23

108 5 6
                                    



drei Jahre später

2019

Müde sah ich zu wie die Kaffeemaschine den Kaffee in die Tasse liefen ließ. Ich gab noch ein wenig Zucker hinzu und setzte mich dann auf den Hocker vor der Frühstückstheke. Als mein Handy klingelte, hätte ich fast die Tasse von der Theke gefegt. Seufzend griff ich nach dem Handy. Jedoch zog ich die Augenbrauen zusammen, als ich den Namen meiner Stiefschwester auf dem Display sah.

"Hallo Tess!", begrüßte ich sie und nahm einen Schluck von meinem Kaffee.

"Hey Lenny!", hörte ich die nervöse Stimme meiner Schwester.

"Okay, was hast du angestellt?", fragte ich sie.

"Warum denkst du sofort ich hätte etwas angestellt?", harkte sie empört nach.

"Vielleicht weil es in England gerade vier Uhr morgens ist,", entgegnete ich, "Also warum rufst du mich an?"

"Könnte ich für eine Weile bei dir unterkommen? Mir fällt Zuhause die Decke auf den Kopf.", fragte Tess mich.

Warum wollte sie zu mir? New York passte nicht zu Tess.

"Ich weiß nicht ob das so eine gute Idee ist. Die meiste Zeit des Tages verbringe ich im Restaurant. Du wärst also allein und ... Warte musst du nicht zur Schule?", antwortete ich und nahm einen weiteren Schluck von dem Kaffee.

"Ich habe Ferien.", entgegnete sie.

"Trotzdem wäre es nicht so gut, wenn du jetzt hierher kommen würdest. Zur Zeit ist wirklich viel los, mir sind zwei Lieferanten abgesprungen und-"

"Ich bin schon hier. Ich habe gerade mein Gepäck geholt.", unterbrach sie mich. Beinahe wäre mir die Tasse aus der Hand gefallen. Deswegen hörte sie sich so nervös an.

"Du bist in New York?! Wissen Mum und Jim davon? Gott, Tess sag mir nicht, dass du einfach abgehauen bist!", ich hätte am liebsten laut los geschrien. Warum hatte sie sich seit meinem Unfall vor drei Jahren so verändert? Mum und Jim waren am verzweifeln, weil ihre Noten in den Keller gingen, sie nicht mehr viel mit Jim redete und oftmals über Nacht nicht nach Hause kam.

"Lenny, kann ich nun bei dir wohnen oder nicht? Am JFK wollte ich nicht schlafen.", drängte Tess. Seufzend sah ich auf die Uhr über der Kaffeemaschine. Es war viertel nach neun.

"Tess, ich schicke dir einen Kumpel vorbei, der dich abholt und zu mir bringt. Ich muss jetzt los. Wir sehen uns im Restaurant.", sagte ich bevor ich auflegte und in den Flur ging. Schnell schlüpfte ich in meine Turnschuhe und ließ die schwarzen Pumps in meiner Handtasche verschwinden.

Hi Simon, könntest du mir einen Gefallen tun und meine Schwester vom Flughafen abholen und anschließend zu mir bringen? Das wäre echt super nett und du hättest ein Essen auf meine Kappe bei mir gut! Küsschen Elena

Ich tippte auf Senden und verließ dann meine Wohnung in Brooklyn Heights. Noch immer konnte ich nicht fassen, dass Tess einfach hierher gekommen ist. Warum hatte sie das getan? Zuhause kann es wohl kaum so schlimm sein, sonst wäre sie schon früher gekommen.

Der Grund, warum ich aus London weggezogen war, war sehr einfach. Kurz nach dem Unfall kamen wenige Erinnerungen zurück und sofort hat sich meine Familie Hoffnungen gemacht, dass ich mich wieder vollständig an alles erinnern könnte. Alle meinten immer, dass sie mich nicht unter Druck setzen wollten, aber genau dass hatten sie. Mit einem Mal war mein Zuhause nicht mehr mein Zuhause sondern nur noch ein Haus, in dem alle etwas von mir verlangten. Ich habe mich nicht mehr Wohl gefühlt und bin in einer Nacht und Nebel Aktion nach New York geflogen. Hier habe ich Simon kennengelernt. Innerhalb kürzester Zeit wurde er zu meinem besten Freund und er hatte mich anfangs bei sich wohnen lassen, bis ich einen Job hatte und genug Geld um mir eine eigene Wohnung zu leisten. Dennoch wohnte ich jetzt nur einen Block von ihm entfernt und er kam so gut wie jeden Tag in seiner Mittagspause im Restaurant vorbei.

Memories || C.H.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt