend auch nicht betrunken in diesem behinderten Lagerfeuer gelandet und könnte mich jetzt noch bewegen, hätte meinen Geburtstag und die ganzen andere coolen Termine nicht verpasst, hätte meine Freunde noch um mich herum...

Am liebsten hätte ich geweint, wie vorhin schon.

Marco war viel zu gut darin, mir die Gefühle wortwörtlich von den Augen abzulesen, denn er spürte wieder, dass etwas nicht stimmte: "Zue, was ist los? Es ist doch okay, wenn sie reinkommt, oder?" Diesmal machten meine Augenlider, was ich wollte, ich verneinten seine Frage. Claires Blick änderte sich auf der Stelle von sehr verwundbar zu bis auf die Knochen blamiert, denn anscheinend hatte sie das neue Kommunikationssystem schon durchschaut. Was sie natürlich trotzdem nicht schlauer machte.

"Oh, tut mir leid, Claire. Sie meint das nicht so. Du weißt ja, nach so langer Zeit ist sie bestimmt müde und möchte sich ausruhen, sie hat heute auch schon viel erlebt...", versuchte er, das Ganze ein wenig freundlicher dastehen zu lassen. Aber das Miststück wusste trotzdem genau, warum ich sie nicht hier haben wollte und verschwand mit einem leisen "Gute Besserung, Zue" durch die Tür, durch die sie eben erst gekommen war.

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