Teil 7

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Am nächsten Morgen wachte ich durch ein ungewohntes Gefühl auf: das Gefühl von Wärme auf meiner Haut. Als ich die Augen aufschlug, sah ich in das Gesicht einer Frau. Sie sah allerdings nicht wie eine Krankenschwester aus, da sie keine weiße, sterile Arbeitskleidung trug, sondern einen ganzen normalen grünen Pullover, Jeans und Turnschuhe.

"Hallo", sagte sie. "Du musst Zue sein, nicht? Ich habe schon viel von dir gehört." Sie zog einen der bunten Plastikstühle, die um den Tisch herum standen, näher an sich heran und setzte sich ungebeten.

"Ich bin Frau Gesti, deine Therapeutin." Ich zeigte ihr, dass ich nicht verstand, wovon sie redete. "Ich helfe dir, den Weg zurück in den Alltag zu finden", erklärte sie.

Ich muss kotzen.

"Ist es für dich in Ordnung, wenn wir mit dem Atmen anfangen?" Ein Mal Blinzeln. Was sollte ich auch sonst tun? Ich wollte so schnell wie möglich wieder unabhängig von dieser Maschinenscheiße leben können. "In Ordnung, wir beginnen ganz klein. Ich zeige dir jetzt eine Übung, die du jeden Tag drei Mal machen musst, ja? Also ein Mal morgens, ein Mal mittags und ein Mal abends. Ein Durchgang dauert etwa eine Minute, also nicht viel, aber ein Anfang, nicht wahr? Viel zu tun hast du ja sowieso nicht."

Na danke auch. Sehr motivierend.

Trotz meiner extremen Lustlosigkeit lies ich mir brav die Übungen zeigen und wiederholte sie drei Mal täglich, um die Lungenmuskeln wiederaufzubauen. Tag für Tag sollte ich mehr selbständig atmen. Wie das gehen sollte, wusste ich im Moment allerdings noch nicht so genau.

Marco hatte sich relativ schnell wieder eingekriegt und Claire kam mich nun jeden Tag besuchen. Leider. Da hätte ich lieber gar keine Gesellschaft gehabt als zwei hirnverbrannte Streber.

Vier Tage nach meinem Erwachen wurde Marco auf die Reha verlegt, kam mich aber trotzdem noch täglich besuchen. Irgendwie war er ja schon ganz süß. Aber sagen würde ich ihm das natürlich nicht. Auch nicht, wenn ich wiederhergestellt war.

Zwei Wochen und einen Tag darauf wurde die Sauerstoffdosis langsam heruntergefahren, da ich bereits wieder anfing, von alleine Luft zu holen.

Auch mit dem Schlucken ging es stetig voran: es klappte immer besser, aber trotzdem verschluckte ich mich noch ziemlich oft.

Weitere sieben Tage später wurde das Sauerstoffgerät deaktiviert und Marco wurde nach Hause geschickt. Bei ihm hatte der heiße Tee keine Spuren hinterlassen; das war das erste Mal, dass ich mich fragte, wie ich überhaupt aussah. Sicherlich hatte ich ein paar Narben an Bauch und Beinen. Wie sollte ich da denn noch kurze Tops und Hotpants anziehen, wenn es draußen heiß war?

Langsam wurden meine Kiefermuskeln zusammen mit der Beweglichkeit der Zunge wieder intaktgesetzt, sodass ich das Kauen und Sprechen neu lernte.

Irgendwann, als ich aufgehört hatte, die Zeit zu zählen, bekam ich wieder einen Zimmernachbarn. Diesmal war es allerdings ein Mädchen. Und ich wollte mir nicht eingestehen, welches.

The inner beauty #GlamBookAward19 #JungleAward19 #firebirdaward2019 #iceSplinterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt